G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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flog die nächste Ladung über die Bäume hinweg, da sah er durch sein Fernrohr hindurch, wie eine Wasserfontäne aufspritzte. „Scheiße!“, ungläubig starrte er dorthin. „Scheiße, dort ist ja Wasser – wieso ist dort Wasser?“ In diesem Moment wurde ihm alles klar. Der Pawnee hatte recht gehabt. Die Tipis standen tatsächlich am Fluss, doch der verlief nicht geradeaus, sondern er machte hier eine Biegung nach Osten, direkt auf ihre jetzige Position zu. Aufgeregt suchte er noch einmal die Gegend ab. Jetzt waren die Tipis auf einmal verschwunden. Darauf konnte er sich erst recht keinen Reim machen. Verwundert rieb er sich die Augen. Nein, keine einzige Zeltspitze war mehr zu sehen.

      Vielleicht waren sie ja doch getroffen wurden? Aber dann hätten sie ja im Wasser stehen müssen; dieser blöde Gedanke machte ihn total verrückt. Wo sind diese verdammten Tipis jetzt hin? Leise fluchend beschlich ihn eine Ahnung. Nein, unmöglich – sie konnten nicht weg sein, nicht so schnell. Die Reiterei stand immer noch angriffsbereit und wartete. Sollte er sie jetzt noch etwas näher in Richtung Fluss losschicken, um die Comanchen abzufangen? Seine Hände, die sich um den Zügel krampften, zitterten, denn jetzt wusste er, dass sie dem Fluss schon viel zu nahe waren. Wenn das stimmte, und er machte dort einen Bogen, dann gerieten sie höchstwahrscheinlich in die Schusslinie seiner eigenen Artillerie, wenn die dem Flussverlauf wie befohlen folgte. Sicher ließ der Captain seine Leute mit den Geschützen weiter vorrücken. Nur, dass sie jetzt dabei der Kavallerie in die Quere kamen. Eigentlich müsste der Captain das doch selber erkennen. Aber konnte er sich darauf verlassen? Würde er nicht seinerseits denken, dass er, Smith, die Kavallerie auf Abstand hielt? Aber was wurde dann aus ihrem Angriff auf das Lager? In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Einen Augenblick lang war er versucht, dem Trompeter einfach das Zeichen zum Angriff zu geben. Vorwärtsstürmen, zum Fluss hin, Comanchen töten!

      Nein, das war unmöglich. Sie waren hier an Ort und Stelle gebunden, erkannte er schaudernd. Eigentlich bereits viel zu nahe am Fluss. Schon in der Schusslinie der Artillerie? Er hoffte, nicht.

      Der First Lieutenant, der unbemerkt an ihn herangeritten war, musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

      Seine Gedanken erratend, meinte er: „Die Rothäute haben diese drei Tipis, die wir vorhin gesehen haben, abgebaut und sind verschwunden, Herr Oberstleutnant. Die Artillerie hat sie nicht zu uns gescheucht. Wir stehen hier fehl am Platz. Die Angaben dieses Pawnee waren entweder falsch, oder Ihr habt sie nicht richtig verstanden.“

      Der Oberstleutnant überhörte den Tadel; ja, ihm war durchaus bewusst, dass es stimmte. Mitten in seinen Überlegungen unterbrochen, schreckte er hoch. Sein Gesicht, das eine dunkelrote Farbe angenommen hatte, war völlig erstarrt. Ja, genau das Gleiche hatte er eben auch gedacht. Das bringt meine ganze Taktik durcheinander, wurde ihm endgültig klar. Es musste ihm etwas anderes einfallen – sofort. „Das wissen wir nicht genau, First Lieutenant Stones“, sagte er deshalb, um Zeit zu gewinnen. „Ich an Ihrer Stelle würde mich mit solchen Mutmaßungen zurückhalten – das kann Sie Ihre Stelle kosten.“ In hoch aufgerichteter, stolzer Haltung – der teure Sattel machte es möglich – wies er seinen Untergebenen zurecht. Glaubte er selber noch, was er da sagte?

      Der First Lieutenant jedenfalls zog wütend seine Stirn in Falten. Smith konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er an seinen Fähigkeiten zweifelte. Einen Blick auf den Trompeter neben ihnen werfend und einen auf seinen Vorgesetzten, presste Stones, sich kaum noch beherrschen könnend, zwischen nur leicht geöffneten Lippen hervor: „Ist mir scheißegal, was es mich kostet, Oberstleutnant. Wir sollten etwas unternehmen, bevor die verdammten Krieger auf ihren Mustangs sitzen und uns überrennen! Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Beordert Ihr uns jetzt zum Fluss, der ganz anders verläuft, als wir bisher glaubten, werden wir von unserer eigenen Artillerie beschossen.“

      Während er das sagte, krampften sich seine Hände um den Zügel. Es juckte ihn in den Fingern, diesem arroganten Fatzke von Oberstleutnant seine Faust ins Gesicht zu schlagen. Er hatte leichtsinnig das Leben seiner Kameraden in Gefahr gebracht, und mit seinem Zögern tat er das noch immer. Auch er – genau wie die halbe Kavallerie – hatte ja die Wasserfontäne gesehen und seine Schlüsse gezogen. Plötzlich hatten sich die Verhältnisse umgekehrt. Begriff Smith das denn nicht? Sie mussten sich der neuen Situation anpassen. Der Captain der Artillerie jedenfalls würde das tun; dessen war er sich sicher.

      „Die Geschütze – sie müssen weiter den Fluss hinauf, egal, wie viele Biegungen er auch noch macht“, rief Smith, ihn ignorierend, und schaute sich suchend nach einem Mann um, der diesen Befehl hinüber zur Artillerie bringen konnte.

      „Er windet sich wie eine Schlange“, fiel sein First Lieutenant ihm ins Wort. Dann, richtig wütend: „Ihr wollt doch jetzt nicht etwa jemanden mit diesem Befehl da rüberschicken? Und uns solange hier tatenlos schmoren lassen? Der Captain wird seine Geschütze flussaufwärts schicken. Besser wäre es, Ihr ließet die Artillerie schweigen und uns zum Fluss hinüberreiten, um das Ufer nach den verdammten Rothäuten abzusuchen. Vor allem nach den Tipis, die die Pawnee Euch ja gemeldet haben.“

      Diese Maßregelung seines Vorgesetzten war gewagt, aber das war dem Mann jetzt egal. Seine Finger öffneten und schlossen sich unaufhörlich, während er auf die Reaktion des Oberstleutnants wartete.

      Bewundernswert ruhig reagierte Smith. Um einen sachlichen Ton bemüht, sagte er lediglich: „Warten wir noch einen Moment, Stones. Wir stehen hier gut. Die Artillerie schießt schließlich nicht in den Wald, sondern auf das Flussufer. Die vermaledeiten Rothäute müssen aus ihren verlausten Tipis hervorgekrochen kommen. Diese Aufgabe wird die Artillerie meistern – glaubt es mir.“

      „Wenn die Haubitzen nur einen Strich weit abweichen, könnten sie uns …“, verkniff sich der First Lieutenant die nächsten Worte, da der Adjutant plötzlich auftauchte.

      „Die Comanchen könnten auch über den Fluss auf die andere Seite wechseln – was dann?“, sagte er, an seinen Vorgesetzten gewandt. Er hatte die Beiden wohl gehört.

      Mitten in den erneuten Beschuss hinein rief ihm Smith zu: „Das haben wir doch alles bereits besprochen – oder etwa nicht? Und wir waren uns darüber einig, dass sie das wegen des Beschusses nicht können. Also, Mann, haltet Eure Klappe!“

      Der Adjutant biss sich auf die Unterlippe. Er wusste es besser. Allein die Tatsache, dass der Fluss hier eine große Biegung machte, änderte alles. Es war durchaus vorstellbar, dass die Comanchen unbemerkt auf die andere Seite entkamen. Für die Krieger wäre das ein Leichtes. Allein die Tatsache, dass sie ihre Familien bei sich hatten, sprach dagegen.

      Smith blickte zuerst seinen Adjutanten und dann den First Lieutenant an. Die Artillerie wird die Comanchen aufscheuchen und uns in die Arme treiben, sagte er sich wieder. Er würde sich nicht anders entscheiden. Sein Adjutant sah stur an ihm vorbei und schwieg. Er wendete sein Pferd und entfernte sich. Der First Lieutenant blickte ihm enttäuscht nach. Der Befehl – und damit die Verantwortung – lag einzig und allein bei Smith. Die Disziplin musste gewahrt werden. Er war nicht bereit, seinen Irrtum, was den Flussverlauf und damit die Konsequenzen betraf, einzugestehen. Es waren die Pawnees, die ihn falsch unterrichtet hatten. Doch statt sich der neuen Situation zu stellen, hielt er hartnäckig das Fernrohr an sein Auge gepresst. ‚Erwartete er etwa, flüchtende Comanchen zu sehen?‘, fragte sich sein First Lieutenant.

      Ja, Oberstleutnant Smith erwartete genau das. Egal, ob die Artillerie nun in den Fluss oder daneben geschossen hatte – auf jeden Fall sollten sie die Indianer aufgeschreckt haben. Wieder zog er seine Uhr zu Rate. Zehn Minuten. Seit zehn Minuten tat sich nichts. Abermals strich er mit seinem Fernrohr über die Bäume, die den Fluss vor seinen Blicken abschirmten – dann noch einmal hinüber zu dem seltsamen Pfad. Als hätte es die vorangegangene Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen nicht gegeben, reichte er seinem First Lieutenant das Glas. „Seht Ihr dieses kleine Stück ausgetretenen Weg?“, fragte er, mit dem Zeigefinger deutend. „Dort irgendwo sind sie – ich kann sie förmlich riechen!“

      First Lieutenant Stones, ein hartnäckiger Mann, wagte erneut einen Vorstoß. „Mit den Geschützen kommen wir nicht weiter, Sir. Zum Fluss reiten können wir wegen des Beschusses nicht. Noch einmal mein Vorschlag: Schickt jemanden hinüber, und lasst die Geschütze schweigen. Dann sollten wir mit der Kavallerie von hier aus zum Fluss vorrücken, um dort nach den Comanchen