miteinander das Heilige in unserem gemeinsamen Leben, das von Gebet, Arbeit und Lectio Divina geprägt ist, kennenlernen. Von dort aus gewinnen wir die Perspektive, durch die wir sehen können: alle und alles ist geheiligt – und geweiht.1
Das mag erhaben klingen; und das ist es auch. Gleichzeitig ist es in unserem täglichen Leben verwurzelt. Mit Hilfe von Demut, Geduld und einem Sinn für Humor lernen wir, unsere eigenen Unzulänglichkeiten und die der anderen zu ertragen, und unsere alltäglichen Erfahrungen zeigen uns, dass die Menschheit – die ganze Menschheit! – durch die Menschwerdung und Auferstehung Christi im Innersten verwandelt worden ist. Wir gestalten unser Leben so, dass wir ständig daran erinnert werden, im Licht und in der Wirklichkeit dieses Wandels zu leben.
Und doch: selbst im Kloster, wo wir Ordensfrauen weitestgehend autonom sind, stoßen wir dabei an Grenzen. Es sind oft die kirchlichen Regeln selbst, die uns daran hindern, unser Leben in diesem Sinne zu gestalten. Seit dem Mittelalter waren die Frauenorden gezwungen, zwischen Klausur und Apostolat zu wählen. Die Entscheidung für ein Leben im Kloster war mit einem höheren Status in der Kirche verbunden. Ein aktives Apostolat war mit strenger Klausur nicht zu vereinbaren, doch es erlaubte den Gemeinschaften, die apostolische Arbeit zu tun, zu der sie sich berufen fühlten. Es war ein Entweder-Oder. Für Benediktinerinnen lag darin eine besondere Herausforderung. Unsere Regel fordert ein Gleichgewicht zwischen internem Ordensleben, Gastfreundschaft und Arbeit, und das passt so gar nicht zu der strikten Zweiteilung in kontemplative und aktive Ordenstätigkeit. Bemerkenswert ist übrigens, dass man den Männern, obwohl sie als Benediktiner nach der gleichen Regel leben, nie diese beiden Alternativen als unvereinbar vorgeschrieben hat.
Die ersten Benediktinerinnen in den USA sind ein Musterbeispiel für die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden. Sie kamen im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten und wurden bei ihrer Ankunft von den örtlichen Bischöfen gezwungen, zwischen der Arbeit, für die sie gekommen waren, und der Beibehaltung ihres kanonischen Stands zu wählen. Sie wählten ihre Arbeit anstatt des Titels. Sie blühten als Kongregation auf; Tausende von Frauen wurden von ihrer Lebensweise angezogen, aber diese Entscheidung senkte ihren Status, trennte sie von ihren Ursprungsgemeinschaften und verhinderte, dass sie das volle Stundengebet2, dem sie zuvor gefolgt waren, beibehalten durften. Vergleichbares geschah auf der ganzen Welt, und die Benediktinerinnen haben noch heute mit Folgewirkungen zu kämpfen.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben Benediktinerinnen – Schwestern und Nonnen – begonnen, sich gemeinsam zu treffen, um ihre gemeinsamen Wurzeln wiederzufinden. Davor war nicht einmal das erlaubt; wieder: weil die männliche Hierarchie es so wollte. Seit einigen Jahren, und zu Beginn besonders mit der Unterstützung von Männern, die diese Ungerechtigkeiten sehen und beseitigen wollten, finden sich Benediktinerinnen regelmäßig und überall auf der Welt zusammen und entwickeln eine Struktur, in der die Gemeinschaften miteinander verbunden sind. Sie diskutieren Aspekte des benediktinischen Lebens, die uns alle zusammenhalten, und haben allmählich begonnen, die gemeinsame spirituelle Basis, die wir alle teilen, wiederzuentdecken.
All das ist ein gutes Zeichen und man könnte meinen, dass es das Ergebnis einer Veränderung im Herzen der gesamten Kirche war. Im Jahr 2016 wurde es jedoch als Wunschdenken entlarvt. Mit der apostolischen Konstitution Vultum Dei quaerere verkündete der Vatikan, dass alle autonomen kontemplativen Gemeinschaften neue Kongregationen oder Föderationen gründen oder sich bereits bestehenden anschließen müssen.3 Anstatt die betroffenen Gemeinschaften zu konsultieren und anstatt Vertreterinnen dieser Gemeinschaften zu ernennen, um an der Entwicklung dieser neuen Struktur teilzunehmen, hat der gesamte Prozess von oben nach unten stattgefunden. Das hat bei vielen zu Empörung und weitestgehender Missbilligung geführt. Um es klar zu sagen: Die Absicht, dass sich die Ordensgemeinschaften zusammenschließen, ist an sich nicht schlecht. Wie bereits erwähnt, waren die Benediktinerinnen in diesem Prozess bereits sehr weit fortgeschritten und wären viel weiter gewesen, wenn der formale Kontakt zwischen Schwestern und Nonnen nicht von der Hierarchie für Hunderte von Jahren verboten worden wäre. Aber alle Nonnen nur aufgrund der Tatsache, dass sie in Klausur leben, in einen Topf zu werfen, als ob das unser primäres Definitionsmerkmal wäre, und uns dann eine neue Struktur aufzuzwingen, während man sich weigert, Vertreterinnen der Gemeinschaft in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen, ist für Gemeinschaften auf der ganzen Welt schmerzhaft; für die meisten Menschen außerhalb der Kirche ist es ohnehin schwer zu begreifen.
Zugegeben, auch Männer können auf ähnliche Probleme stoßen; es geht nicht nur um die Diskriminierung von Frauen. Ein Unterschied ist jedoch, dass Männer, weil sie ordiniert werden können, auch in diese hierarchischen Strukturen eindringen und Veränderungen durchsetzen können. Frauen sind davon ausgeschlossen, einfach weil sie Frauen sind. Solange wir diese Regeln akzeptieren, bleiben uns die Hände gebunden; wenn es um unser gemeinschaftliches und geistliches Leben geht, bleiben wir dem Wohlwollen ausgeliefert, das Männer gewähren oder verweigern können.
Erfahrungen wie diese machen deutlich, dass Frauen keine Stimme in der Kirche haben. Es sind diese offensichtlichen Ungerechtigkeiten und das Gefühl, von der männlichen Hierarchie nicht ernst genommen zu werden, weshalb immer mehr Ordensfrauen allergisch auf ordinierte Kleriker reagieren. Schon die Tatsache, dass ein Mann hinzugezogen werden muss, um die Messe zu feiern, die Beichte zu hören, die Krankensalbung zu spenden und Segnungen zu erteilen, ist in diesem Zusammenhang schwer zu akzeptieren.
In meiner Gemeinschaft hatten wir bereits vor Corona damit begonnen, die Anzahl der Messen zu reduzieren und sicherzustellen, dass es wenigstens ein paar Tage im Monat gab, an denen wir einen Wortgottesdienst feierten. Als die Covid-19-Beschränkungen in Kraft traten, entschlossen wir uns, nur noch zweimal in der Woche eine Messe zu feiern; donnerstags und sonntags. An den anderen Tagen hören wir die täglichen Messlesungen während der Terz, und die Äbtissin oder eine andere Schwester hält eine Homilie. Obwohl der Verzicht auf die Eucharistie in vielerlei Hinsicht ein Opfer ist, reduziert dies unsere Abhängigkeit von den Priestern und gibt der gewählten geistlichen Leiterin den Raum, um der Gemeinschaft und den Gästen in einem liturgischen Kontext spirituelle Impulse anzubieten. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, denn es wäre deutlich schlechter gewesen, für die tägliche Messfeier einen Priester von außerhalb in unsere Gemeinschaft importieren zu müssen, oder – noch schwieriger – einen Kaplan dauerhaft bei uns wohnen zu lassen.
Was bedeutet das alles für uns – was bedeutet es für mich? Zum einen bleibe ich zurück mit vielen Freunden und Freundinnen, die nicht verstehen, wie ich mich so mit dieser Kirche verbinden und so viel in sie investieren kann. Obwohl ich und andere Ordensleute wahrscheinlich noch um einiges länger innerhalb der Kirche bleiben und mit der Institution ringen werden, finden wir Wege, unsere Berufung, Kirche zu sein, auf eine selbstständigere Weise zu leben. Die meisten anderen Menschen, die ich kenne, ignorieren einfach die Position der Kirche zu Geschlecht und Sexualität, weil sie sie nicht ernst nehmen können. Ihre Ablehnung ist nicht mit Kampf oder Gewalt verbunden. Sie bleiben auch nicht in der Kirche, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Warum sollten sie auch? Sie haben nicht einmal so viel Interesse, um die Energie aufzubringen, für einen Wandel in der Kirche zu kämpfen.
Literatur
Papst Franziskus, Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere. Über das kontemplative Leben in Frauenorden, hg. von der dt. Bischofskonferenz (Päpstl. Verlautbarungen Nr. 208), Bonn 2016.
Salzburger Äbtekonferenz, Die Regel des Heiligen Benedikt (=RB), Beuron 17. Aufl. 2006.
1Anm. d. Übs.: Im englischen Original heißt es, stilistisch kaum übersetzbar: „everyone and everything is sacred – consecrated“.
2Anm. d. Übs.: Die Regel selbst schreibt das Stundengebet vor.
3Zur Erläuterung: Klöster wie das unsrige sind rechtlich autonom; d.h. die Gemeinschaft regelt ihre Angelegenheiten selber unter der Leitung und Letztverantwortung der Äbtissin. Für bestimmte, klar im Kirchenrecht festgelegte Dinge hat der Bischof