Dennis Willkomm

Roadmap durch die VUCA-Welt


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Regeln für den Prozess: Kanban macht den Prozess explizit. Normalerweise geschieht dies auf dem Kanban-Board selbst, so dass alle Beteiligten genau wissen, welche Regeln gelten und wo sie zu finden sind. Wichtig ist dabei, eine genaue Definition zu haben, wann eine Aufgabe fertig ist und in die nächste Spalte gezogen werden kann. Auch die Bedeutung der einzelnen Spalten sollte möglichst eindeutig und klar beschrieben sein. Zudem muss geklärt sein, wer etwas ziehen darf, wann etwas gezogen wird und in welcher Reihenfolge die nächsten verfügbaren Tickets gezogen werden. Und natürlich muss auch das WIP-Limit klar ersichtlich sein und von allen eingehalten werden.

      5 Förderung von Leadership auf allen Ebenen: Wie Sie sich leicht vorstellen können, führen die bisher vorgestellten Praktiken dazu, dass Sie sehr schnell die Schwachstellen in den bisherigen Abläufen finden können, wie zum Beispiel Flaschenhälse. Um diese zu beheben kommt es auf das Engagement aller Beteiligten an. Nicht nur eine bestimmte Abteilung, sondern alle an der Wertschöpfung beteiligten Personen, egal in welcher Hierarchieebene, sind dazu aufgerufen, sich an der kontinuierlichen Verbesserung zu beteiligen. Zudem müssen auch alle Ebenen die vereinbarten Regeln einhalten (insbesondere das WIP-Limit).

      6 Verwendung von Modellen zur Erkennung von Chancen für Verbesserungen: Zur kontinuierlichen Verbesserung soll auch die Praktik führen, Modelle zu verwenden, um Chancen für kollaborative Verbesserungen zu erkennen. Dabei stellen die Modelle vereinfachte Darstellungen des Prozesses dar. Hier gibt es eine ganze Reihe von bekannten Ansätzen, die oft Verwendung finden. So zum Beispiel der Deming-Cycle (PDCA, Plan-Do-Check-Act) oder die Theory-of-Constraints, die Goldratt vorstellte (Goldratt/Cox 2013).

      Exkurs | EngpasstheorieEngpasstheorie (Theory of Constraints, TOC)

      Die Engpasstheorie besagt, dass der Durchsatz eines Systems einzig durch seinen Engpass bestimmt ist. Sie wurde von Eliyahu GoldrattGoldratt, Eliyahu entwickelt und veröffentlicht.

      Gemäß der Engpasstheorie existiert zu jedem Zeitpunkt genau ein Schritt in der Wertschöpfungskette, der einen Engpass darstellt und somit den Durchsatz begrenzt. Dieser Engpass ist oftmals das Glied in der Kette, welches die geringste Kapazität besitzt. Daher sollte das erste Bestreben sein, diesen Engpass zu finden und voll auszulasten. Dazu stellt man sicher, dass der Engpass zum einen möglichst wenig Leerlauf hat und zum anderen nur für die wichtigsten Aufgaben genutzt wird. Alles, was nicht unbedingt vom Engpass bearbeitet werden muss, sollte man auslagern. Fortan wird dann der Engpass den Takt für das Gesamtsystem vorgeben, also nur noch so viel Arbeit im System sein, wie die Kapazität des Engpasses zulässt. Alle Optimierungsversuche sollten sich dann auch auf den Engpass konzentrieren, da jede Optimierung an einer anderen Stelle nicht den Gesamtdurchsatz steigern würde und im Gegenteil nur zu Wartezeiten und Überproduktion führen würde. Folgt man diesen Empfehlungen und erhöht die Kapazität des Engpasses, dann wird man höchstwahrscheinlich in der Folge auf einen neuen Engpass stoßen, bei dem man genauso verfahren sollte.

      Goldratt bietet als Beispiel für Prozesssteuerung das sogenannte Drum-Buffer-Rope-Verfahren an. Dabei verwendet er als Bild eine Gruppe von Pfadfindern, die hintereinander im Gänsemarsch laufen, und als Gruppe ein gemeinsames Etappenziel erreichen sollen. Somit stellt der Pfadfinder, der das langsamste Tempo geht, den Engpass im System dar. Unser langsamer Pfadfinder bekommt bildlich gesprochen eine Trommel in die Hand (Drum), und bestimmt auf diese Weise den Takt des Gesamtsystems. Es kann auch jederzeit zu Störungen vor dem Engpass kommen. In unserem Bild beispielsweise ein stolpernder Pfadfinder, der den langsamsten in der Kette dadurch aufhält. Das würde bedeuten, dass der Engpass nicht optimal ausgelastet werden kann, da er abbremsen oder sogar anhalten müsste. Also sollte ein vernünftiger Puffer vor dem Engpass eingerichtet werden, so dass kleinere Ausfälle (Stolpern) den Engpass nicht verlangsamen (Buffer). Zuletzt sollte nun durch das Tempo des Engpasses und die Größe des Puffers gesteuert neue Arbeit in das System gezogen werden. Im Beispiel unserer Pfadfindergruppe würde ein Seil zwischen dem vordersten Pfadfinder in der Gruppe und dem Engpass gezogen, das die Zwischenräume steuert, so dass ein bestimmter Puffer vorhanden ist.

      Hält man die vorgeschlagenen Praktiken ein, dann stellt Kanban ein Werkzeug für die evolutionäre Veränderung in Unternehmen dar. Durch das Aufdecken von Engpässen im System und der Konzentration auf eine kontinuierliche Verbesserung wird nach und nach das Gesamtsystem immer leistungsfähiger.

      Beim Einsatz von Kanban spielt das Einhalten von WIP-Limits eine sehr große Rolle. Gerade Teams, die noch unerfahren mit dieser Vorgehensweise sind, tendieren dazu, die Begrenzungen zu ignorieren. Dies kann zum einen daran liegen, dass sie noch nicht ganz verstanden haben, welch große Bedeutung die Limitierung der Arbeit für den evolutionären Veränderungsprozess in Kanban besitzt. Zum anderen ist es aber auch häufig so, dass viele traditionelle Unternehmen großen Wert darauflegen, alle zur Verfügung stehenden „Ressourcen“ optimal auszulasten. Daher fühlen sich die Mitglieder eines Arbeitsteams verpflichtet, lieber eine neue Aufgabe zu beginnen, anstatt untätig herumzusitzen. Wie die Engpasstheorie jedoch verdeutlicht, führt das dazu, dass sich die Arbeit vor dem Engpass auftürmt und somit mehr Probleme entstehen, als es Mehrwert bringt. Umso wichtiger ist es, die Arbeit entsprechend zu visualisieren. Denn es geht darum, die Arbeit zu managen und sich die Menschen darum herum selbst organisieren zu lassen. Wenn die Arbeit allerdings nicht sichtbar ist, dann könnte leicht die Tendenz entstehen, das zu managen, was die Manager sehen können: die Menschen.

      Der Fokus sollte erst einmal darauf liegen, den Engpass zu entlasten und dafür zu sorgen, dass wieder Kapazitäten frei werden. Wenn hier keine Möglichkeit der Unterstützung besteht, dann kann man die entstandene Zeit für die Verbesserung des Prozesses und des Gesamtsystems zu nutzen, mit dem Ziel, den Engpass langfristig zu beheben. Diese freigewordene Zeit wird oftmals auch als Slack bezeichnet und spielt in so gut wie allen agilen Rahmenwerken eine wichtige Rolle. Slack ist wichtig und notwendig, um die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems kontinuierlich zu steigern.

      Bisher haben wir gesehen, wie Kanban funktioniert, wenn ein Team eine Anforderung von der Aufnahme bis zur Umsetzung komplett bearbeitet. In der Praxis wird es aber in einem großen Unternehmen mehrere Teams geben, die in irgendeiner Form zusammenarbeiten müssen, um eine Aufgabe wirklich abzuschließen. Hier ergeben sich schnell Abhängigkeiten und es ist zum einen oft unübersichtlich, zum anderen kaum möglich, ein einziges Kanban-Board zu haben, das alle Arbeitsschritte in der gewünschten Granularität visualisieren kann. Viele einzelne Kanban-Teams machen daher noch nicht automatisch ein agiles Unternehmen aus. Ein anschauliches Beispiel, wie man zu echter „Business-Agilität“ gelangt liefert Klaus Leopold, der zur Orientierung verschiedene Flight-Level (Flughöhen) vorschlägt (Leopold/Kaltenecker 2018).

      Auf dem obersten Flight-Level schaut man auf die Wertschöpfungsketten, die in einem Unternehmen vorhanden sind. Die meisten Unternehmen haben mehr als ein Produkt oder teilen ihre Arbeit in unterschiedliche Projekte auf. Diese stellen sehr häufig auch eigene Wertschöpfungsketten mit gewissen Besonderheiten dar. Auf der oberen Ebene interessiert man sich genau für diese unterschiedlichen Initiativen und nutzt die Kanban-Praktiken, um auf dieser Granularität den Gesamtwert für das Unternehmen zu optimieren.

      Das Flight-Level darunter konzentriert sich auf eine dieser Wertschöpfungsketten und stellt die Arbeitsschritte und die Aufgaben in einer Granularität dar, die eine Koordination der verschiedenen beteiligten Teams ermöglicht. Es ist die Ebene der Koordination.

      Geht man noch ein Level tiefer, so ist man auf der Team-Ebene, wo die Arbeit, die von einem Team erledigt wird, visualisiert und optimiert wird. Wenn hier Arbeiten abgeschlossen werden, wird diese Aktualisierung auf das darüberliegende Level übertragen. Würde man Kanban nur auf das Teamlevel beschränken, dann würde es eventuell zu lokalen Optimierungen kommen, die – wie wir gesehen haben – das Gesamtsystem eventuell sogar verschlechtern. Durch die unterschiedlichen Flughöhen hat man aber auf unterschiedlichen Ebenen die Engpässe und auch mögliche Verbesserungen im Blick, so dass man die gesamte Wertschöpfungskette und auch das gesamte Unternehmen verbessern kann.

      Im Zusammenhang mit Kanban fällt oft der Begriff Kaizen, was sich aus den japanischen Begriffen kai (Wandel) und zen (zum Besseren) ableitet. Kaizen beschreibt den kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der sich bei