G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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spielte das keine Rolle mehr. Durch sein umsichtiges Handeln hier und jetzt hatte er seine Fähigkeiten längst bewiesen.

      Wie als wäre das schon immer sein Platz gewesen, ritt er vor die Männer. Während der Zeit, die das dauerte, hatte er schon einen Plan entwickelt. Ohne das vor ihnen liegende Gelände noch einmal betrachten zu müssen, wusste er, was zu tun war. In seinem Kopf stand die Schlachtordnung fest – wo und wie sie angreifen mussten und wo die Schwächen des Feindes lagen. Die große Pferdeherde, ihr ganzer Stolz und ihre Lebensgrundlage, befand sich in Sicherheit, dafür hatte er bereits gesorgt. Das Geräusch der Hufe auf den Gesteinsplatten des Canyons – dort, wo das Wasser des Flusses an den Seiten darüberströmte – war das einzige Geräusch, das man noch von ihnen hörte.

      Der junge Kriegshäuptling war sich durchaus seiner Verantwortung bewusst. Rasch ritt er die Reihe seine Männer ab, jeden mit einem prüfenden Blick musternd. Diese Zeit musste sein. Erst wenn er wusste, dass wirklich alle hinter ihm standen, konnte auch er ihnen voll vertrauen. Auf seinem nackten Rücken wippte der Köcher mit dem bereits eingehakten Bogen. Summer-Rains Winchester steckte jetzt griffbereit an der Seite von Summer-Wind. Die dazugehörige Patronentasche hing ihm über der Brust. Er hatte es vorhin überprüft. 17 Patronen passten hinein. Erst nach 17 Schüssen würde er nachladen müssen. Neben dem Köcher ragte der Griff des scharf geschliffenen Schlachtbeils auf seinem Rücken hervor. Er hatte das bei Icy-Wind gesehen. Wenn er unter dem Bauch seines Mustangs hindurch musste, war das praktischer, als das große Schlachtbeil im Gürtel zu tragen.

      Nach dem raschen Vorbeiritt an seinen Männern hielt Summer-Wind. Wie aus Stein gemeißelt stand das treue Tier völlig still. Alle Kriegsponys ignorierten den Pulverqualm, der vom Fluss heraufwehte, ignorierten die näherkommenden Einschüsse, den Aufbruch des Volkes. Ja, sogar die ihnen völlig unbekannten schrillen Töne der Trompete. Jedes von ihnen wusste, was ihm abverlangt werden würde, noch bevor sein Reiter ihm ein Zeichen gab. Mann und Pferd bildeten eine vollkommene Einheit. Nicht umsonst verbrachten sie die meiste Zeit ihres Lebens zusammen.

      Storm-Riders offene Haare flatterten im aufkommenden Wind. Genau wie die anderen Krieger trug er keinerlei Kriegsbemalung, keinen Schmuck – auch die Pferde nicht. An ihren Lanzen, wenn sie denn Zeit gehabt hatten, sie aus ihren Verstecken zu holen, wehten keine Skalps. Sie vertrauten einzig und allein auf ihre Medizin. Jeder von ihnen hatte seinen Tiergeist angerufen, um Unterstützung gebeten und – sollte er sterben – um eine freundliche Aufnahme. Jetzt blickten sie zu Storm-Rider und warteten auf sein Zeichen. Was auch immer er von ihnen verlangte, sie waren bereit, es zu tun.

      Der junge Häuptling ließ Summer-Wind, sein liebstes Kriegspony, neben dem seines Vaters halten.

      Stumm griff er hinüber nach der Hand seines Vaters und drückte sie kurz. Dann beugte er sich nach vorn zu Summer-Wind, löste den Zügel vom Halfter und ließ ihn auf den Boden gleiten. So würde er die Hände zum Kämpfen frei haben. Andere folgten seinem Beispiel. Sich im Sattel zu seiner vollen Größe aufrichtend, drückte er seinen Oberkörper durch, griff über den Rücken und riss sein Schlachtbeil mit einem einzigen Ruck aus der Halterung. Mit der anderen Hand führte er die Kriegspfeife an die Lippen. Der schrille Laut vermischte sich mit dem Schmettern der Trompete, wurde eins mit ihm, verklang. Noch einmal und noch einmal, aber jetzt allein die Luft zerteilend, unüberhörbar das Donnern der Kanonen überlagernd. Die Mustangs schnaubten aufgeregt, und ihre Köpfe flogen in die Höhe. Den Klang der Kriegspfeife kannten sie, waren vertraut mit jedem Signal und kaum noch zu halten. Im nächsten Moment, aus dem Stand heraus, preschten sie in einer einzigen Formation los. Und so führte Storm-Rider sie mitten hinein in die Reihen der Feinde.

      Es waren ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Großväter und -mütter, ihre Familien, die sie bereit waren, mit ihrem Leben zu beschützen. Manch eine Frau, die zu ihrem Ehemann schaute, war stolz und gleichzeitig wurde ihr weh ums Herz. Würde er noch hier sein, wenn alles vorbei war? Jedem der flüchtenden Comanchen war klar, um was es hier ging. Das Leben der Krieger – der Preis für das ihre.

      Ein Ton aus der Kriegspfeife, und die Formation der Pferde löste sich auf. Vier Herzschläge später stießen sie in die Reihen der Angreifer – wie ein Raubvogel auf seine Beute. Für die Soldaten völlig überraschend, zerteilten sie deren Reihen, brachten sie durcheinander und waren wieder verschwunden. Dann kamen sie zurück. Wie der Flügelschlag eines Adlers fächerte sich die Formation in einer einzigen fließenden Bewegung zu einem umgekehrten V. Sich wie in einer Umarmung hinter der überraschten Kavallerie schließend, hinterließen sie einen ungefähren Eindruck, was es bedeutete, sich mit Comanchen-Kriegern anzulegen. Der Wind hätte nicht schneller sein können.

      Das Schlachtfeld vor sich im Blick, gab Storm-Rider das nächste Zeichen. Den Rückzug ihrer Familien zu schützen, das war ihre vorrangige Aufgabe. Hier ging es nicht um Töten oder Skalps – nicht um Ruhm, nicht um Ehre. Es ging um das Überleben ihres Volkes. Wie ein Sturm, der über die Ebene fegt, kamen sie über die Soldaten. Ihr Ziel war es, den Feind aufzuhalten. Und das taten sie. Mit waghalsigen Wendemanövern und todesverachtenden Einsätzen verhinderten sie immer wieder, dass der ihnen zahlenmäßig weit überlegene Feind vorrücken konnte.

      Die Lippen fest aufeinandergepresst, ihre Angst niederkämpfend, hatte Summer-Rain endlich Großmutter gefunden. Jetzt war alles gut. Aufatmend rutschte sie von ihrem Pony. Überall herrschte hektisches Treiben. Immer noch trieben Frauen ihre beladenen Pferde mit den Travois im Schlepp durch den Felsenüberhang zwischen dem Geröllfeld und dem Canyon. Jetzt waren sie am verwundbarsten. Niemand schaute zurück – auch Summer-Rain nicht. Sie eilte auf Großmutter zu, umarmte die alte Frau und lehnte sich an ihre schmale, knorrige Schulter. Kurz dachte sie an Storm-Rider, sah ihn wieder vor sich, sah, wie er auf sie zukam. Seinen ihr so vertrauten Gang, die Art, wie er den Kopf hob, sein schiefes Lächeln – alles. Sie hätte ihn aus Tausenden herausgefunden.

      Großmutter, dachte sie und fühlte ihre Knochen durch das Kleid. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen, als sie bemerkte, wie die alte Frau zitterte. Dark-Night fiel ihr ein. Sie hatte sie bisher nicht finden können, auch Dream-In-The-Day nicht. Wo waren ihre beiden Freundinnen? Lebte Dark-Night überhaupt noch? Großmutter musste es wissen. Bevor sie sie jedoch fragen konnte, hörte sie die Männer auf ihren Kriegsponys herandonnern. Sie erkannte Gray-Wolf, Red-Eagle, Icy-Wind – sogar Great-Mountain und Old-Antelope. Dann ihren Bruder Light-Cloud. Er musste verletzt sein, registrierte sie erschrocken, denn er trug einen Verband um den Oberkörper und hielt sich seltsam gebeugt auf seinem Mustang. Da tauchte Storm-Rider in ihrem Blickfeld auf. Der Wind griff in seine Haare. Sie konnte nicht hören, was er rief, doch der Klang seiner Stimme griff ihr ans Herz – als gelte es, daraus zwei Hälften zu machen. Der Schmerz traf sie völlig unvorbereitet. Im nächsten Augenblick waren die Krieger vorbei.

      Summer-Rain stand wie erstarrt, merkte nicht einmal, dass jemand ihren Namen rief. Es war Großmutter, die auf sie einredete. „Summer-Rain, Summer-Rain, mein Kind, mein Liebling, mein Alles. Du bist da, du bist wirklich da!“ Außer Atem schob sie sie vor sich her. „Alle haben mir schon gesagt, dass du zurück bist“ – sich unterbrechend – zeigte sie aufgeregt auf eine kleine Baumgruppe in einer flachen Mulde vor einem der Hügel. „Dream-In-The-Day bekommt ihr Baby. Ausgerechnet jetzt. Komm, du musst mir helfen!“ Das war alles, was sie hervorbrachte.

      Doch Summer-Rain verstand sofort, was sie meinte, und eilte, ihr Pferd am Halfter, hinter ihr her. Die Baumgruppe bestand aus dichtem Haselnussgesträuch und bot ausreichend Schutz. Dream-In-The-Day lehnte an einem dahinter aufragenden Eichenstamm. Neben ihr kniete Dark-Night, die ihr Gesicht jetzt den Ankommenden zuwandte. Erschrocken über ihren Anblick wollte Summer-Rain zuerst Fragen stellen, unterließ es dann aber. Es war unverkennbar: Jemand hatte der kleinen Mexikanerin die Hälfte ihrer Nase abgeschnitten.

      „Warum seid ihr nicht längst fort?“, war alles, was sie sagen konnte. Eben noch musste sie verarbeiten, dass ihre beste Freundin hochschwanger war – und dann das. Dark-Night, die ihren Blick wohl bemerkt hatte, zog sich die heruntergerutschte grüne Binde wieder über die Nase. Ihre schwarzen Augen musterten sie etwas erstaunt. Sie hatte sie hier nicht erwartet. Summer-Rain schluckte bei ihrem Anblick unwillkürlich – so verhärmt und hohlwangig sah Dark-Night aus. Es war ein ungewohnter Anblick; als sie sie verlassen hatte, war sie noch eine Schönheit gewesen. Was war passiert? Inzwischen hatte