Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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das Ehegüterstatut etc zu ermitteln ist.

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      3. Unselbständige Kollisionsnormen sind nicht weniger wichtig als selbständige. Da unselbständige Kollisionsnormen immer im Zusammenwirken mit wenigstens einer selbständigen Kollisionsnorm Anwendung finden, hängt natürlich auch das richtige Ergebnis der Anwendung einer selbständigen Kollisionsnorm vom Inhalt anderer Kollisionsnormen ab, ist also nicht eigentlich „selbständig“. Man kann deshalb auch von unmittelbaren Verweisungsnormen und sonstigen Anknüpfungsregeln sprechen.

      Ist eine Vertragspartei Österreicher und Deutscher, so gibt die „selbständige“ Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 nicht wirklich das auf die Geschäftsfähigkeit anwendbare Recht an; ohne die Anknüpfungsregel des Art. 5 Abs. 1 ist eine Entscheidung zwischen dem deutschen und dem österreichischen Recht nicht möglich.

II. Einseitige, allseitige, vollständige und unvollständige Kollisionsnormen

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      Die historische Entwicklung, die das IPR im 19. Jahrhundert von der Statutenlehre zum Sitz des Rechtsverhältnisses genommen hat, führte aus theoretischer Sicht zu der Notwendigkeit, dass jeder Staat nicht mehr nur die Geltung eigener Normen, sondern den Schwerpunkt beliebiger Rechtsverhältnisse hätte regeln müssen. Für das Erbstatut lautet zB die Grundstruktur der Verweisungsnorm aus Sicht der Statutenlehre „deutsches Erbrecht gilt, wenn...“; aus Sicht der Savignyʼschen Sitzlehre hingegen „ein Erbfall untersteht dem Recht des Staates....“. Dem damit naheliegenden Schritt zur Universalität der Kollisionsnormen stand im 19. Jahrhundert ein Souveränitätsverständnis entgegen, das Bestimmungen über die Anwendbarkeit einer ausländischen Rechtsordnung zwar nicht als verbotenen Eingriff in fremde Souveränität, wohl aber als unschicklich im Verhältnis zur fremden Souveränität erscheinen ließ.

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      Die am 1.1.1900 in Kraft getretene Fassung des EGBGB enthält daher zahlreiche einseitige Kollisionsnormen. Solche Normen folgen zwar der Savignyʼschen Struktur, bestimmen aber das anwendbare Recht als den Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses nur dann, wenn der Sachverhalt engen Bezug zur deutschen Rechtsordnung hat. Unter der damals weitgehenden Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips bedeutete Einseitigkeit der Kollisionsnorm regelmäßig die Beschränkung auf Fälle, in denen das Anknüpfungssubjekt ein Deutscher war.

      Art. 24 Abs. 1 bestimmte bis 1986: „Ein Deutscher wird, auch wenn er seinen Wohnsitz im Auslande hatte, nach den deutschen Gesetzen beerbt.“

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      Allseitig ist hingegen eine Kollisionsnorm, die mit Bezug zu einem Rechtsverhältnis das anwendbare Recht aufgrund abstrakter Kriterien (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt etc) beschreibt, ohne sich auf bestimmte Konstellationen dieses Kriteriums (zB deutsche Staatsangehörigkeit) zu beschränken. Eine allseitige Kollisionsnorm ist also auf alle denkbaren Konstellationen anwendbar.

      Art. 25 Abs. 1 idF des IPR-NeuregelungsG 1986 (Rn 176) lautete: „Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehört“. Ebenso allseitig bestimmt Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: „… unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

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      a) Da auch unter altem Kollisionsrecht Fälle vorhersehbar waren, die von einer einseitigen Kollisionsnorm nicht erfasst, dennoch aber von deutschen Gerichten zu entscheiden sein würden, wählte der Gesetzgeber ergänzend einen zwischen der einseitigen und der allseitigen Kollisionsnorm stehenden Zwischentypus, die unvollständig allseitige Kollisionsnorm. Solche (Verweisungs-)Normen bestimmten das anwendbare Recht in Fällen, in denen zwar ein Ausländer betroffen war, jedoch ein offenbarer Bezug zu Deutschland bestand.

      Art. 25 Abs. 1 (1900) bestimmte: „Ein Ausländer, der zur Zeit seines Todes seinen Wohnsitz im Inland hatte, wird nach den Gesetzen des Staates beerbt, dem er zur Zeit seines Todes angehörte.“ Art. 24 Abs. 1 und 25 Abs. 1 aF ergaben zusammen eine unvollkommen allseitige Kollisionsnorm, die sich nicht auf Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland bezog.

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      b) Wo die vorhandenen einseitigen oder unvollkommen allseitigen Kollisionsnormen den zu entscheidenden Fällen nicht genügten, baute die Rechtsprechung diese zu allseitigen Kollisionsregeln aus. Diese Verallseitigung durch Fortentwicklung der in der geschriebenen Kollisionsnorm enthaltenen Idee der Schwerpunktbestimmung war deshalb nicht zweifelhaft, weil der Gesetzgeber ohne kollisionsrechtlichen Grund – aus Rücksicht auf Souveränität – auf eine allseitige Regelung verzichtet hatte.

      Das Erbstatut im EGBGB (1900) wies eine Lücke auf, wenn ein (damals zwingend gegenständlich beschränkter, § 2369 BGB aF) Erbschein für das im Inland belegene Vermögen eines mit letztem Wohnsitz im Ausland verstorbenen Ausländers zu erteilen war. Aus Art. 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 aF wurde der allseitige Grundsatz entnommen, dass jeder Mensch nach seinem letzten Heimatrecht beerbt wird, die in Art. 25 Abs. 1 (1986) kodifizierte Bestimmung galt damit durch Verallseitigung schon vorher.

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      Das Gesetz zur Neuregelung des IPR hat zum 1.9.1986 die meisten Kollisionsnormen vollständig allseitig formuliert; sie bestimmen – theoretisch betrachtet – das anwendbare Recht selbst für Fälle, die nie vor ein deutsches Gericht gelangen können.

      Art. 13 Abs. 1 beschreibt ein auf die Eheschließungsvoraussetzungen anwendbares Recht auch für die Eheschließung zweier Taiwanesen in Hongkong; das ist unter Souveränitätsgesichtspunkten völlig unschädlich, denn deutsches IPR wird als primäre Kollisionsnorm nur von deutschen Behörden und Gerichten angewendet, so dass die angemessen begrenzte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte die formell unbegrenzte Reichweite des IPR einschränkt. Die vollständig allseitige Fassung ist aber nützlich, wenn ein ausländisches Gericht durch sein Kollisionsrecht in deutsches Recht verwiesen wird und einen Renvoi prüft (also eine Art. 4 Abs. 1 entsprechende Norm anwendet). Das deutsche IPR stellt mit seinen vollständig allseitigen Kollisionsnormen den ausländischen Richter nicht vor Probleme.

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      Dem liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dass IPR keine Disposition über das Recht eines anderen Staates und damit eine Berührung von dessen Souveränität bedeutet, sondern lediglich den Ausgleich privater Interessen an der Anwendung des sachnächsten Rechts. Soweit deutsche Gerichte und Behörden eine Rechtssache zu entscheiden haben, also international zuständig sind (was übrigens nur in sehr weiten Grenzen am Völkerrecht zu messen ist), kann in der Auswahl des anzuwendenden Rechts kein Hoheitseingriff liegen.

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      Auch nach der Reform von 1986 enthält das Kollisionsrecht im EGBGB noch Bestimmungen, deren Tatbestand den Inlandsbezug voraussetzt (Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF: deutsche Staatsangehörigkeit und Scheidungsstatut, Art. 9 S. 2: Todeserklärung von Ausländern im Inland; Art. 13 Abs. 3 S. 1: Form der Eheschließung im Inland; Art. 17a: im Inland belegene Ehewohnung). Die zum alten Kollisionsrecht überwiegend vorzunehmende Verallseitigung