G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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verwachsen. Der Begriff Zentaur fiel ihm ein. Vor seinen Augen wirbelte all das wild durcheinander. Wie versteinert saß er auf seinem Pferd. Ungläubig – in der Überzeugung, sich täuschen zu müssen – riss er erneut das Fernrohr ans Auge. Er war kurzsichtig und konnte ohne diese Hilfe nicht weit sehen. Doch das Bild veränderte sich nicht.

      Augenblicke später war diese Masse aus Pferden und menschlichen Leibern bereits dabei, sich aus seinem Blickfeld zu entfernen. Unwillkürlich hatte er die Luft angehalten. Erneut setzte er das Fernrohr ab, um es sich gleich darauf wieder ans Auge zu reißen. Wo waren sie hin? Verdammt auch! Da – sie kamen wieder. Sie hatten ihre Mustangs nur gewendet und waren zurück. Aufgescheucht winkte er dem jungen Trompeter, der die ganze Zeit neben ihm geblieben war. Wo waren seine Männer – verdammt noch mal? „Angriff!“, brüllte er überflüssigerweise in den Lärm hinein und gestikulierte wild mit den Händen. Niemand hörte ihn. Der Trompeter riss sein Signalhorn an die Lippen und schmetterte den Befehl.

      Da sah er seine Kavallerie inmitten dieser Teufel. Uniformen, in überwältigender Überzahl. Sie ritten, was das Zeug hielt, stoppten, versuchten auszuweichen, hielten auf die leichten wendigen Mustangs zu, verschwanden im Kampfgewühl, tauchten wieder auf. Ein riesiges Knäuel gegeneinander kämpfender Massen – uniformierter und halbnackter. Eine Abteilung Kavallerie – plötzlich wieder geordnet – sammelte sich, saß ab. Dann hoben die Männer ihre 16-schüssigen Remington-Gewehre, feuerten, was sie konnten, wurden mit Pfeilen, Lanzen, gegnerischen Gewehren attackiert. Harrten aus, schossen weiter, während schreiende, todesverachtende Krieger erneut auf sie einstürmten.

      Die Mehrheit der Kavallerie konnte ihnen nicht helfen; sie hatten selber genug zu tun. Aus einer wirbelnden Masse reitender Comanchen, scheinbar ungeordnet und undiszipliniert, löste sich eine umgekehrt V-artige Formation und durchtrennte die Reihen der Kavallerie. Das geschah so plötzlich, dass es fast schon Zauberei war. Alles sah so leicht und einfach aus, so spielerisch und gekonnt, dass es dem Oberstleutnant die Sprache verschlug. So etwas hatte er noch nie gesehen.

      Sein Pferd tänzelte unter ihm wie von Sinnen; er versuchte, es zu zügeln – es stieg und warf ihn beinahe ab. Endlich brachte er es wieder unter Kontrolle. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Inzwischen hatte sich das Kampfgeschehen näher an ihn heran verlagert, so dass ihm der Pulverdampf in die Nase stieg. Die Luft war träge und schwer. Er ließ sein Pferd rückwärts in den Wald verschwinden, und auch der Trompeterjunge tat es ihm gleich.

      Noch immer krachten Schüsse – dem Klang nach waren das seine Männer. Pfeile surrten, trafen lautlos und blieben in den Uniformen stecken. Stumme Waffen, dachte er irgendwie irritiert, doch genauso tödlich wie laute Gewehre. Pferde wieherten – das mussten die ihren sein. Irrwitzigerweise glaubte er nicht, dass Comanchenpferde überhaupt wiehern konnten. Oder doch? War er verwirrt? Das Ganze dort erschien ihm irgendwie unwirklich, hatte nichts mehr mit dem Hochgefühl zu tun, das ihn beim Anblick der ersten Tipis ergriffen hatte.

      Menschen schrien. Stimmen erklangen in seiner Sprache. Jemand brüllte Befehle. Ein Trompetensignal ertönte. Geschütze krachten, das Bellen der Gatling zerriss endlich die Luft. Alles zusammen, alles auf einmal. Krieg, dachte er nur noch – das ist Krieg. Endlich – es waren nur Augenblicke vergangen, die ihm wie die längsten in seinem Leben vorkamen – löste sich die Starre von ihm. Entschlossen gab er seinem Pferd die Schenkel zu spüren und wandte sich in Richtung Artillerie. Ungefragt folgte ihm der junge Trompeter. Den kürzesten Weg einschlagend, erreichten sie die berittene Batterie Artillerie mit ihrem Captain. Der stand neben der feuerspeienden Trommel der Gatling und blickte ihm grimmig entgegen. Dort, wo er die ganze Zeit hinzielte, war kein einziger Mensch zu sehen.

      „Die Gatling umdrehen, sofort – die Gatling rum“, brüllte Smith ihn an, wohl ahnend, was sich hier abspielte. Wenn es nach den Männern um ihren Captain ging, dann sollte sich das auch nicht ändern. Widerwillig, doch gehorsam, kam man seinem Befehl schleppend nach. Was nun passieren würde, hatte er nicht zu verantworten, sagte ihm der Blick des Captains. Die Gatling schwenkte auf dem eingeölten Standbein herum. Wild gestikulierend deutete der Oberstleutnant nach Osten. Wohin sollten sie zielen? Erst in diesem Moment begriff es der Captain. Hatte dieser Mensch denn völlig den Verstand verloren? Hart nach dem herunterhängenden Zügel des Pferdes, auf dem der Oberstleutnant saß, greifend, starrte ihn der Captain entsetzt an. Smith hatte die Augen wütend zusammengekniffen. Die des Captains der Artillerie waren blutunterlaufen und brannten vom vielen Rauch. Wenn sie jetzt die Gatling einsetzten – in dieser Richtung – dann würden sie die eigenen Leute treffen, ihre Pferde niedermähen, Menschen aus den Sätteln holen; es würde unnütze Verluste geben, viel zu viele Tote.

      Smith atmete durch. In seinen Füßen kribbelte es bis in den Rücken hinauf. Er blinzelte. War er denn schon so verzweifelt, dass er das Leben seiner eigenen Leute aufs Spiel setzte? Den Kopf schüttelnd, um klarer denken zu können, riss er sich zusammen. Was war nur in ihn gefahren?

      Als er die Veränderung in den Zügen seines Kommandanten sah, ließ der Captain erleichtert die Zügel los. Zugleich mit Smith wandte er sich in Richtung des Kampfgeschehens. Das Kriegsgeschrei schien näherzukommen. Den Männern der Artillerie machte das nichts aus, sie ignorierten es einfach. Aus ihren vom Pulver geschwärzten Gesichtern leuchteten die hellen Augen wie Irrlichter. Die Zunächststehenden hatten sehr wohl die stumme Zwiesprache zwischen Smith und ihrem Captain beobachtet.

      Da rief einer von ihnen mit krächzend klingender Stimme, weil er zu viel Rauch eingeatmet hatte: „Sollen sie nur kommen – wir werden sie schon gebührend empfangen, Herr Oberstleutnant!“

      Der Bann war gebrochen. Smith ließ sein Pferd langsam zurücktreten, bis es direkt neben der Gatling stand. „Zielt über ihre Köpfe“, meinte er erschöpft; dann musste auch er husten. Ein Nicken der umstehenden Männer. Wieder hustend deutete Smith nach vorn, über die Bäume hinweg. Seine Stimme war etwas belegt. „Sie sollen sich einfach nur vor Angst die nackten Ärsche bescheißen!“

      Die Männer lachten gezwungen, obwohl keinem von ihnen zum Lachen war. Vier von ihnen traten an die Gatling heran und begannen, sie zu bedienen. Die erste Feuerzunge wischte ratternd über die Masse aus Kavallerie und Indianern hinweg.

      Die Comanchen stoppten, ließen ihre Mustangs auf der Hinterhand wenden, rissen sie zurück und ritten aus der vermeintlichen Schusslinie. Wieder ratterte die Gatling los, leere Patronenhülsen zur Seite spuckend. Von irgendwoher tauchte der Adjutant auf. Staubbedeckt glitt er stöhnend vom Pferd. Seine ganze Erscheinung sah ziemlich mitgenommen aus. Schweißflecken zeichneten seinen Rücken, die Uniformhose hing zerfleddert um seine Knie, Blut rann aus einem zerfetzten Ärmel. Mit einer Hand wischte er sich über die Augen, mit der anderen stützte er sich stöhnend an einen Baum. „Wir haben zwölf Verwundete, Sir; wir haben sie hinter einen der Hügel bringen können.“

      Heftig atmend schaute er die Gatling an und schüttelte den Kopf. „Die richtet nicht viel aus. Die verdammte Bande ist viel zu schnell dafür – und unsere Männer sind mittendrin.“

      Smith wollte etwas erwidern, als jemand brüllte: „Nicht schießen, nicht schießen!“ Vor ihnen kamen zwei ihrer Männer durch die Bäume auf sie zu. Fluchend ließen sie sich aus dem Sattel ins Gras hinuntergleiten. Einer hatte einen Pfeil in der Brust. Sein Kamerad half ihm, sich halb aufzurichten, und der Captain beugte sich über ihn. Leicht mit dem Kopf schüttelnd blickte er dann zu Oberstleutnant Smith. Der Trompeter stand stumm daneben, Schweißperlen auf der Stirn.

      „Der ist tot, Sir“, meinte der Captain überflüssigerweise und zog die Nase schniefend hoch.

      Smith nickte; das erkannte er auch. Sich an seinen Adjutanten wendend, sagte er: „Ich will genau wissen, was sich da vorn tut.“

      Der Bericht war kurz und knapp. Die Comanchen hatten ihre Reiterei überrumpelt. Es war ihnen gelungen, sich zwischen sie und die flüchtenden Frauen und Kinder zu werfen. Alles war viel zu schnell gegangen und sie selbst nicht auf diese Art Angriff vorbereitet gewesen. Was mit der Pferdeherde sei, fragte Smith. Die hatten die verdammten Comanchen schon längst in Sicherheit gebracht. Weiß der Teufel, wie. „Könnten die Geschütze …?“, versuchte es Smith mit einem Vorschlag. Er war sichtlich ratlos.

      „Können sie nicht.“ Der Adjutant schlug sich an die Seite,