C.S. Poe

Das Geheimnis von Nevermore


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nicht klagen«, sagte ich ein bisschen verwirrt. Es war interessant, eine Person ihrer Größe zu sehen, die so viel Selbstbewusstsein ausstrahlte, dass ich mich niemals trauen würde, sie infrage zu stellen.

      »Was können Sie mir über Ihre Kunden sagen?«

      Ich zuckte mit den Schultern, bevor ich meine Arme verschränkte. »Normale Leute, manche haben viel Geld, manche suchen nach Kuriositäten. Anzugträger, Hipster, hier kommt jeder mal rein.«

      Sie nickte. »Wäre es in Ordnung, wenn Sie Ihre Sonnenbrille abnehmen würden?«

      »Kann ich nicht.«

      Lancaster warf Winter einen kurzen Blick zu, bevor sie fragte: »Wieso nicht?«

      »Ich bin lichtempfindlich. Wenn Sie die Deckenbeleuchtung ausmachen, kann ich sie abnehmen«, erklärte ich und deutete zur Decke.

      Winter wandte sich ab und rief den uniformierten Beamten etwas zu. Das Licht ging aus und der Laden wurde wieder nur noch von den sinnvoll platzierten Stehlampen beleuchtet.

      »Besser?« Lancasters Ton war weder spöttisch noch unfreundlich, was ich zu schätzen wusste.

      Ich schob die Sonnenbrille nach oben, sodass sie auf meinem Kopf saß, und setzte meine normale Brille wieder auf. »Danke«, sagte ich schnell.

      »Das nennt man Photophobie, oder?«

      »Ich habe Achromatopsie.«

      »Verstehe.« Sie fragte mich nicht nach Einzelheiten. »Ist Ihnen in den letzten paar Wochen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      »Nicht wirklich.«

      »Wer hat das Körperteil gefunden?«

      »Ich, als ich reingekommen bin. Es hat furchtbar gestunken und ich habe versucht, herauszufinden, woher der Geruch kommt.«

      »Hatten Sie vor Kurzem einen Einbruch oder wurden Gegenstände gestohlen?«

      »Nein«, antwortete ich. »Was ist hier los? Ich gehe davon aus, dass das hier etwas Größeres ist, sonst würden Sie mich nicht so ausfragen.«

      »Warum denken Sie das?«

      Ich lebe mit einem Polizisten zusammen, wollte ich sagen. Vier Jahre mit Neils Geschichten hatten bei mir ein, zugegebenermaßen ungesundes, Interesse an Whodunit-Mysterien geweckt. Statt das zu sagen, zuckte ich nur mit den Schultern.

      Zum ersten Mal meldete sich Winter zu Wort. »Kennen Sie Bond Antiquitäten?«

      »Ja, der Laden ist an der Kreuzung zwischen der Bond Street und Lafayette«, erwiderte ich.

      »Wie würden Sie Ihre Beziehung zu dem Besitzer beschreiben?«

      »Ich weiß nicht, was das mit der Situation zu tun hat«, bemerkte ich. »Mike Rodriguez und ich kennen uns seit einer ganzen Weile.«

      »Kommen Sie gut miteinander aus?«

      »Er ist meine Konkurrenz. Was ist los?«

      »Sebastian«, rief auf einmal eine vertraute Stimme nach mir.

      Ich ignorierte Detective Winter und sah an ihm vorbei. Neil bahnte sich seinen Weg zu mir und befreite seinen Mantel von Schnee. Ich war sowohl glücklich als auch frustriert, ihn zu sehen. Schließlich hatte ich ihn nicht angerufen, um ihm zu erzählen, was passiert war, also gab es eigentlich keinen Grund für ihn, hier zu sein. Fragend drehte ich mich zu Max um, doch dieser hob abwehrend seine Hände und schüttelte den Kopf.

      »Was ist los?« Neil sah mich durchdringend an, als er bei uns angekommen war. Er wandte sich den beiden anderen Detectives zu und zog seine Dienstmarke aus seiner Manteltasche hervor. »Detective Millett, CSU.«

      Lancaster schien nicht interessiert zu sein. »Detective Lancaster, Mordkommission«, antwortete sie mit einem kurzen Kopfnicken. »Mein Partner, Winter. Wir haben noch keine Spurensicherung angefordert.«

      »Mordkommission?« Sicher, theoretisch bedeutete ein Herz ohne Körper etwas Düstereres als einen Medizinstudenten, der seinen Kurs nicht bestehen konnte, weil seine sowieso schon verstorbene Testleiche kein Herz mehr hatte. Aber das Wort Mord zu hören, schockierte mich dann doch. Mein Blick fiel auf Neil, der ein bisschen nervös und besorgt zu sein schien. Für eine Minute freute ich mich, weil er um mich besorgt war. Mit einem Schlag verflog der ganze Ärger, den ich Neil gegenüber dachte zu haben, und ich wollte ihn einfach nur umarmen.

      »Sebastian ist … ein Freund«, sagte Neil schließlich.

      »Freund«, wiederholte Winter in einem Ton, der mir nicht sonderlich gefiel.

      »Er rief mich an.«

      Verdammt, Neil. Er war so fest davon überzeugt, seine Autorität zu verlieren, nur weil er außerhalb der Arbeit ein normales Leben führte, dass ich nach vier Jahren immer noch nur ein Freund war.

      »Wir sind gerade dabei, Mr. Snow ein paar Fragen zu stellen«, sagte Winter, bevor seine Augen wieder zu mir wanderten. Sein Blick war intensiv genug, um mich bis auf meine Knochen auszuziehen. »Sonntagnacht wurde bei Mr. Rodriguez eingebrochen.«

      »Das tut mir leid zu hören«, sagte ich und wandte mich endlich von Neil ab. »Wurde etwas gestohlen?«

      »Die Ermittlungen dauern noch an. Er hat aber Sie beschuldigt.«

      »M-Mich?« Ich war überrascht. »Was …? Mike denkt, ich sei bei ihm eingebrochen?«

      »Warum würde er das behaupten?«, fragte Winter.

      »Keine Ahnung«, sagte ich schnell.

      Da meldete Lancaster sich wieder zu Wort. »Wo waren Sie Sonntagnacht? Nach acht.«

      Neils Verzweiflung konnte ich im ganzen Körper spüren. Ich war mit ihm zu Hause gewesen. Gegen acht hatten wir es gerade miteinander getrieben, bevor sich das Ganze vorzeitig in einen Streit verwandelt hatte, der bis neun gedauert hatte. Dort war ich gewesen. »Daheim«, sagte ich einfach. »Okay, ich beantworte keine Fragen mehr ohne einen Anwalt. Ich habe angerufen, weil ich ein menschliches Herz in meinem Laden gefunden habe, und jetzt beschuldigen Sie mich, jemanden ausgeraubt zu haben.«

      Neils Hand war an meinem Ellbogen und er nahm mich beiseite. Er zerrte mich bis zum anderen Ende des Ladens und drehte sich zu mir um. »Was zum Teufel geht hier vor sich?«, flüsterte er.

      »Was hier vor sich geht? Was tust du hier?«

      »Ich bin Polizist, Sebby.«

      »Nenn mich nicht so.«

      »Was für ein menschliches Herz? Wieso hast du mich nicht angerufen?«

      Es war mir, ehrlich gesagt, gar nicht in den Sinn gekommen, Neil anzurufen. Ein, zwei Jahre zuvor wäre es vielleicht meine erste Reaktion gewesen, meinen Freund von der Polizei anzurufen, um dieses kleine Problem zu klären. Doch jetzt hatte ich diesen Gedanken überhaupt nicht gehabt. Das war beunruhigend. »Nette Lüge, die du da erzählt hast, übrigens«, sagte ich, statt ihm zu antworten. »Ich hab dich angerufen? Wieso zum Teufel bist du hergekommen, wenn nicht, um für mich da zu sein?«

      »Hör auf«, flüsterte er. »Wir fangen diesen Streit nicht noch mal an.«

      »Geh zurück an die Arbeit, Neil. Alles ist gut«, sagte ich.

      »Du hast nicht …?«, er zögerte.

      »Ihnen von uns erzählt? Nein. Ich weiß mittlerweile Bescheid.«

      Neil knirschte mit den Zähnen. Er sah wütend aus. Er drehte sich zu den anderen Polizisten um und fragte: »Ist das Calvin Winter?«

      »Was? Ja, wieso?«

      »Pass auf, was du zu ihm sagst.«

      »Wieso, Neil?«

      »Weil ich gehört habe, dass er homophob ist«, sagte er.

      Ohne nachzudenken, antwortete ich: »Du bist homophob.«

      Neil sah wieder zu mir, mit einem komischen Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten