Dennis Willkomm

Roadmap durch die VUCA-Welt


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Hier wird die Geschichte eines Fabrikleiters erzählt, dessen Fabrik kurz vor dem Aus steht, weil der Konzern schlechte Zahlen schreibt. Durch einen glücklichen Zufall trifft der Fabrikleiter seinen ehemaligen Physikprofessor wieder, der ihn dadurch beeindruckt, dass er nicht nur ziemlich schnell durchschaut hat, wie schlecht es um die Fabrik eigentlich steht, sondern dem Fabrikleiter auch ein paar Denkanstöße mit auf den Weg gibt. Im Laufe der Geschichte arbeitet der Fabrikleiter immer enger mit dem Professor zusammen und lernt so die Grundzüge der Theory of Constraints kennen, die Sie später noch genauer ansehen werden (siehe Seite 57). So lernt er zum Beispiel, warum Überproduktion ein Problem darstellt und in welchen unterschiedlichen Erscheinungsformen sich Muda zeigt.2

      Lean spielt seine Stärken in der Produktion aus. Hier sind sehr viele Dinge geradlinig und vorhersehbar. Zu den Zeiten, als das Toyota Produktionssystem erfunden wurde, befand man sich noch in der Taylorwanne. Und in vielen Produktionsbereichen, die standardisierte Produkte herstellen, besteht diese Taylorwanne auch noch heute. Da, wo wenig Variabilität gefordert ist, hat man es mit komplizierten Systemen zu tun, und dort funktioniert eine Lean Produktion sehr gut. Müsste man hingegen täglich sehr flexibel auf seinen Kunden neu eingehen, weil er etwas komplett anderes fordert, dann müsste man auch täglich seine Produktionsstraße anpassen. Zwar gibt es gewisse Kundenwünsche, die auch in der Produktion viele Produkte zu Unikaten machen, aber diese sind vorhersehbar und durch Techniken wie Just-in-Time (JIT) Produktion behandelbar.

      Ursprünge der Agilität

      Die ersten beobachteten Ansätze, die schon sehr viele der Prinzipien und Werte reflektierten, die auch heute als „agil“ gelten, gehen zurück bis in das Jahr 1976. In diesem Jahr forderte das Unternehmen Canon von seinen Mitarbeitern eine technisch auf dem neusten Stand befindliche Kamera herzustellen, die aber mindestens 30 % günstiger sein sollte als alle bisher auf dem Markt befindlichen Produkte. Und das mit massivem Zeitdruck, denn es war harter Überlebenskampf in einem stark umkämpften Wettbewerb. Um das Ende vorwegzunehmen, das Team war erfolgreich. Heute ist Canon ganz vorne mit dabei, wenn es um Digitalfotografie und entsprechende Kameras geht. Damals jedoch stand man vor einer großen Herausforderung, die man mit den vorherrschenden tayloristischen Strukturen nicht lösen konnte.

      Wie die meisten anderen Unternehmen in dieser Zeit, war auch Canon sehr klassisch aufgestellt. Es gab spezialisierte Fachabteilungen, die für bestimmte Aufgaben zuständig waren. Hatten sie ihre Aufgabe erledigt, wurde diese ausführlich dokumentiert und an die Nachbarabteilung übergeben, die den folgenden Entwicklungsschritt ausführte und dann ebenfalls die Ergebnisse übergab. Um ein Produkt komplett zu revolutionieren, mussten neue Ideen her und schnelle Entscheidungen getroffen werden.

      Das Erfolgsgeheimnis, wie es den Mitarbeitern bei Canon gelang, diese große Herausforderung zu meistern, kann man in einem populären Artikel von Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka nachlesen (Takeuchi/Nonaka 1986). In ihrer Veröffentlichung mit dem Namen „The new new product development game“ beschreiben sie ihre gesammelten Beobachtungen aus verschiedenen Unternehmen. Neben dem Beispiel von Canon finden sich hier auch Beschreibungen des Vorgehens bei Honda, Fuji-Xerox und NEC. Takeuchi und Nonaka konnten dabei Muster erkennen, die sich durch alle Beispiele hindurchzogen. Diese verdichteten sie und verwendeten auch erstmals in einem Paper die Parallele zu Rugby. Dort gibt es eine Phase im Spiel, wo das Team die Köpfe zusammensteckt, ganz fokussiert ist, und die nächsten Schritte vorbereitet. Sie sprechen immer vom „Rugby-Ansatz“, aber auch das Wort „Scrum“ Scrumtaucht hier schon auf. Diese Bezeichnung sollte ein paar Jahre später von anderen Pionieren der Agilität wieder aufgegriffen werden.

      Das Missverständnis mit dem Wasserfall

      In vielen großen Unternehmen gibt es Fachabteilungen für bestimmte Aufgaben. Dies ergibt Sinn, weil es Fachleuten erlaubt, sich auf ihre Spezialgebiete zu konzentrieren. Ab einer bestimmten Größe braucht es noch Zwischenpositionen, also Manager, die darauf achten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen reibungslos funktioniert. Wie Sie eingangs schon gesehen haben, gibt es eine Reihe von Abteilungen, die Schnittstellen haben, an denen sie die Arbeit an die nächste Abteilung übergeben.

      So geht zum Beispiel ein Vertreter der Verkaufsabteilung zum Kunden und fragt ihn, was er benötigt. Der Kunde erklärt ihm jetzt eine fixe Idee und der Verkäufer kehrt zurück mit einem Katalog von Anforderungen. Diesen übergibt er nun einem Kollegen aus der Analyseabteilung und er selbst geht wieder nach draußen und besucht einen anderen Kunden. Sein Job ist an dieser Stelle für dieses Projekt erledigt. Der Analyst aus der Analyseabteilung setzt sich nun mit seinen Kollegen zusammen und diskutiert die Anforderungen. Sie schauen, was alles in das vorherrschende Konzept passt und ob und wann es umgesetzt werden kann. Wenn die Pläne konkreter werden, schreiben sie ihre Anmerkungen in ein Dokument und lassen es per Hauspost den Kollegen aus der Spezifikationsabteilung zukommen. Dann setzen sie sich zusammen und schauen sich den Anforderungskatalog eines anderen Kunden an. Die Mitarbeiter aus der Spezifikationsabteilung sehen sich das übergebene Dokument an und fangen an, sich Gedanken über die konkrete Umsetzung zu machen. Am Ende haben sie eine sehr schöne Funktionsbeschreibung, die Antworten auf die meisten Fragen zu bieten hat. Dieses umfangreiche Dokument wird dann der Entwicklungsabteilung zukommen lassen. Hier sitzen die Experten für die Umsetzung zusammen. Sie lesen sich die Funktionsbeschreibung durch und schreiten zur Tat. Schnell entsteht ein richtig schönes Produkt, welches sie jetzt, zusammen mit ein paar Kommentaren, welche Besonderheiten beachtet werden müssen, an die Qualitätssicherung übergeben. Hier wird das neue Produkt auf Herz und Nieren getestet. Wenn alle Tests erfolgreich durchlaufen sind, dann erfolgt eine Übergabe an eine Verkaufsabteilung, die das Produkt zum Kunden transportiert.

      Diese Abfolge mit all ihren Übergaben wird gerne stufenförmig wie eine Treppe dargestellt, was dann an einen Wasserfall erinnert. Daher hat diese Vorgehensweise den Namen Wasserfallmodell bekommen.

      Besonders stark diskutiert wird dieses Modell im Bereich der Softwareentwicklung, auch wenn es bei weitem nicht nur dort auftaucht. Aber im Bereich der Softwareentwicklung war man zeitlich schon sehr früh in einem recht komplexen Umfeld, was gewisse Erkenntnisse hier beschleunigt hat. Daher wurden einige Diskussionen, die auch in den meisten anderen Branchen von Relevanz sind, in dieser Domäne losgetreten und zuerst geführt. Denn so einfach, wie oben dargestellt, ist der Weg von einem Kundenwunsch zu einem fertigen Produkt, das diesen Wunsch erfüllt, bei Weitem nicht.

      Es beginnt schon damit, dass die meisten Schnittstellen zwischen den Abteilungen so gestaltet sind, dass wenig direkte Kommunikation stattfindet. Die meisten Prozesse sehen vor, dass die Übergabe in Form standardisierter, schriftlicher Dokumente stattfindet. Dieses Dokument als Ergebnis der einen Abteilung stellt dann den Startpunkt für die Arbeit der nächsten Abteilung dar. Allerdings kommt es hier nicht selten zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen. Und so schleichen sich, nach dem Prinzip der stillen Post, zunehmend mehr Fehler ein. Wenn man Glück hat, dann fallen die Fehler während der Entwicklung bereits auf. Daher spielt hier die Qualitätssicherung eine wichtige Rolle.

      Die bekannteste Beschreibung des Wasserfallmodells stammt von Winston W. RoyceRoyce, Winston W. aus dem Jahr 1970 (Royce 1970). Das Wasserfallmodell ist aber schon deutlich älter und Royce hat in seinem oft herangezogenen Paper eher auf ein paar Schwachstellen verwiesen und vorgeschlagen, wie man sie beheben könnte.

      Abb. 10 :

      Schematische Darstellung des Wasserfallmodells mit Rückkopplung

      Dabei hatte Royce früh darauf hingewiesen, dass das Wasserfallmodell um ein paar Elemente erweitert werden müsse, die schon in eine recht agile Richtung deuteten. Das genutzte Wasserfallmodell stellte sich nämlich für ihn zunehmend als problematisch dar. Waren die ersten Programme noch vorhersehbar, so wurden die gewünschten Funktionalitäten zunehmend komplexer. Royce bemängelte vor allem, dass am Ende mitunter sogar unbrauchbare Ergebnisse herauskamen, auch wenn alle Abteilungen ihren Job hervorragend erledigt hatten. Er plädierte dafür, dass man Rückkopplungen berücksichtigen müsse. Dies würde zwar die Effizienz senken und Kosten verursachen, ihm war aber klar, dass dies notwendig war, um am Ende auch das zu liefern, was