Peter Zimmermann

Halt mir nur still


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      Der Stuhl, auf dem Glanzmann sitzt, ist gepolstert. Es riecht nach Rauch, die Bücher in den Regalen sind gelb. Auf dem Schreibtisch steht ein Foto. Honegger mit Mann und Kindern.

      Also, sagt sie. Herr Glanzmann. Wie letztes Semester. Wie vorletztes Semester, Herr Glanzmann. Moment. Sie hebt die Unterlagen hoch, damit er nicht sehen kann, was dort steht. Macht sich über Beiträge der Studierenden lustig, liest sie. Herablassend, liest sie und sieht ihn an.

      Glanzmann räuspert sich.

      Warum ändert sich das nicht?, fragt Honegger.

      Wer genau beschwert sich denn?

      Das werde ich Ihnen nicht sagen.

      Die kapieren überhaupt nichts, sagt Glanzmann. Nicht die einfachsten Texte.

      Honegger legt die Unterlagen zur Seite. Sie schaden dem Institut, sagt sie.

      Glanzmann blättert. Er hat den Faden verloren.

      Seite vierhundertdreiundfünfzig, hört er aus der ersten Reihe.

      Danke! Die Verstellung. Genau. Wer hat etwas verstanden?

      Die Studenten beugen sich über den Text.

      Irgendetwas?, fragt er und rückt näher ans Pult. Lassen Sie uns den dritten Satz genauer unter die Lupe nehmen, sagt er, und während er spricht, bewegt sich etwas hinter seinem Rücken. Glanzmann erschrickt. Er dreht sich um. Da sind schwarze Buchstaben an der Wand, gleich unter der Uhr. Er setzt die Brille auf und liest.

      Dort steht: Glanzmann dreht sich um.

      Er liest weiter.

      Dort steht: Glanzmann liest.

      Er liest weiter.

      Dort steht: Glanzmann muss gehen.

      Was soll das?, fragt er. Niemand antwortet. Er steht auf, holt sein Smartphone aus der Tasche und fotografiert die Wand. Wer war das?

      Wer war was?, fragt eine Studentin, die ganz vorne sitzt.

      Glanzmann öffnet den Brief. Zoe hat ihn auf die Kommode gelegt.

      Es klappt nicht mit uns, schreibt sie. Du weißt es selbst.

      Das Fenster steht offen, Hitze dringt ins Haus. Glanzmann schwitzt und seine Kehle ist trocken. Er faltet den Brief und geht ins Arbeitszimmer. Privates, steht auf dem schwarzen Ordner. Er schlägt ihn auf und schiebt den Brief in eine Sichthülle. Er schenkt sich einen Grappa ein und trinkt. Er trinkt, bis nichts mehr da ist, taumelt in die Küche und vergisst, was er dort will. Es klappt nicht mit ihm, er weiß es selbst. Er denkt und denkt und sein Leib ist trocken.

      Bist du überhaupt ein Lebewesen?, hat Zoe gefragt und den Finger in seine Seite gestoßen. Sie hat den Kopf zurückgeworfen. Ist das Fleisch?, hat sie gefragt und ihn am Oberschenkel gezwickt und gelacht hat sie, damals.

      Was ich diesen Sommer erlebt habe, schreibt Glanzmann und unterstreicht den Titel. Markus kommt ins Zimmer und schaut ihm über die Schulter.

      Was schreibst du?, fragt er.

      Hau ab!, sagt Glanzmann. Lass mich in Ruhe!

      Am nächsten Tag gibt er seinen Aufsatz ab. Die Lehrerin lächelt, als er ihr die Mappe in die Hand drückt. Fünf Seiten lang ist der Text. Die Lehrerin zieht die Blätter heraus, sieht sie sich an, dreht sie um und sagt: Aber da steht ja gar nichts drauf.

      Er sucht in seiner Tasche, breitet alles aus, was sich darin befindet. Markus hat den Aufsatz gestohlen. Er hat die Blätter ausgetauscht. Der Text ist weg und der Sommer auch. Glanzmann setzt sich auf den Boden, mitten im Schulzimmer.

      Der Wagen steht in der Tiefgarage. Glanzmann presst die Stirn gegen das Lenkrad. Er atmet. Er atmet tief. Dann nimmt er das Smartphone aus der Tasche und wählt Zoes Nummer.

      Du sollst mich nicht anrufen, sagt sie.

      Ich weiß.

      Also?

      Es geht mir nicht gut. Etwas stimmt nicht. Die Studenten haben …

      Bitte lass dir helfen, sagt sie und hängt auf. Glanzmann starrt auf das Display. Er öffnet die Galerie. Zweimal hat er die Wand fotografiert. An der Wand hängt eine Uhr. Keine Schrift, nichts. Glanzmann startet den Wagen.

      Sie erheben sich gleichzeitig, alle drei. Auf der Hinterbank hatten sie sich versteckt. Glanzmann tritt auf die Bremse. Raus hier!, schreit er.

      Da schlingen sich von hinten Arme um seinen Hals, drücken gegen seinen Kehlkopf. Der Glotzer steigt aus, öffnet die Tür und setzt sich auf den Beifahrersitz. So, Herr Glanzmann, sagt er und hält ihm den Zeigefinger an die Schläfe. Wir übernehmen.

      Die Sonne glüht. Wasser umspielt seine Füße. Glanzmann sitzt am See und liest. Zoe öffnet den Picknickkorb.

      Lass uns essen, sagt sie.

      Moment. Noch dieses Kapitel, sagt er. Noch zwei Seiten.

      Kann das nicht warten?

      Nein. Zoe umarmt ihn von hinten und liest mit.

      Ich verstehe kein Wort, sagt sie.

      Man muss es mehrmals lesen. Man muss alles lesen. Man muss sich Mühe geben.

      Ist das Fleisch?, fragt der Glotzer und zwickt ihn am Oberschenkel.

      Glanzmann schwitzt. Er hat sich in die Hose gemacht. Er fragt: Was wollt ihr von mir?

      Lass uns Bilanz ziehen, sagt der dritte. Er legt die Hand auf Glanzmanns Schulter.

      Was soll das? Seid ihr verrückt?

      Tritt aufs Gas!

      Glanzmann schüttelt den Kopf. Der andere drückt noch fester zu. Glanzmann bekommt keine Luft.

      Tritt aufs Gas!, wiederholt der Glotzer. Glanzmann gehorcht. Also, sagt der mit der Hand auf Glanzmanns Schulter. Dein Leben. Was fällt dir dazu ein? Jetzt lachen sie, alle drei. Die Tachonadel steigt. Glanzmann wird schwarz vor Augen. Dann reißt der Glotzer das Lenkrad herum.

      Kreisel, Kreisel, tanz geschwind!, ruft er, und der Wagen dreht sich. Er dreht sich und dreht sich und prallt gegen einen Pfeiler aus Beton. Glanzmanns Herz wird freigelegt.

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       Gamsblut – Der Jäger

      Lussi steht am Dorfbrunnen und kaut auf einem Stumpen. Daneben Gander und Niederberger, unrasiert und in grünen Faserpelzjacken. Sie haben die Arme verschränkt. Ruth dreht den Kopf weg, als sie an ihnen vorübergeht.

      Warst du einkaufen?, ruft Lussi.

      Sie hebt die Papiertüten in die Höhe.

      Hast du Lust auf einen kleinen Schwatz?

      Nein.

      Warum so bockig? Er nimmt die Hände aus den Hosentaschen und kommt auf sie zu. Er senkt die Stimme und sagt: Früher warst du nicht so.

      Du auch nicht. Sie will weiter, Lussi fasst sie am Oberarm. Kommt Georg morgen zur Chilbi?, fragt er. Das wäre schön. Da könnten wir auf alte Freundschaft anstoßen.

      Ruth spürt, wie ihr das Blut in die Wangen schießt.

      Aha, sagt Lussi. Hat er also Besseres zu tun.

      Lass mich in Ruhe! Sie schlägt seine Hand weg. Die Tüten fallen zu Boden, Äpfel kullern über das Pflaster. Einen hebt Lussi hoch, wischt mit dem Ärmel darüber und beißt hinein. Er spricht mit vollem Mund. Georg solle sich in Acht nehmen, sagt er. Richtest du ihm das aus?

      Ruth kniet nieder, sammelt die Äpfel ein und steckt sie zurück in die Tüte. Ja, sagt sie.

      Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Maria öffnet die Augen und Georg legt ihr ein Stück Schokolade in die Hand. Schlaf gut, sagt