C.S. Poe

Das Geheimnis von Nevermore


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Neil kam in die Küche geschlendert. Er kannte den Geruch gut.

      »Wir müssen bald einkaufen gehen«, antwortete ich. »Wir haben nicht viel Auswahl.«

      Er ging einen Schritt an mir vorbei und öffnete den Kühlschrank. »Willst du ein Bier?«

      »Klar, warum nicht?«

      Geschickt öffnete er die Bierflaschen und stellte eine neben mir auf die Küchenzeile, bevor er sich mir gegenüber an die Wand lehnte. »Also, sag mir, was heute Morgen passiert ist.«

      Ich erzählte die ganze Geschichte noch einmal und es kam mir mittlerweile vor, als hätte ich das schon hundertmal getan. Währenddessen fing ich an, die Soße mit Salz, Pfeffer, Tabasco und anderen Gewürzen, die wir im Küchenschrank hatten, zu verfeinern. »Aber es war nicht menschlich. Es war ein Schweineherz.«

      »Was haben die Detectives gesagt?«

      Abwesend zuckte ich mit den Schultern. »Lancaster hat gesagt, ich solle wieder normal öffnen und mich um ein besseres Sicherheitssystem kümmern.«

      »Und dieser Winter-Typ?«

      Über meine Schulter warf ich ihm einen fragenden Blick zu. »Wieso magst du ihn nicht?«

      »Ich habe dir gesagt, wieso.«

      »Er hat aufgehört, mich über Mike auszufragen, und ist dann ebenfalls gegangen.« Ich hatte mich wieder der Soße zugewandt, aber hielt inne und sah Neil noch mal an. »Du hast nichts davon gehört, oder? Dass bei Mike eingebrochen wurde?«

      Neil schüttelte den Kopf, bevor er von seinem Bier trank. »Ist vielleicht in einer anderen Abteilung gelandet.«

      »Wieso, denkst du, würde Mike mich beschuldigen, bei ihm eingebrochen zu sein?«

      »Weil er ein Arsch ist.«

      »Ja, aber …«

      »Nichts aber«, unterbrach Neil mich. »Er hatte es schon immer auf dich abgesehen, Seb.«

      Ich nahm einen Schluck Bier und dachte über meinen nächsten Kommentar nach. »Ehrlich gesagt habe ich darüber nachgedacht, ihn nachher anzurufen.«

      Neil starrte mich an, als ob mir ein zweiter Kopf gewachsen wäre. »Bist du bescheuert?«

      »Wie bitte?«

      »Sebby, halt dich da raus. Lass die Polizei herausfinden, was Mike passiert ist. Sei kein Idiot und belästige ihn nicht.«

      »Wer hat denn etwas von Belästigung gesagt? Ich will nur fragen, ob er okay ist.«

      »Egal«, antwortete Neil. »Die Polizei kann es nicht brauchen, dass du ihn kontaktierst, nachdem er mit dem Finger auf dich gezeigt hat, okay?«

      Was Neil sagte, machte natürlich Sinn. Und wer würde da besser Bescheid wissen als ein Polizist? Ich trank noch mal von meinem Bier und konzentrierte mich dann voll und ganz aufs Abendessen. Neil riss mich kurze Zeit später aus meinen Gedanken, als er meinen Namen sagte.

      »Seb, versprich mir, dass du deine Nase nirgendwo reinsteckst, wo sie nicht hingehört.«

      »Wieso denkst du, dass ich so etwas tun würde?«

      Die Frage brachte Neil zum Lachen. »Weil ich weiß, dass du die Aufregung magst. Die zweihundert Mystery-Romane im Wohnzimmer bestätigen das.«

      »Das sind keine zweihundert«, versuchte ich mich zu verteidigen. Und selbst wenn. Ich fand Spannung super.

      »Seb«, sagte er wieder, dieses Mal noch ernster.

      »Ich versprech’s.« Langsam wurde ich ein bisschen sauer. »Du hast ja recht. Ich verstehe das.« Bevor Neil noch etwas antworten konnte, bemerkte ich: »Wie das Herz in den Laden gekommen ist, ist aber noch nicht geklärt.«

      »Hm?«

      »Wie kommt ein Schweineherz unter meinen Fußboden, Neil?« Ich drehte mich zu ihm um. »Ich habe es da nicht deponiert und ich war derjenige, der den Laden gestern abgeschlossen hat. Das Tor habe ich ganz sicher zugesperrt und den Sicherheitsalarm habe ich auch eingeschaltet.«

      »Es war vermutlich ein Streich«, meinte er schulterzuckend.

      »Ein Streich?«, wiederholte ich. »Von wem?«

      »Weiß ich nicht. Kinder, Teenager. Jemand, der nicht ganz dicht ist. Komm schon, du bist wahnsinnig beschäftigt, wenn du im Laden bist. Du und Max könnt nicht ständig alles im Blick haben.«

      Natürlich hatte Neil ein Stück weit recht. Den heutigen Tag ausgenommen, war es sehr hektisch und voll in letzter Zeit. Es waren immer mal wieder mehrere Kunden gleichzeitig im Laden gewesen, es war neue Ware geliefert worden, Artikel waren für eine Auktion abgeholt worden und ich hatte gar nicht alles überblicken können, was vor sich gegangen war.

      »Aber wozu?«

      »Wozu gibt es Hotdog-Wettessen?«, entgegnete Neil mit einem Grinsen. »Menschen machen ab und zu dumme Sachen, Seb.«

      »Vermutlich hast du recht. Es ist aber schon ein bisschen dramatisch. ‚Das verräterische Herz.’«

      »Das was?«

      »Poe«, erklärte ich. »›Es ist das grauenhafte Klopfen seines Herzens!‹«

      »Oh, ja, ich glaube, das habe ich in der Schule gelesen«, erwiderte Neil nachdenklich.

      »Ein alter Mann mit einem blinden Auge wird ermordet und zerteilt. Der Mörder denkt, er höre das Herz unter seinen Fußbodendielen, wo er die Leiche versteckt hat«, versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen. »Er dreht durch vor Schuldgefühlen, während die Polizei wegen einer vermeintlichen Ruhestörung bei ihm ist.«

      »Verdammt.«

      »Zum Glück bin ich nur farbenblind.« Ich konnte mir ein bisschen Sarkasmus nicht verkneifen.

      Während des Essens sahen wir uns einen Krimi im Fernsehen an, was bedeutete, dass sich Neil eigentlich 45 Minuten lang nur darüber beschwerte, dass sich die Spurensicherung am Tatort falsch verhielt und niemand so schnell DNA-Ergebnisse zurückbekam. Verärgert schaltete Neil schließlich um und wir landeten bei Kevin – Allein zu Haus.

      »Ich wollte das schon immer machen«, sagte Neil, als wir später am Abend im Dunklen saßen und Wein tranken.

      »Macaulay Culkin sein?«

      »Die Bösewichte schnappen.«

      »Das tust du«, meinte ich. »Nur mit Spielzeug für große Jungs. Du bist ein bisschen zu alt, um Treppen zu teeren oder Spielzeugpistolen zu benutzen.«

      Neil legte mir seinen Arm um die Schultern und ich machte es mir gemütlich. Es war schön, den Abend zusammen zu genießen, ohne sich wegen Nichtigkeiten zu streiten. Bestimmt dachte Neil dasselbe, denn er lehnte sich näher zu mir und küsste mich auf den Kopf.

      »Hey«, murmelte er.

      »Hey, was?« Ich sah auf. Meine Sicht war wesentlich besser im Dunklen und ich konnte Neils Gesichtsausdruck gut erkennen.

      »Wieso hauen wir nicht ab?«

      »Wohin?« Ich musste lachen.

      »In das Zimmer nebenan.« Neil lehnte sich nach vorn und legte unsere Brillen auf den Couchtisch, bevor er aufstand.

      Auch ich erhob mich und nahm Neil bei der Hand, die er mir entgegenstreckte. Er führte mich in unser überfülltes Schlafzimmer, hob meine Tasche vom Bett und schloss die Tür.

      »Hast du Angst, dass uns jemand sehen könnte?«

      Er hielt kurz inne, bevor er sich zu mir umdrehte. »Um die kalte Luft draußen zu lassen, Seb«, korrigierte er mich in einem Ton, den ich als seinen Sebastian-du-stellst-dich-ganz-schön-an-Ton kennengelernt hatte. Ich mochte es nicht, weil er diesen Tonfall normalerweise nur benutzte, wenn wir im Begriff waren, eine Diskussion über seine Sexualität zu führen.

      Neils Hand fand meine Taille, die andere meinen Hinterkopf und er