Sebastian Burger

Praxis der Selbstanzeige


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bei der diskreten Abwicklung gegenüber Wohnsitzfinanzamt und zuständigen Strafverfolgungsbehörden; darüber hinaus besteht auch die Sorge, nun beim Finanzamt auf eine „schwarze Liste“ zu geraten, mit unvorhersehbaren Folgen für das bisher gute Verhältnis zum Finanzamt. Typische Bedenken, die in einer solchen Situation auftreten, sind auch: „das Finanzamt ist sauer“ und schickt – bei Großbetrieben – einen „scharfen Hund“ zur nächsten turnusmäßigen Prüfung; mit der guten, von Vertrauen geprägten, fast schon familiären Prüfungsatmosphäre früherer Jahre ist es nun endgültig vorbei; das Finanzamt wird nun „alle Hebel in Bewegung“ setzen, der Unternehmerfamilie auch strafrechtlich „heimzuleuchten“.

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      Hinweis

      Regelmäßig sind diese Sorgen unbegründet oder lassen sich praktisch „entschärfen“: Das Steuergeheimnis funktioniert nach unserer Erfahrung und Praxis durchaus, zumal aus aktuellem Anlass die Behörden in NRW und Bayern unter „politischer und öffentlicher Beobachtung“ stehen. In einzelnen „besonders delikaten Fällen“ hat der Berater möglichst kreativ und situationsadäquat für eine möglichst diskrete Abwicklung zu sorgen und dem Mandanten nach menschlichem Ermessen so die größtmögliche Sicherheit zu vermitteln. Im Übrigen gilt zur Beruhigung der Mandanten, dass Selbstanzeigen als Massengeschäft ebenso zum Alltag eines Finanzbeamten gehören wie das ständig zunehmende Tagesgeschäft und der interne und externe Statistikdruck, was Einzelfälle regelmäßig überlagert. Ähnliches gilt für den Prüfungsbereich. Zwar haben die meisten Länder im Gegensatz zum Innendienst die Personaldecke im Prüfungsbereich aufgestockt. Da aber die Ausbildung und Integration des neuen Personals keinesfalls immer reibungslos verläuft und auch hier Massengeschäft und Statistikdruck vorherrschen, ist für uneffektiv lange Prüfungen regelmäßig kein Raum.

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      Alternative 2:

      Wie im Grundfall, nur ist das Vermögen in den ersten Jahren von 2002-2006 stark und unregelmäßig angestiegen. Soweit die Zuwächse nicht auf den „Kapitalfrüchten“ (u.a. Zinserträgen, Dividendenausschüttungen, ausschüttungsgleichen Fondserträgen oder Spekulationserträgen) beruhen, kommen neben größeren Zuwächsen aufgrund von Schenkungen bzw. Erbschaften auch Überweisungen aus dem privaten (Zufluss von anderen Auslandskonten) oder dem geschäftlichen Bereich (im Ausland bezahlte Rechnungen) und schließlich noch Bareinzahlungen in Betracht.

       Lösungsansätze:

      Während der Berater dem Steuerpflichtigen im ersten Beratungsgespräch nach bisherigem Selbstanzeigerecht auch unter der „Oberprämisse: Strafrechtlich wirksame Selbstanzeige“ durchaus verschiedene Optionen aufzeigen konnte (vollständiges, teilvollständiges, oder negierendes Erklärungsverhalten), muss nunmehr auch für den steuerlich nicht festsetzungsverjährten (10-Jahres-)Zeitraum der konkret vorliegende Lebenssachverhalt belegbar versteuert werden. Dies gilt über das Erfordernis der „vertikalen Steuervollständigkeit“ (näher hierzu unter 4. Kap. Rn. 190 ff.) in § 371 Abs. 1 S. 1 AO, also „zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart“, vor allem für die Einkommensteuer. Deshalb sind nun nicht nur alle bisher nicht erklärten Kapitaleinkünfte, sondern auch sämtliche Einkünfte aus allen sieben Einkunftsarten vollständig vom Berater zusammenzustellen und dem Finanzamt belegmäßig sauber zu präsentieren.

      In Einzelfällen mag wegen der lange zurückliegenden Jahre eine Dokumentation schwierig oder unmöglich sein. Zur Sicherheit wird sich der Berater dann mit einer (im Zweifel großzügigen und profiskalischen) Schätzung behelfen. Er muss jedoch in „Eigenregie“, ohne – wie bisher im strafrechtlich verjährten Zeitraum möglich – vorherige Verständigung mit dem Finanzamt, die Karten im Rahmen des Selbstanzeigeschreibens „beziffert“ auf den Tisch legen und hat hierfür „nur einen Schuss“. Etwas anderes mag in Einzelfällen betreffend der Mittelherkunft aus Schenkungen oder Erbschaften gelten. Hier könnte der Steuerpflichtige möglicherweise noch „nachlegen“ und die Mittelzuwächse auch erst bei entsprechender Rückfrage des Finanzamts nach der Mittelherkunft vollständig offenlegen. Er riskiert dabei allerdings die Sperrung der gesamten bisherigen Selbstanzeige wegen Tatentdeckung, oder – wahrscheinlicher – die Einleitung und Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens wegen Erbschaft- oder Schenkungsteuerhinterziehung im steuerstrafrechtlich nicht verjährten Zeitraum.

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      Hinweis

      Die Reaktion der Finanzbehörden auf nicht vollständig vorgelegte Unterlagen für den gesamten 10-Jahreszeitraum ist jedenfalls genau mit dem Mandanten, und zwar ausführlich und in aller Offenheit zu besprechen. Auf etwaige Risiken ist er deutlich hinzuweisen.

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      Das Hauptproblem in derartigen Fallkonstellationen besteht in einem möglichen Übergreifen von der Gesellschafter- auf die Gesellschaftsebene. Bei der routinemäßigen Überprüfung der Wirksamkeit der Selbstanzeige der Gesellschafter kann über die aktenmäßige „Basisaufbereitung“ des Falles automatisch bereits auch die Gesellschaft ins Spiel kommen. Die Frage der Mittelherkunft steht dann nicht nur beim Bezirk des ursprünglich zuständigen Veranlagungsfinanzamts erstmalig im Raum (vgl. bereits Muster 2 Rn. 474). Gelangt der Fall zur näheren Abklärung zum Prüfdienst (Außen-, Betriebsprüfung oder Steuerfahndung, je nach regionaler Zuständigkeitsregelung), kommt bei unbefriedigender Aufklärung erster oder sonstiger offener Fragen zur Mittelherkunft oftmals der berühmt-berüchtigte „Fragenkatalog“ der Steuerfahndung nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens (vgl. Muster 8 Rn. 480). Die Reaktionen der Finanzbehörde auf eine unvollständige steuerliche Sachverhaltsaufklärung trotz „gesteigerter Aufklärungspflicht bei Auslandssachverhalten“ (§ 90 Abs. 2 AO) bzw. strafrechtlich auf eine „unvollständige Materiallieferung“ im Rahmen des § 371 AO sind im Einzelfall zu prüfen und oftmals schwer einzuschätzen. Die Berufserfahrung und praktische Routine wird dem Berater bei dieser für den Mandanten entscheidenden Analyse weiterhelfen.

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      Alternative 3:

      Vermögenszuwächse im steuerstrafrechtlich noch nicht verjährten 5-Jahreszeitraum.

       Lösungsansätze:

      Hier wird der Berater i.S.d. Mandanten zu einer steuerstrafrechtlich sicheren Lösung im Sinne einer vollständigen Selbstanzeige raten und im Erstgespräch empfehlen, die entsprechende „Belegnachweissituation“ möglichst bald zu schaffen. Bei Zeitdruckfällen wäre nach ausführlicher Sachverhaltsanalyse wiederum großzügig zu schätzen. Eine schriftlich vereinbarte „Exkulpationsvereinbarung“ mag im Einzelfall haftungsrechtlichen Problemen vorbeugen.

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      Hinweis

      Der Hinweis auf ein Spiel mit dem Feuer darf nicht fehlen, sollte der Mandant der „Vollständigkeitsempfehlung“ nicht entsprechen. Zur Absicherung empfiehlt sich zumindest im Einzelfall auch die Dokumentation der erteilten Hinweise.

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      Betroffen sind die praktisch häufigen Fälle, in denen die Gesellschaft entweder die Betriebseinnahmen nicht vollständig oder die Betriebsausgaben überhöht geltend gemacht hat. Die steuerliche Behandlung dieser Sachverhalte als verdeckte Gewinnausschüttung mit Besteuerung von Betriebseinnahmen auf der Gesellschaftsebene nach § 8 KStG sowie zusätzlich als Kapitalerträge auf der Gesellschafterebene ist bereits Hinweis für die materielle und verfahrensrechtliche Komplexität derartiger Fälle, siehe hierzu die Beispiele aus der Beratungspraxis im 3. Kap. Rn. 125 u. 127.

      Anmerkungen

       [1]

      Hierzu