Rainer Maderthaner

Psychologie


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Darstellung von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Vorstellung, Lernen, Denken und Handeln als Ergebnisse neuronaler bzw. psychischer Informationsverarbeitung

      ŸŸ• Anderson, John R.: „Cognitive Psychology and its Implications“ (1980), Gesamtdarstellung einer kognitionswissenschaftlichen Sicht psychologischer Prozesse (ACT-Modell als Prototyp eines Gesamtmodells; s. 3.7.8)

      ŸŸ• Rumelhart, David E. & McClelland, James L.: „Parallel Distributed Processing: Explorations in the Microstructure of Cognition“ (1986), Hinweis auf simultane Verarbeitungsprozesse im Zentralnervensystem, Annahme überwiegend autonom arbeitender psychischer Module

      Etwa ab 1960 löste dabei der Kognitivismus („Kognitive Wende“) den vor allem in den USA dominierenden Behaviorismus ab. Das Verhalten des Menschen wird nun nicht mehr durch einfache „ReizReaktions-Modelle“ erklärt, sondern durch komplexe, hierarchische Regulationsprozesse eines kognitiven Systems, dem psychische Funktionen zugeschrieben werden (Interpretation, Klassifikation, Lernen, Denken, Urteilen etc.). Die Zeit zwischen 1960 und 1970 war durch den sogenannten „Methodenstreit“ unter deutschsprachigen Psychologen gekennzeichnet, bei dem Erich Mittenecker, Peter Hofstätter, Gustav Lienert und Kurt Pawlik erfolgreich für die Anwendung eines statistischen Methodenkanons in der Psychologie eintraten, wie er durch die amerikanische Psychologie bereits vorgezeichnet war. Ab dieser Zeit kam es an deutschsprachigen Universitäten zu Zuwachsraten an Studenten im Ausmaß von 800- bis 1000 Prozent – übrigens meist ohne entsprechende Aufstockung des wissenschaftlichen Personals (s. auch Benetka, Benetka & Guttmann, 2001).

      Wissenschaftliche Paradigmen sind normative disziplinspezifische Grundüberzeugungen über wissenschaftliche Praktiken, Methoden und Theorien.

      Neben dem vorherrschenden wissenschaftlichen Paradigma in der psychologischen Lehre behaupten sich – zumindest in praxisorientierten, pädagogischen und therapeutischen Nischen – auch einige mit dem „Mainstream“ konkurrierende Strömungen der Psychologie, wie etwa die Psychoanalyse, die Humanistische Psychologie, die geisteswissenschaftliche und die Kritische Psychologie. Da sich Englisch weltweit als Wissenschaftssprache durchsetzt, steigt zudem auch innerhalb des Fachs Psychologie die Berücksichtigung und Bedeutungseinschätzung englischer und amerikanischer Veröffentlichungen.

      Merksatz

      Die Entwicklung der akademischen Psychologie begann vor etwa 150 Jahren und erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine rasante Ausweitung in Forschung und Praxis.

      Welche Bedeutung bestimmte Psychologinnen und Psychologen im 20. Jahrhundert auf die Entwicklung der modernen Psychologie hatten, lässt sich heute kaum objektiv abschätzen. Ein oft kritisierter Ansatz liegt darin, die Qualifikation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Basis der Frequenz abzuschätzen, mit der sie in Fachpublikationen zitiert werden („Science Citation Index“). In einer amerikanischen Studie (Haggbloom et al., 2002) wurde der Versuch unternommen, die bekanntesten, einflussreichsten und anerkanntesten Psychologinnen und Psychologen des 20. Jahrhunderts so zu bestimmen, dass man verschiedene Kennwerte zusammenrechnete: die Häufigkeit der Zitate in Fachjournalen sowie in Einführungswerken, die von der Person geprägten Fachausdrücke („Eponyme“), die Anzahl von Ehrungen und das Ergebnis von Meinungsbefragungen unter amerikanischen Fachpsychologinnen und -psychologen. Auf die ersten fünf Plätze kamen dabei Burrhus Skinner, Jean Piaget, Sigmund Freud, Albert Bandura und Leon Festinger.

      Zusammenfassung

      Fast jeder Mensch bildet sich im Laufe seines Lebens gewisse psychologische Meinungen und Überzeugungen, oft in der Art von „Lebensweisheiten“ oder des subjektiven Gefühls von „Menschenkenntnis“. Diese als Trivialpsychologie bezeichneten Einstellungen stehen aber nicht selten in Widerspruch zu wissenschaftlichen Ergebnissen. Hinzu kommt das Bedürfnis des Menschen, in Fragen der Lebens- und Menscheneinschätzung recht zu behalten.

      Für die Entwicklung von Seelenvorstellungen und religiösen Ideologien kann eine Reihe möglicher Gründe angeführt werden: 1. Durch eine Anthropomorphisierung der Welt, in welcher Götter, Dämonen und Geister mit menschlichen Zügen existieren, wird diese leichter verstehbar und vermeintlich besser beeinflussbar. 2. Die Furcht vor dem Tod wird durch die Annahme einer unsterblichen Seele, des Weiterlebens im Jenseits oder die Vorstellung von einer Seelenwanderung gemindert. 3. Religiöse Vorstellungen fördern das Vertrauen in eine gerechte Welt und eine faire Lebensordnung, in der gute und schlechte Taten über ein Totengericht im Paradies oder Nirwana abgegolten werden. 4. Religionen haben zumeist auch eine gesellschaftliche und soziale Ordnungsfunktion (Stärkung sozialer Verbundenheit, Machtsicherung). 5. Subjektiver Lebenssinn wird erlangt durch das „Bündnis“ mit (einem) höheren idealen Wesen. 6. Die Annahme einer Körper-Seele-Dichotomie liefert einfache Erklärungen für außergewöhnliche Erfahrungen (durch Träume, Fieberdelirien, Ekstase, Drogenerfahrungen, Schädelverletzungen). 7. Frühe gehirnorganische Entwicklungen könnten das Hören von Stimmen begünstigt haben („Bicameral Mind“). 8. Durch die Evolution hat sich möglicherweise eine genetische Disposition für Gottesglaube und Religiosität herausgebildet.

      In der griechischen Philosophie vollzogen sich die ersten Schritte von einer spekulativen, mythischen und religiösen Auffassung der Seele in Richtung einer rationalistischen und empiristischen Betrachtungsweise. Vor allem aber die Philosophen der Neuzeit (z.B. Hume, Descartes, Kant) mit ihren verschiedenen Erklärungskonzepten für menschliche Erkenntnisgewinnung können als Wegbereiter einer wissenschaftlichen Analyse der Seele und des Bewusstseins gelten. Im vorletzten Jahrhundert schließlich, im Zuge des allgemeinen Fortschritts der Naturwissenschaften, entstanden in Europa und in Amerika die ersten psychologischen Labors und Institute. In den letzten hundert Jahren fand die empirische Psychologie als akademische Disziplin weltweit Eingang in die universitäre Forschung und Lehre und befindet sich derzeit in einem explosiven Wachstum, sowohl was die Studierendenzahlen als auch was die psychologischen Tätigkeitsfelder betrifft.

      Fragen

      1. Wodurch unterscheidet sich „Volkspsychologie“ bzw. „Laienpsychologie“ von „Populärpsychologie“?

      2. Wie verlässlich ist der „gesunde Menschenverstand“?

      3. Weshalb müssen auch plausible und trivial erscheinende Phänomene des Alltags wissenschaftlich untersucht werden?

      4. Welche Bedeutung hat Psychologie für alltägliche Lebenssituationen?

      5. Welche Erklärungsansätze kommen für die Entstehung von Religiosität und Seelenvorstellungen infrage?

      6. Was versteht man unter dem „Rückschaufehler“?

      7. Von welchen Annahmen geht das Konzept des „Bicameral Mind“ aus?

      8. Welche gegensätzlichen Strömungen zur Aufklärung seelischer Prozesse kennzeichneten die Neuzeit?

      9. Welche Wissenschaftsentwicklungen im 19. Jahrhundert förderten die Entstehung einer akademischen psychologischen Disziplin?

      Literatur

      Allesch, C. G. (2004). Geschichte und Systeme der Psychologie. Salzburg

      Benetka, G. (2002). Denkstile der Gegenwart. Wien

      Benetka, G. (2016). „Ich werde Naturforscher“. Giselher Guttmann im Gespräch mit Gerhard Benetka über sich und die akademische Psychologie in Österreich 1955- bis heute. Wien

      Fernuniversität Hagen (2007). Interessante Links zur Psychologiegeschichte. http://psychologie.fernuni-hagen.de/PGFA/ (15.3.2016)

      Hinterhuber, H. (2001). Die Seele. Natur- und Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein. Wien

      Lück, H. E. (2009). Geschichte der Psychologie. Strömungen, Schulen, Entwicklungen. Stuttgart

      Lück, H. E., Grünwald, H., Geuter, U., Miller, R. & Rechtien, W. (1987). Sozialgeschichte der Psychologie. Eine Einführung. Opladen Schönpflug, W. (2013). Geschichte und Systematik der Psychologie. Ein Lehrbuch für das Grundstudium. Weinheim

      Definition, Ziele und Positionen der Psychologie | 2