G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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wartet direkt unter uns. Wenn die Sonne den neuen Tag begrüßt, ist es für eine Flucht zu spät. Dann werden sie heraufkommen.“

      Sie hatte sich um einen sachlichen Ton bemüht, um die Frauen nicht unnötig zu ängstigen.

      Großmutter warf einen besorgten Blick auf Dream-In-The-Day. Die lag – in eine der Decken gewickelt, ihr Baby an der Brust – gegen die Felswand gelehnt und bemühte sich, in eine bequemere Stellung zu kommen. Ihr Gesicht war entspannt; die roten Flecken, die noch vor kurzem dort zu sehen waren, hatten sich aufgelöst. Für diese Verhältnisse hier und angesichts der erst vor kurzem überstandenen Geburt sah sie sogar hübsch aus. Nach vorn gebeugt, mit dem Gesicht im Mondlicht, konnten alle sie sehen, als sie sich mit schwacher Stimme an Summer-Rain wandte. „Dann müssen wir gehen. Comes-Through-The-Summer-Rain, du warst schon immer die Mutigere von uns allen. Sag du uns, was wir tun sollen.“

      In der Höhle konnte man nur das leise schmatzende Geräusch hören, das das Baby beim Trinken machte. Zärtlich strich Dream-In-The-Day ihm über das kleine, mit dunklem Flaum bedeckte Köpfchen. Summer-Rain dachte kurz nach. Konnte sie das, was ihr, seit sie die Pawnee entdeckt hatte, durch den Kopf ging, den Frauen zumuten? Ihrer Großmutter würde das überhaupt nicht gefallen. „Wir brauchen Pferde“, raunte sie. Dann, sich wieder auf ihren Beobachtungsposten begebend, doch nach hinten gewandt: „Ich werde sie für uns besorgen.“

      Niemand sagte etwas, auch Großmutter nicht. Summer-Rain schaute wieder nach unten. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor. Jetzt war der Schatten des Pferdes mit dem Pawnee zu sehen. Jedes kleinste Steinchen, das den Abhang hinunterrollte, würde sie verraten. „Ich gehe runter“, flüsterte sie, ihren Zeigefinger hebend. Niemand sollte ihr widersprechen, nicht einmal Großmutter.

      „Wenn ich unten bin, werde ich nach Sonnenaufgang gehen“, erklärte sie ihnen ihren Plan. „Ich habe gesehen, wie die Soldaten Pferde nach dort gebracht haben.“ Dieses Sommerlager hier war ihr nicht vertraut. Deshalb wandte sie sich jetzt an Dark-Night, die am nächsten von ihr hockte. „Sag mir, was dort unten ist; beschreib mir alles, und ich brauche außerdem einen sicheren Ort, wo ich drei Pferde verstecken kann.“

      Dark-Night rückte noch näher an sie heran und begann, ihr die Gegebenheiten zuzuflüstern. „Hinter dem Wald, auf der anderen Seite, gibt es einen kleinen Birkenhain“, kam sie zum Schluss. „Dort kannst du die Pferde verstecken.“

      Summer-Rain nickte. Niemand wagte einen Einwand, und doch wussten alle, welches Wagnis sie einzugehen bereit war. Es blieb ihnen nur diese eine Nacht zur Flucht. Wenn die Sonne aufging, wäre es längst zu spät. Summer-Rain machte es kurz. „Ich muss versuchen, die Soldaten und besonders diesen einen Pawnee, abzulenken, damit ihr hinten an den Felsen vorbei in den Wald und dann auf die andere Seite zu den Pferden gelangen könnt.“

      Großmutters Gesicht fiel in sich zusammen. Ihre weit aufgerissenen Augen starrte Summer-Rain entsetzt an. Es war dunkel in der Höhle; trotzdem spürten die Frauen, dass sie damit ganz und gar nicht einverstanden war. Doch niemand fragte nach ihrer Meinung. Ihr Mund öffnete sich, dann schloss sie ihn wieder. Angesichts ihrer jetzigen Situation blieb ihnen keine Wahl.

      „Der Pawnee“, fuhr Summer-Rain ungerührt fort, „wird sich nicht von der Stelle rühren. Niemand von euch wird von hier fortkönnen, solange er dort Wache hält.“ Fürsorglich griff sie nach Großmutters Hand und drückte sie fest. „Ich verspreche dir, so vorsichtig zu sein wie eine Wildkatze – wie mein Bruder mich manchmal nennt. Ich habe schon einmal die Pawnee überlistet. Mir, Comes-Through-The-Summer-Rain, wird das auch diesmal gelingen. Diese Pawnee sind nur Büffelscheiße – und vor Büffelscheiße habe ich keine Angst.“

      Trotz ihrer Bedenken nickte die alte Frau. „Ich weiß, Kleines“, flüsterte sie in die Dunkelheit. „Dein großer Bruder Light-Cloud hat dir mehr beigebracht, als ich hätte zulassen dürfen. Nie hast du um Erlaubnis gefragt. Statt dich zu bestrafen, habe ich deine Wunden verbunden. Nun, das habe ich nun davon. Sei vorsichtig, mein Kleines – etwas anderes zu sagen bleibt mir nicht übrig. Zeig dieser Büffelscheiße dort unten, dass Summer-Rain eine Comanche ist.“ Zwar seufzte sie schwer und war doch ein bisschen stolz auf ihr Mädchen.

      Summer-Rain wandte sich wieder den Anderen zu. „Wenn ihr dreimal den Ruf einer Eule hört, dann macht euch bereit. Wartet nicht auf mich – nehmt die Pferde und reitet so schnell ihr könnt; ich werde nachkommen.“ Nach dem Messer in ihrem Stiefel tastend, überzeugte sie sich, dass es noch dort steckte. Schnell zurrte sie ihre Haare mit einem der Bänder von Sally Kamp hinten im Nacken zusammen, damit sie sie nicht verraten konnten, wenn der Wind hineinfuhr. Ein letztes Mal blickte sie sich nach den anderen Frauen um – prägte sich ihre Gesichter ein, schloss die Augen, vertraute sie und sich selber dem Schutz ihres Tiergeistes an. Dann strich sie dem Baby, das warm und geborgen an der Brust seiner Mutter lag, zärtlich über die Wange. So nahm sie Abschied von ihnen allen. „Egal, was auch passiert, ihr schaut nicht zurück“, schärfte sie ihnen noch einmal ein. „Reitet so schnell ihr könnt – ich will, dass ihr mir das versprecht.“

      In die Stille, die darauf folgte, konnten die Frauen nur nicken. Die aufkommenden Tränen hinunterschluckend, vertrieben sie die Angst aus ihren Köpfen.

      Wortlos schlüpfte Summer-Rain aus der Höhle. Der Mond stand jetzt so dicht hinter den Wolken versteckt, dass er die Felsen mit der Höhle hinter ihr nicht mehr erreichte. Trotzdem musste sie sichergehen. Das Geröllfeld war hier, so weit oben, besonders dicht mit kleinen Steinen bedeckt. Mit äußerster Vorsicht auftretend, tastete sie sich Schritt für Schritt voran. Erst, wenn sie festen Halt fand, ging sie weiter. Sie wünschte sich Flügel wie ein Schmetterling, ein Nachtfalter oder wäre wenigstens so leicht wie ein Grashüpfer oder eine Grille. Trotz aller Vorsicht konnte sie nicht verhindern, dass einige Steinchen abwärts rollten. Nach einigen Schritten bis zu den Rand des Geröllfeldes begrenzenden Felsen musste sie sich, um in den Wald nach Osten zu gelangen, wie es Dark-Night ihr beschrieben hatte, nach links wenden. Hier lagen größere Steine, war ein festerer Untergrund. Auch machte es ihr dichtes Dornengestrüpp leichter, Deckung zu finden. Sie traute dem Pawnee durchaus zu, seinen Standort zu wechseln, um mit mehr Abstand weiter nach oben blicken zu können. Hinter einem Dornenbusch verharrte sie, um zu lauschen. Die herabrollenden Steinchen hatten irgendwo Halt gefunden. Und doch war es ihr vorgekommen, als hätte sie einen Steinschlag losgetreten.

      Das war der Zeitpunkt, als der Pawnee abermals aufmerksam wurde und nach oben horchte. Summer-Rain konnte ihn nicht sehen – nicht einmal mehr seinen Schatten. Doch dort unter ihr musste er noch immer sein.

      Genau so war es. Er saß auf seinem Pferd, den Kopf nach oben gerichtet, die Militärmütze abgesetzt und unter seinen Sattel gesteckt, jetzt als Pawnee zu erkennen. Das Geräusch der Steine war verebbt. Enttäuscht schnaubte er durch die Nase, als da nichts mehr nachkam. Doch sein Misstrauen war abermals geweckt.

      Summer-Rain, die ihn sich vorstellen konnte, sich in ihn hineinversetzte, griff zu einer List. „Unterschätze niemals einen Gegner“, hatte Light-Cloud ihr immer wieder eingeschärft. „Wenn du sein Misstrauen erregt hast, verwirre ihn, lasse seine Gedanken andere Wege gehen.“ Also griff sie nach einem großen Stein, wog ihn abschätzend in der Hand und warf ihn nach dem bogenförmigen Durchgang, in eine andere Richtung, als sie gehen wollte. Dort prallte er gegen einen der Felsen.

      Es wirkte. Im selben Moment hörte sie das Pferd des Pawnee sich mit ihm nach dort in Bewegung setzend. Die Zeit, die er dafür brauchte, nutzte sie, indem sie oben an den Felsen entlanghuschte. Der Mond kam wieder hinter der Wolke hervor, aber das war nicht mehr von Bedeutung. Unten hielt der Scout jetzt vor dem Bogen. Sie stellte ihn sich vor, wie er nach der Ursache suchte – vielleicht sogar den Stein, der dort eigentlich nicht hingehörte, fand. Als ihr dieser Gedanke kam, biss sie sich auf die Unterlippe. Na gut, dann hatte sie eben einen Fehler gemacht. Das Geröllfeld lag bereits hinter ihr, und sie tauchte im angrenzenden Wald unter. Kurz darauf fand sie einen Abhang, an dem sie hinunterglitt. Hier brauchte sie nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn es waren keine Wachen aufgestellt, wie sie mit einem Blick in die Runde feststellen konnte.

      Noch immer stand der Pawnee nachdenklich vor dem Durchgang. Er konnte die Ursache des Geräusches nicht finden. Vielleicht war es doch nur ein Tier auf der Jagd gewesen? Also ritt er zurück