es noch mal, bevor ich meinen Dad anstarrte. Wir sahen uns wahnsinnig ähnlich. Er war gut gealtert und ich hoffte, dass das vererbbar war. Wir hatten dasselbe dunkelbraune Haar, auch wenn seins mittlerweile eher grau war. Sagte er zumindest. Wir hatten beide buschige Augenbrauen und einen Gesichtsausdruck, den meine Ex-Freunde einst als süß und ein bisschen dämlich, aber liebenswert bezeichnet hatten. Man konnte es auch so ausdrücken: Sexy war keins der Adjektive, die Dad oder ich je zu hören bekommen hatten.
»Kaffee?«
»Gern«, sagte ich und Dad gab einen Schluck Milch in beide Tassen.
»Du hast aufgebracht geklungen am Telefon.« Er fing an, den Kaffee einzugießen.
»Wirklich?« Ich nahm die Tassen und brachte sie zu dem kleinen Esstisch.
»Ist alles okay mit Neil?«
Ich setzte mich langsam hin und drehte mich dann zu ihm um. Er kam mir mit dem Teller Donuts entgegen. »Alles okay.«
Dad sah mich kritisch an, als er sich zu mir setzte. »Ja?« Das war eine rhetorische Frage.
»Es ist okay«, sagte ich. »Es geht in letzter Zeit ein bisschen drunter und drüber, das ist alles.«
»Hauptsächlich drunter«, murmelte Dad. Er nahm sich einen Donut und brach ihn in zwei Hälften, bevor er genüsslich in eine reinbiss.
Es machte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, also blieb ich still und griff nach meinem eigenen Donut.
»Das ist nicht gesund, Sebastian.«
»Die Donuts?«
Er fand das nicht sonderlich lustig. »Du hast genug durchgemacht, als du ein Teenager warst. Du solltest kein Drama in deinen Dreißigern mehr haben müssen.«
»Dad, ich wurde in der Schule wegen meiner Kleidung gehänselt. Nicht, weil ich schwul bin. Erinnerst du dich an den Tag, als ich aus Versehen eine violette Hose mit einem gelben T-Shirt anhatte?« Ich konnte immer noch nicht verstehen, wieso das so ein Fashion-Fauxpas war.
»Ist egal«, meinte Dad. »Du bist erwachsen. Ich werde nicht hier sitzen und dir bei deiner Wahl eines Partners reinreden.«
»Weiß ich zu schätzen.« Ich rieb meine Hände aneinander, um sie von übrig gebliebenen Donutkrümeln zu befreien, verschränkte sie dann hinter meinem Kopf und lehnte mich zurück. »Gestern ist etwas Seltsames im Imperium passiert«, fing ich an und versuchte, damit die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken.
Nachdem ich Dad die ganze Geschichte erzählt hatte, fragte er: »Das verräterische Herz?«
Ich lachte kurz auf. »Das ist genau das, woran ich dachte.«
Mein Vater kannte Literatur in- und auswendig, vor allem die von einer so begabten, gequälten Seele wie Edgar Allan Poe. Wir hätten ihm schließlich moderne Detektivgeschichten zu verdanken, hatte mein Vater immer gesagt, als ich aufgewachsen war. Poe hatte geholfen, Science-Fiction zu dem zu machen, was es heute war, und hatte es geschafft, Geschichten mit verschlüsselten Botschaften populär zu machen. Dad konnte tagelang von amerikanischen Schriftstellern und ihrem Einfluss auf die Literatur erzählen.
»Es ist seltsam, oder?«
»Es ist definitiv nicht sehr weihnachtlich. Wie ist es unter deinen Fußboden gekommen?«
»Keine Ahnung. Neil meint, dass mir jemand einen Streich gespielt habe, während Max und ich zu beschäftigt waren, um richtig aufzupassen.«
Dad dachte für einen kurzen Moment angestrengt nach und fing an, seinen dritten Donut zu essen. »Ich habe nichts über Mike und seinen Laden in den Nachrichten gehört. Das tut mir leid für ihn.«
»Das kommt bestimmt daher, dass im Fall des Einbruchs immer noch ermittelt wird.« Ich trank meinen Kaffee und schaute zu, wie mein Vater sich von Maggie ablenken ließ. »Hey, Dad«, sagte ich leise und stellte meine Tasse ab. »Kann ich dich etwas fragen?«
»Klar«, antwortete er und wuschelte über Maggies großen Kopf.
»Wieso hast du nicht mehr geheiratet? Nachdem Mom abgehauen ist?«
Er hielt kurz inne und sah mich dann an. »Das kommt gerade aus dem Nichts.«
»Ich bin nur neugierig«, meinte ich mit einem Schulterzucken.
»Na ja, ich war zu beschäftigt damit, dich großzuziehen.«
»Du ziehst mich nicht mehr groß.«
»Ein Vater hat nie Feierabend.«
»Ich will nur nicht, dass du einsam bist. Das ist alles.«
Er grunzte. »Du denkst, ich sei einsam, Sebastian?«
Es schien besser, das nicht zu beantworten, daher zuckte ich nochmals mit den Schultern.
»Bin ich nicht. Aber willst du etwas wissen?«
Will ich?
»Was denn?«
»Es ist nie gut, wenn man seine eigenen Gefühle auf jemand anderes projiziert.«
New York City hatte über acht Millionen Einwohner. Acht Millionen. Und ich war einsam. Ich war mit Neil jetzt schon seit vier Jahren zusammen. Damals hatte ich mich Hals über Kopf in den intelligenten, sexy Polizisten verliebt, und vor sechs Monaten hatte ich ihn endlich gefragt, ob er bei mir einziehen wollte. Das hatte sich wie ein großer Schritt in die richtige Richtung angefühlt. Ich dachte, dass Neil sich bestimmt nicht mehr verstecken wollen würde, wenn wir erst einmal zusammenwohnten. In meinem Kopf hatte ich mir das so schön vorgestellt: Er wäre out and proud und wenn Leute uns zusammen sähen, würden sie wissen, dass ich sein Partner war.
Leise schnaubte ich vor mich hin, als ich nach dem Besuch bei meinem Dad den Gehweg entlanglief. Neil und ich lebten nun zusammen in dieser kleinen Wohnung und ich hatte mich noch nie so weit von ihm entfernt gefühlt. In den ganzen letzten vier Jahren nicht. Alles war vor sechs Monaten den Bach runtergegangen und ich sah das jetzt erst richtig ein. Frohe verdammte Weihnachten, Sebastian.
Es war kalt und der Wind war stark genug, um mich hin und her zu schleudern. Trotzdem beschloss ich, auf meinem Heimweg bei Mike vorbeizuschauen und mit ihm zu reden. Ob Neil dem zustimmte oder nicht, war mir egal. Ich war verflucht noch mal erwachsen, und wenn ich Mike fragen wollte, wieso er mich beschuldigte, ihn bestohlen zu haben, dann konnte ich das tun.
Obwohl Mikes Laden nicht weit von Dads Wohnung entfernt war, war ich komplett durchgefroren, als ich endlich bei der Bond Street ankam. Die Autos am Straßenrand waren unter mindestens 30 cm Schnee begraben, aber trotzdem konnte ich den Umriss von Mikes berühmten 1957er Chrysler New Yorker erkennen. Angeblich war die offizielle Bezeichnung der Farbe des Autos Babyrosa, aber die Nachbarn nannten es immer das Hubba-Bubba-Mobil. Vermutlich wäre der Witz lustig, wenn ich wüsste, welche Farbe Hubba Bubba hatte. Immerhin war mir beim Anblick des Autos klar, dass Mike zu Hause war. Er wohnte in einer Wohnung direkt über seinem Laden.
Schnellen Schrittes ging ich zu den Treppen auf der Seite des Gebäudes, die direkt zu seiner Wohnung führten, aber hielt inne, noch bevor ich die erste Stufe erreichte. In Bond Antiquitäten war es dunkel, aber die schwere Eingangstür stand offen. Gerade mal weit genug, um ein bisschen im Wind hin und her zu schwingen. Schnee war bis in das Ladeninnere vorgedrungen und bedeckte dort den Boden. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf, als ich der Tür zusah, wie sie vor und zurück schwang. Ich sah mich um, konnte aber niemanden auf der Straße erkennen. Meine Hände fingen an, zu schwitzen, als ich zur Türklingel von Mikes Wohnung hastete und den Knopf drückte.
Niemand antwortete.
»Komm schon, du alter Grießgram«, murmelte ich vor mich hin und klingelte noch mal, und noch mal.
Hastig joggte ich zurück zur Straße und versuchte, ein Lebenszeichen durch die Fenster zu erkennen. Aber mit dem Schnee und meiner nicht vorhandenen Fähigkeit, gut zu sehen, konnte ich nicht ausmachen, ob das Licht an war oder nicht. Mike könnte einfach in seinen Laden hinuntergelaufen sein, um etwas zu holen. Er war vermutlich drinnen und wohlauf, während ich