Qualifikation verworfen, weil er sie unzutreffend auf die rechtsvergleichende Methode beschränkte und keine rechtsvergleichend konsensfähige Lösung fand. Es ging um den Begriff „Erfüllungsort“.[7]
Unter den zahlreichen Beispielen brillanter autonomer teleologischer Qualifikation ohne Rücksicht auf rechtsvergleichende Unterschiede durch den EuGH findet sich dagegen die Qualifikation von Zahlungsansprüchen aus einem vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnis als „vertraglich“[8] unter Bezugnahme auf die Ziele, Rechtssicherheit und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im gesamten Gebiet der Gemeinschaft zu fördern und im Geist des Übereinkommens dem nationalen Gericht eine Entscheidung über seine Zuständigkeit ohne Eintritt in die Sachprüfung zu ermöglichen.
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4. Diese Methode ist, zumal der EuGH sie im EuZPR kultiviert hat, ohne Weiteres zu übertragen auf Systembegriffe, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Verordnung des EuIPR beschreiben. Die Verordnungen enthalten hierzu einleitende Bestimmungen zum sachlichen Anwendungsbereich, in denen beschrieben wird, welche Themen in den Anwendungsbereich fallen und welche nicht.
ZB enthält Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO eine Abgrenzung gegen nicht erfasste Materien. Daraus folgt beispielsweise, dass die Eheaufhebung (§ 1314 ff BGB) nicht scheidungsrechtlich qualifiziert wird. Auch die Frage, ob die begrifflich als „Aufhebung“ bezeichnete „Scheidung“ einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft dem Scheidungsstatut nach Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO unterliegt oder sich auch nach dem 21.6.2011 weiter nach Art. 17b Abs. 1 S. 2 beurteilt, beinhaltet ein Qualifikationsproblem (Ist die Aufhebung einer ELP „Ehescheidung“ iSd Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO?). Die Frage kann weder systemorientiert noch funktionsorientiert nach einem nationalen Recht (zB der lex fori) beurteilt werden, weil sonst jeder Mitgliedstaat potentiell anders entscheidet, sondern muss aus Sicht der Verordnung selbst beantwortet werden (dazu Rn 819). Eindeutig ist die wechselseitig ausschließende Qualifikation bei der EU-EheGüterVO und der EU-ELPGüterVO.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 4 Qualifikation › C. Lösungen der Einzelprobleme
C. Lösungen der Einzelprobleme
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1. Das erste Qualifikationsproblem (Rn 445 ff) wird durch den Vorrang der spezielleren Systematik des deutschen IPR gegenüber dem deutschen materiellen Recht gelöst. Die Systematik des IPR hat eine Kategorie „Ehenamensrecht“, die maßgeblich ist.
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2. Für das zweite Qualifikationsproblem (Rn 448 ff) muss ausgehend von den Systembegriffen des deutschen IPR der Zweck der unsystematischen materiellen Norm ermittelt werden.
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Das Beispiel des § 1371 Abs. 1 BGB zeigt, dass zwischen der Zielsetzung und der Auswirkung unterschieden werden muss. § 1371 Abs. 1 BGB hat das Ziel, den Zugewinnausgleich im Todesfall zu regeln, wirkt sich aber auf die Erbquote aus. Allerdings ist fraglich, ob § 1371 Abs. 1 BGB nicht auch das Ziel verfolgt, den überlebenden Ehegatten in der Erbfolge besser zu stellen; immerhin hat der Gesetzgeber in § 1931 Abs. 4 BGB auch für die Gütertrennung eine solche Verbesserung angestrebt. Der BGH hat sich der schon bisher ganz überwiegend vertretenen Ansicht angeschlossen, wonach § 1371 Abs. 1 BGB rein ehegüterrechtlich zu qualifizieren ist, also bei deutschem Ehegüterstatut anwendbar ist, auch wenn eine ausländische Rechtsordnung Erbstatut ist;[9] entscheidend ist die Funktion, den Güterstand der Zugewinngemeinschaft auszugleichen, die zudem systematisch (eine „juristische Sekunde“) dem Erbfall vorangeht. Überbegünstigungen aus dieser Kumulation sind durch Anpassung (Rn 562 ff) korrigierbar.
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3. Das dritte Qualifikationsproblem (Rn 451 ff) wird gelöst, indem man zunächst das gesuchte Rechtsinstitut in die deutsche Systematik einordnet. Hat man für den danach maßgeblichen Systembegriff eine fremde Rechtsordnung gefunden, so werden alle Bestimmungen dieser Rechtsordnung in die deutsche Systematik eingeordnet, auch wenn sie im fremden Recht in anderen „Schubladen“ liegen.
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Bei englischem Vertragsstatut wird die englische Verjährungsregel angewendet, auch wenn sie sich im Prozessrecht findet; vor deutschen Gerichten muss man ihre Ausübung dann allerdings im Wege der Angleichung zu einer Einrede oder Einwendung umgestalten.
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Das Erbrecht des Staates wird erbrechtlich qualifiziert, auch wenn die maßgebliche Erbrechtsordnung ein Aneignungsrecht vorsieht. Der ausländische Heimatstaat des Erblassers „beerbt“ diesen also auch hinsichtlich des hier belegenen Nachlasses. Wenn allerdings Nachlass eines Deutschen in einem anderen Staat dort einem Aneignungsrecht unterliegt, kann es sich um ein Einzelstatut handeln, das sich nach Art. 3a Abs. 2 gegen das Erbstatut als Gesamtstatut durchsetzt (Rn 552 ff).
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4. Das vierte Qualifikationsproblem (Rn 456 ff) fordert am meisten die rechtsvergleichende Phantasie heraus. Zuerst muss das fremde Rechtsinstitut auf seine Funktion untersucht werden (vgl Rn 476).[10] Sodann wird der dieser Funktion nächstliegende Systembegriff im deutschen Recht gesucht und nach dessen Verweisungsnorm das maßgebliche Recht bestimmt; das fremde Rechtsinstitut findet nur Anwendung, wenn es dieser maßgeblichen Rechtsordnung angehört.
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Der mahr wird als Zahlungsverpflichtung des Mannes an die Frau vereinbart und ist nur zu einem Teil bei Eheschließung, zum überwiegenden Teil erst bei Scheidung fällig. Er sichert die Ehefrau gegen einen willkürlichen einseitigen Scheidungsausspruch durch den Mann (talaq), gibt eine Beteiligung am Vermögen des Mannes und sichert die geschiedene Ehefrau wirtschaftlich; andere vermögensrechtliche Ansprüche nach Scheidung bestehen dagegen nicht. Aus Sicht des deutschen Rechts ergibt das eine Mischung aus eheschließungsrechtlicher, ehewirkungsrechtlicher, scheidungsrechtlicher, ehegüterrechtlicher und unterhaltsrechtlicher Funktion. Teils wurde die zunächst fällige Rate eheschließungsrechtlich,[11] ehewirkungsrechtlich[12] oder ehegüterrechtlich,[13] die bei Scheidung fällige teils scheidungsfolgenrechtlich,[14] ehewirkungsrechtlich,[15] ehegüterrechtlich oder unterhaltsrechtlich qualifiziert. Teils wird sogar auf die individuell von den Ehegatten mit der Morgengabe verfolgten Zwecke abgestellt.[16] Der BGH[17] qualifiziert nun zumindest den mehir nach iranischem Recht, der nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Eheschließung ist, wandelbar ehewirkungsrechtlich, was nur für einen bei Scheidung fälligen Teil überzeugt, und erzielt ausdrücklich dasselbe Ergebnis wie mit einer scheidungsrechtlichen Qualifikation – was allerdings nur unter Art. 17 aF zutrifft.
Praktisch bedeutsam ist der Qualifikationsstreit, weil ein Anspruch auf den mahr nur besteht, wenn bei Zusammentreffen verschiedener Statute (Scheidungs-, Unterhalts-, Ehewirkungs- und Ehegüterstatut) im Scheidungszeitpunkt das Statut, unter das der mahr qualifiziert wird, ein islamisches Recht ist. Der Anspruch muss dann aber ggf im Wege der Anpassung korrigiert werden, wenn (mit dem BGH) bei ehewirkungsrechtlicher Qualifikation ein Anspruch auf den mahr besteht, daneben zB das konkret anwendbare Ehegüterstatut zugleich einen Zugewinnausgleich,