das europäische Verständnis von Unabhängigkeit sehr wohl auch das Verhältnis zwischen der Behörde und der Legislative. So darf der Gesetzgeber zum einen keine der Behörde gem. Unionsrecht überlassenen Detailfragen regeln, muss an sie ggf aber auch – positiv – Standardisierungsspielräume delegieren, die die Behörde ihrerseits durch „rules“ ausfüllen kann. Nach dem europäischen Konzept wird zwar die Steuerung der Behörde durch die gesetzlichen Vorgaben zurückgenommen; zugleich wird die geringere Kontrolle durch die Exekutive unionsrechtlich durch parlamentarische Kontrollrechte ersetzt, wie sie auf nationaler Ebene erst noch etabliert werden müssen[634]. Schließlich wirft die Frage nach Unabhängigkeit aber immer auch die Frage nach der gerichtlichen Kontrolldichte auf (dazu näher im Zusammenhang mit dem sog. Regulierungsermessen Rn 529). Insgesamt wird die Diskussion um eine „politische“ Unabhängigkeit zu einer solchen um die Neujustierung der Gewaltenteilung. Diese Konzeption sah sich in Deutschland erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die aber jedenfalls nicht genügen, um in der Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden eine Kompetenzüberschreitung der Union zu sehen[635]. Mit der Entscheidung zur Bankenaufsicht dürften sich auch die Bedenken gegen die unionalen Vorgaben für nationale Behörden erledigt haben. In der Sache überzeugt die Argumentation des BVerfG allerdings nicht. Diese Rechtsstellung als „aus Sicht des Demokratiegebots prekär“[636] zu bezeichnen, obwohl damit – wie auch das Gericht betont – vor allem eine Verlagerung von Kontrollbefugnissen von der Regierung auf das Parlament verbunden ist, ist sowohl gegenüber dem Unionrecht wie gegenüber der ältesten Demokratie der Welt, aus deren (allgemeinem) Verwaltungsorganisationsrecht das Konzept der independent regulatory agency stammt, nicht angemessen. Man muss vielmehr die Weisungsunabhängigkeit gegenüber der Exekutive zusammen betrachten mit der gestärkten parlamentarischen Kontrolle, die sich in der deutschen Praxis freilich erst noch etablieren muss. Aus diesem Blickwinkel aber wirkt viel eher die sich in der Weisungsbefugnis artikulierende starke Stellung der Regierung – gerade auch gegenüber dem Parlament – wie ein demokratietheoretisch fragwürdiges Relikt monarchistister Staatsorganisation.
3. Die Bundesnetzagentur
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Vor allem im Energiewirtschafts- und Telekommunikationsrecht wurden die Aufgaben der Regulierung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) zugewiesen. Diese Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft, § 1 S. 2 BNetzAG[637], nimmt gem. § 116 Abs. 1 S. 1 TKG bzw § 54 Abs. 1 EnWG die ihr ua nach diesen Gesetzen zugewiesenen Aufgaben wahr. Während das Telekommunikationsrecht uneingeschränkt in die Verwaltungskompetenz des Bundes fällt, bleiben im Energiewirtschaftsrecht bestimmte Aufgaben nach § 54 Abs. 2 EnWG den Landesregulierungsbehörden vorbehalten.
Wichtigstes Organ der BNetzA ist der Präsident, der gem. § 3 Abs. 1 BNetzAG die BNetzA leitet und nach außen vertritt[638]. Der Präsident erlässt die Geschäftsordnung, die der Bestätigung des Ministeriums bedarf. Der Präsident ist nicht nur Dienstvorgesetzter. Über seine Funktion als Behördenleiter hinaus hat ihn das TKG in bedenklicher Weise in die Entscheidungspraxis eingebunden, indem der Präsidentenkammer zentrale Aufgaben zugewiesen werden[639]. Weitere Organe sind der Beirat (§ 5 BNetzAG), der sich aus je 16 Vertretern von Bundestag und Bundesrat zusammensetzt und für den Bereich des Energierechts der Länderausschuss (§ 8 BNetzAG), der der Abstimmung zwischen BNetzA und den nach § 54 Abs. 2 EnWG partiell zuständigen Landesbehörden dient, s. § 60a EnWG. Insoweit sind die landesrechtlichen Regelungen teilweise besser an das Unionsrecht angepasst. In Rheinland-Pfalz etwa übt die sog. Regulierungskammer „ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig, insbesondere von allen politischen Stellen und in eigener Verantwortung aus“; ihre Mitglieder „entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen“[640]. Zudem ist es ihnen ausdrücklich untersagt, „Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen Einrichtungen einzuholen oder entgegenzunehmen“[641]. Der Landesgesetzgeber verweist dabei ausdrücklich auf die unionsrechtlichen Vorgaben, verbunden mit dem Hinweis, dass diese sowohl vom Bund als auch den Ländern umzusetzen seien[642].
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Charakteristikum der BNetzA sind die nach kartellrechtlichem Vorbild eingerichteten Beschlusskammern, deren Zuständigkeit in den jeweiligen Einzelgesetzen geregelt ist. Ihre organisatorische Unabhängigkeit und das „justizähnlich ausgestaltete“[643] Verfahren gelten als „Baustein“ eines Regulierungsverwaltungsrechts[644] und Umsetzung der unionsrechtlich geforderten „Unabhängigkeit“. Sie entscheidet wie ein Gericht „auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung“, § 135 Abs. 3 S. 1 TKG[645]. Gleichwohl sind die gesetzlichen Regelungen rudimentär und bedürfen der Ergänzung durch das VwVfG[646]. Als unselbstständiger Bestandteil einer Behörde sind sie Ausschüsse iS von §§ 88 ff VwVfG[647], die sich durch Willensbildung nach dem Kollegialprinzip, organisatorische Verfestigung und durch die Mindestzahl von drei Mitgliedern auszeichnen. Deshalb finden für ihr (Binnen-)Verfahren mangels eigenständiger Regelung in TKG und EnWG die §§ 89 ff VwVfG unmittelbare Anwendung[648].
Während nach § 59 EnWG Entscheidungen grundsätzlich von den Beschlusskammern getroffen werden, ergibt sich deren beschränkte Zuständigkeit im Telekommunikationsrecht aus der enumerativen und abschließenden Regelung des § 132 Abs. 1 TKG. Das TKG enthält eine weitere Besonderheit. Zentrale Kompetenzen werden der Beschlusskammer „in der Besetzung mit dem Präsidenten … und den beiden Vizepräsidenten“ nach § 132 Abs. 3 TKG übertragen. Dies ist mit einer ungewöhnlichen Stärkung des Behördenleiters verbunden. Weitergehende Regelungen über Organisation und Geschäftsverteilung innerhalb der Beschlusskammern finden sich in EnWG und TKG nicht. Abgesehen von der gesetzlich begründeten Zuständigkeit der Präsidentenkammer entscheidet das Ministerium über die Bildung der Beschlusskammern, § 132 Abs. 3 TKG iVm § 3 Abs. 1 S. 3 BNetzAG. Über deren Zuständigkeiten wiederum entscheidet der Präsident durch die Geschäftsordnung, die gem. § 3 Abs. 1 S. 1 BNetzAG der Bestätigung durch das Bundesministerium bedarf[649]. Die Binnenstruktur der BNetzA folgt dem hierarchischen Aufbau, so dass die Umsetzung eines Mitgliedes der Beschlusskammer möglich ist. Grundsätzlich unterliegen Behördenmitarbeiter auch dem Weisungsrecht des Präsidenten (zu ministeriellen Weisungen s. Rn 187). Dieser muss allerdings die Zuständigkeiten der Beschlusskammern respektieren und darf Einzelweisungen nicht zum Inhalt einer Entscheidung erlassen, mit denen er diese faktisch an sich zieht[650]. Damit wäre beispielsweise eine Weisung des Präsidenten an die zuständige Beschlusskammer, durch Festlegung nach § 29 EnWG die Netzzugangsentgelte abzusenken, schon aus diesem Grund rechtswidrig. Für die gerichtliche Klärung solcher Fragen wird ein Organstreitverfahren in Betracht gezogen, in dem die Verletzung mitgliedschaftlicher Rechte gerügt werden kann[651].
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Dass sich Telekommunikationsrecht im Verwaltungsverbund vollzieht, wird bereits, wenn auch etwas versteckt, am Regulierungsziel des § 2 Abs. 2 Nr 4 TKG deutlich, der in Umsetzung des Art. 7 Rahmenrichtlinie ein allgemeines Kooperationsgebot für die nationalen Regulierungsbehörden untereinander sowie mit der Kommission beinhaltet. Bei der letzten Novelle wurde dieser Verbund weiter verstärkt und institutionell um das 2009 neu geschaffene Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) ergänzt (s. Rn 183). GEREK besteht aus den Leitern oder einem hochrangigen Vertreter der nationalen Regulierungsbehörden und soll auf eine einheitliche Regulierungspraxis in ganz Europa hinarbeiten. Das Gremium fungiert weiter als Beratungs- und Diskussionsforum, erhielt aber auch die Möglichkeit, das nationale Marktregulierungsverfahren im Rahmen des Konsolidierungsverfahrens nach Art. 7 RahmenRL zu kommentieren (vgl zu den Aufgaben Art. 3 der VO). Das Herzstück dieser Kooperation ist das Konsolidierungsverfahren gem. § 12 Abs. 2 TKG[652], das auf das Berücksichtigungs- und das Vetoverfahren nach Art. 7 RahmenRL zurückgeht[653]. Sein Anwendungsbereich