dass eine Erwärmung von 1 °C bereits in den nächsten fünf Jahren (2020–2024) Realität sein würde, und rechnete mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu fünf, dass die Erwärmung in diesem Zeitraum bereits 1,5 °C erreichen würde.80
Es gibt wohl niemanden, der nicht zumindest einige der Realitäten eines sich verändernden Klimas erlebt hat. Während ich dies schreibe, gehörten die letzten beiden Sommer wieder einmal zu den heißesten, die jemals aufgezeichnet wurden.81 Selbst hoch oben im Schweizer Alpenort Zermatt, wo ich im Sommer wandern gehe und wo die Temperaturen normalerweise recht moderat sind, erleben wir mittlerweile die globale Erwärmung und extreme Wetterereignisse aus nächster Nähe. Der Theodulgletscher zieht sich jedes Jahr weiter zurück, und als ich im Sommer 2019 dort zu Besuch war, führte der schmelzende Gletscher zu Überschwemmungen im Tal, obwohl seit Tagen kein Tropfen Regen gefallen war.82
Auf diese zunehmenden Veränderungen haben die Menschen mit einer einfachen Maßnahme reagiert: Sie haben begonnen, sich zu bewegen. Heute warnt die UN-Migrationsbehörde IOM, dass »allmähliche und plötzliche Umweltveränderungen bereits zu erheblichen Bevölkerungsbewegungen führen. Die Zahl der Stürme, Dürren und Überschwemmungen hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht, mit verheerenden Auswirkungen für gefährdete Gemeinschaften, insbesondere in den Entwicklungsländern.«83 Sie erwartet, dass allein die Gesamtzahl der Klimamigranten bis 2050 so groß sein wird wie die Gesamtzahl der internationalen Migranten in der Welt heute, nämlich 200 Millionen Menschen.84
Wirtschaftsführer wissen, dass die Umweltrisiken zunehmen, da sie diese im jährlichen Global Risks Report des Weltwirtschaftsforums immer weiter oben platzieren. Zum ersten Mal im Jahr 2020 hieß es: »Schwere Bedrohungen für unser Klima zählen zu den wichtigsten langfristigen Risiken des Global Risks Report.«85 Er wies auf die Risiken hin, die mit extremen Wetterereignissen, dem Versagen von Klimaschutz und -anpassung, von Menschen verursachten Umweltschäden, großen Verlusten an biologischer Vielfalt, die zu einer starken Verknappung der Ressourcen führen, und großen Naturkatastrophen verbunden sind.
Wir sollten diese Risiken nicht auf die leichte Schulter nehmen, wie wir es in den 1970er-Jahren getan haben, zumal die nächste Generation uns bereits über die Schulter schaut und sich fragt, welches Erbe wir hinterlassen wollen. Das wäre nichts weniger als ein Verrat an zukünftigen Generationen.
In der Tat sind die Gefahren der globalen Erwärmung in den letzten Jahren zu einem Hauptanliegen der jungen Generation geworden, die immer dringendere Maßnahmen zum Klimaschutz fordert. Inspiriert von Gleichaltrigen wie der schwedischen Schülerin Greta Thunberg sind Hunderttausende von Klimaaktivisten auf die Straße gegangen, haben Reden vor allen gehalten, die ihnen zuhören wollten, und ihre eigenen Gewohnheiten geändert, wo es möglich war. Wir verstehen ihre Bedenken und haben aus diesem Grund Greta Thunberg eingeladen, auf unserer Jahreshauptversammlung 2019 zu sprechen. Thunbergs wichtigste Botschaft lautete: »Unser Haus brennt«86 und dass wir daher mit äußerster Dringlichkeit handeln sollten.
Wir hoffen, dass wir dem Ruf der nächsten Generation, ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem zu schaffen, mit größerer Dringlichkeit folgen werden als 1973. Seit der Rede von Aurelio Peccei sind Jahrzehnte vergangen. Seitdem haben wir es versäumt, Maßnahmen mit ausreichenden Ergebnissen zu ergreifen, und haben dadurch die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und ökologischen Aussichten für zukünftige Generationen verschlechtert – und immer noch viele Menschen in wirtschaftlicher Hinsicht im Stich gelassen. Es war der letzte Kuznets-Fluch. Er hatte nie behauptet, dass unser Wirtschaftssystem unbegrenzt nachhaltig sei.
* * *
Wir haben nicht auf die vorsichtigen Warnungen von Simon Kuznets gehört: Er wies darauf hin, dass das BIP ein schlechtes Maß für den breiten gesellschaftlichen Fortschritt sei, da es mehr auf die Messung der Produktionskapazität ausgerichtet sei als auf andere Zeichen des Wohlstands. Er war nicht davon überzeugt, dass die abnehmende Einkommensungleichheit in den 1950er-Jahren dauerhaft sei, sondern sah sie eher als einen vorübergehenden Effekt der spezifischen technologischen Fortschritte an, die damals inklusives Wachstum begünstigten. Und er hielt nichts von der Idee einer »Umwelt-Kuznets-Kurve«, die besagte, dass die Umweltschäden mit der Entwicklung einer Volkswirtschaft abnehmen würden. Wir zahlen jetzt den Preis dafür.
Doch bevor wir versuchen, diese Fehler in unserer wirtschaftlichen Entwicklung auszugleichen, müssen wir uns zunächst fragen: Ist bereits ein anderer Entwicklungspfad vorhanden? Und inwieweit ist er im Osten, im Aufstieg Asiens, zu finden?
Anmerkungen
1 1 Kuznets wurde in Pinsk geboren, damals Teil des russischen Reiches. Heute ist Pinsk ein Teil von Weißrussland.
2 2 »Political Arithmetic: Simon Kuznets and the Empirical Tradition in Economics«, Kapitel 5: The Scientific Methods of Simon Kuznets, Robert William Fogel, Enid M. Fogel, Mark Guglielmo, Nathaniel Grotte, University of Chicago Press, S. 105, https://www.nber.org/system/files/chapters/c12917/c12917.pdf.
3 3 Ein direktes Zitat aus Kuznets' Autobiographie für das Nobelpreiskomitee. The Nobel Prize, »Simon Kuznets Biographical«, 1971 https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/1971/kuznets/biographical/.
4 4 »GDP: A brief history«, Elizabeth Dickinson, Foreign Policy, January 2011 https://foreign-policy.com/2011/01/03/gdp-a-brief-history/.
5 5 Ibidem.
6 6 »Beyond GDP: Economists Search for New Definition of Well-Being«, Der Spiegel, September 2009, https://www.spiegel.de/international/business/beyond-gdp-economists-search-for-new-definition-of-well-being-a-650532.html.
7 7 Telefoninterview mit Diane Coyle von Peter Vanham, 18. August 2019.
8 8 Gemessen in konstanten 2010 US-Dollar.
9 9 Weltbank, BIP-Wachstum (jährlich %), 1961–2018, https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG.
10 10 »What's a Global Recession«, Bob Davis, The Wall Street Journal, April 2009 https://blogs.wsj.com/economics/2009/04/22/whats-a-global-recession/.
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