Zustellung kann von Amts wegen erfolgen (diese ist für Urteile nach § 317 ZPO vorgeschrieben und erfolgt daher ohnehin). Nach § 750 I 2 Halbs. 1 ZPO genügt aber als Voraussetzung für den Beginn der Zwangsvollstreckung auch die Zustellung im Parteibetrieb, also durch den Gläubiger. Diese führt aber der Gläubiger nicht etwa selbst durch, sondern sie muss nach § 192 ZPO durch den Gerichtsvollzieher erfolgen.
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In der Regel muss nur der Titel zugestellt werden. Die einfache Klausel enthält keine für den Schuldner wichtigen Informationen. Anders ist das, wenn eine qualifizierte Klausel erteilt wurde (§ 750 II ZPO). Dann müssen sogar die beglaubigten Urkunden beigefügt sein, auf deren Basis die Klausel erteilt wurde.
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Umstritten ist, ob der Schuldner auf die Zustellung des Titels im Voraus verzichten kann[31]. Richtigerweise ist zumindest ein vorheriger Verzicht auf die Zustellung nicht möglich[32]. Die Vorschrift des § 750 I ZPO steht nicht zur Disposition der Parteien, da das Vollstreckungsorgan nicht qualifiziert überprüfen kann, ob der Verzicht überhaupt wirksam erteilt wurde oder nicht (Grundsatz des formalisierten Verfahrens). Ein nachträglicher Verzicht hingegen ist zulässig. Wenn schon das vollständige Fehlen der Zustellung nicht die Wirksamkeit des Vollstreckungsaktes berührt, sondern mit den zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden muss, muss der Schuldner auf die Zustellung auch verzichten können. Immerhin kann er darauf verzichten, Rechtsbehelfe gegen eine fehlende Zustellung zu erheben.
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Der Titel muss an den in ihm genannten Schuldner zugestellt werden. War der Schuldner schon im Erkenntnisverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten, so muss der Titel an den Bevollmächtigten zugestellt werden (§ 172 ZPO).
Wenn der Schuldner prozessunfähig ist, muss die Zustellung nach § 170 I ZPO an den gesetzlichen Vertreter erfolgen. Eine an einen Prozessunfähigen erfolgte Zustellung ist unwirksam (§ 170 I 2 ZPO)[33].
4. Nichtigkeit oder nur Anfechtbarkeit?
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Bei schweren Fehlern im Zwangsvollstreckungsverfahren ist häufig streitig, ob diese zur Nichtigkeit des Verfahrensakts oder nur zu dessen Anfechtbarkeit führen. Man sollte mit der Nichtigkeit sehr vorsichtig sein, denn sie führt zu Intransparenz und Unsicherheit. Hat der Gerichtsvollzieher also gepfändet und sein Pfandsiegel auf den alten Rokokotisch des Schuldners geklebt, so sollte man im Zweifel von einer Wirksamkeit der Pfändung ausgehen. Als nach außen gar nicht sichtbare Fehler führen jedenfalls Zustellungsmängel oder das Fehlen der Zustellung nicht zur Nichtigkeit des nachfolgenden Vollstreckungsakts, sondern nur zur Anfechtbarkeit[34]. Zustellungsmängel können zudem nach § 189 ZPO, der auch im Vollstreckungsverfahren gilt, geheilt werden. Anders ist es z.B., wenn ein verkleideter Beamter ein nicht amtliches Pseudopfandsiegel verklebt. Hier sind die Fehler so schwer und zugleich so offenkundig, dass allgemein Nichtigkeit angenommen wird.
§ 3 Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung › III. Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen › IV. Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
IV. Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
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Zusätzlich zu den allgemeinen müssen auch die so genannten besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. Hierbei handelt es sich zum einen um die in den §§ 751 und 756 ZPO genannten, unmittelbar vom Vollstreckungsorgan zu prüfenden „Bedingungen“. Dazu gehören der Eintritt eines bestimmten Kalendertags sowie der Nachweis, dass die für die vorläufige Vollstreckung erforderliche Sicherheit geleistet wurde (§ 751 II ZPO). Bedeutsam ist auch das Angebot der Gegenleistung bei einer Verurteilung zur Leistung „Zug um Zug“[35].
Die Verurteilung „Zug um Zug“ erfolgt immer dann, wenn der Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht hat. Das ist bei vertraglichen Schuldverhältnissen wegen § 320 BGB (Einrede des nicht erfüllten Vertrags) der Normalfall.
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Beispiel 9
(Leistungspflicht Zug um Zug): Schuldner S hat von G einen Gartenpavillon gekauft. Dieser steht bei G zur Anlieferung bereit, aber S hat bisher nicht gezahlt. G verklagt S auf Bezahlung. Was für einen Titel wird er erhalten? Wie kann er daraus vollstrecken?
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In Beispiel 9 wird G nur ein Urteil auf Zahlung Zug um Zug gegen Übereignung des Pavillons erhalten. Denn die Pflicht auf Bezahlung aus § 433 II BGB ist nach § 320 BGB nur im Austausch gegen die Übereignung des Pavillons geschuldet. Dies wirkt sich auch in der Vollstreckung aus. Nach § 756 ZPO muss der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die Leistung (wenigstens wörtlich, § 756 II ZPO) anbieten, wenn er bei ihm vollstreckt. So bleibt bis zuletzt für beide Parteien das Risiko einer Vorleistungspflicht ausgeschlossen.
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Zu den Vollstreckungshindernissen, die unmittelbar vom Vollstreckungsorgan geprüft werden, gehören aber auch die in § 775 ZPO genannten Einstellungsgründe. § 775 Nr. 1 ZPO enthält die wichtigsten Tatbestände. Danach ist die Vollstreckung einzustellen, wenn die vollstreckbare Ausfertigung einer Entscheidung vorgelegt wird, welche (1) das zu vollstreckende Urteil aufhebt, (2) die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aufhebt, (3) die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder (4) die Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnet.
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Wichtig ist, dass die Einstellung nicht schon dann erfolgt, wenn der Schuldner ein Rechtsmittel gegen das vorläufig vollstreckbare Urteil einlegt. Um die Einstellung der Vollstreckung zu erreichen, ist vielmehr ein gesonderter Antrag nötig, auf den das Gericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung anordnen kann (§§ 719, 707, 775 Nr. 2 ZPO).
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Ein weiteres Hindernis für die Vollstreckung besteht, wenn der Gläubiger durch Zahlung auf die Forderung oder anderweitig befriedigt wurde. Nach § 775 Nrn. 4 und 5 ZPO führt auch dies (bei ordnungsgemäßem Nachweis und wenn es nicht vom Gläubiger bestritten wird[36]) zur Einstellung der Vollstreckung.
Schließlich besteht bei Eröffnung der Insolvenz über das Schuldnervermögen das Vollstreckungshindernis des § 89 InsO.
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Fall 1 (Voraussetzungen der Klauselerteilung):
Die G, eine Bauträgerin, verkaufte der S mit notariellem Vertrag eine noch zu errichtende Eigentumswohnung zum Preis von 500 000 Euro. Die Parteien vereinbarten eine Zahlung nach Baufortschritt. Die letzte Ratenzahlung in Höhe von 100 000 Euro sollte nach vollständiger Fertigstellung erfolgen. Die Parteien vereinbarten individuell, dass die Fertigstellung durch eine gutachterliche Fertigstellungsbescheinigung und nicht durch die Abnahme eintreten sollte, weil S sich längerfristig im Ausland aufhielt. Wegen der Zahlungsverpflichtungen unterwarf sich die S in dem notariellen Bauträgervertrag der sofortigen Zwangsvollstreckung. G zeigte der S in der Folgezeit die Fertigstellung der Eigentumswohnung wie vereinbart durch Fertigstellungsbescheinigung an. S zahlt die letzte Rate trotzdem nicht, weil sie sich auf Baumängel beruft. Wie kann G gegen S den noch ausstehenden Betrag vollstrecken?
Lösungshinweise:
Vorüberlegung: Vorliegend begehrt die G die Vollstreckung aus einer Geldforderung. Sie wird also nach den §§ 803 ff ZPO vorgehen. Aber an diesem Punkt ist sie derzeit noch nicht. Sie muss zunächst