du heimgehen und …?«
»Ich bin auf der Arbeit.«
»Weiß ich, aber hör zu. Bitte geh heim.« Ich sprach leise und blickte auf, um sicherzugehen, dass Winter mir nicht zuhörte. Doch der war damit beschäftigt, sich mit der Frau zu unterhalten, die darauf wartete, mich nackt zu sehen. »Kannst du mir bitte Kleidung zum Wechseln mitbringen? Und eine Jacke? Und sie dann zu Bond Antiquitäten bringen?«
»Was ist los?«
»Erklär ich dir, wenn du da bist. Bitte beeil dich.«
Er beeilte sich. Innerhalb von zwanzig Minuten war Neil vor Ort, was sicherlich nicht ungefährlich gewesen war bei dem Wetter. Ich war ihm dankbar, denn das Blut war mittlerweile getrocknet und fühlte sich wahnsinnig unangenehm an. Nervös sah ich Neil dabei zu, wie er seine Dienstmarke vorzeigte und sofort reingelassen wurde. Er hatte einen Rucksack dabei und blickte sich wachsam um.
»Detective Millet?«, fragte Winter und trat in Neils Weg, bevor ich ihn mit meinem Aussehen schockieren konnte.
Neil drehte sich um, als sein Name fiel. »Oh, Winter. Hallo.«
»Bist du Teil meines Spurensicherungsteams? Du bist spät dran.«
Neil schüttelte den Kopf. »Nein … ich bin nicht …« Offensichtlich war er mit der Situation überfordert.
»Neil«, rief ich ihm zu.
Er sah mich über seine Schulter hinweg an und ich konnte seinen erschrockenen Gesichtsausdruck trotz der Entfernung und der Lichter erkennen. Das bedeutete, dass er bestimmt völlig ausflippen würde, in drei, zwei, eins …
»Seb? Was zum Teufel?«, fragte er, als er auf mich zukam. »Um Himmels willen, das ist nicht deins, oder?«
»Nein. Neil, es tut mir leid, dass ich anrufen musste. Aber die Polizisten brauchen meine Kleidung als Beweisstück und ich wollte keinen NYPD-Einteiler anziehen.«
»Beweisstück für was?«, wollte Neil wissen.
»Mike ist tot«, sagte ich und deutete auf mich. »Ich meine, nein! Oh Gott, nein, ich habe ihn gefunden. Ich bin über ihn gestolpert. Sein Kopf war … Kann ich einfach meine Kleidung haben?« Die Erschöpfung in meiner Stimme war klar erkennbar und ich versuchte halbherzig, nach dem Rucksack zu greifen.
»Nein, erzähl mir, was passiert ist.«
»Du und Mr. Snow kennt euch also gut?«, fragte Winter, der sich leise an uns herangeschlichen hatte.
»Freunde«, antwortete Neil ernst.
Es erschien mir besser, nichts dazu zu sagen. Außerdem war ich zu gestresst und nervös, um mich groß über Neils Lüge zu ärgern.
»Freunde, die die Apartmentschlüssel vom anderen haben?«
»Ich bin nur hier, um Sebastian Kleidung zu bringen.« Neils Stimme war rau, als ob seine Aussage mit einer Drohung versehen war. Er sah mich an und hielt mir den Rucksack entgegen. »Wir reden später.« Er war bereits dabei, den Laden zu verlassen, bevor ich etwas erwidern konnte.
Als Neil aus unserem Sichtfeld verschwunden war, wandte sich Winter wieder mir zu. Ich starrte stur zurück. Statt mich im Moment auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren, fing ich an, über die Neugier in Winters Augen nachzudenken. Und diese Sommersprossen. Gott, die waren sogar auf seinem Nacken verteilt und verschwanden unter dem Kragen seines Hemds. Ich war gerade dabei, mir zu überlegen, wie weit dieser Sommersprossenpfad wohl ging, als …
»Ziehen Sie sich aus.« Er zeigte auf die Frau, die bereits wieder an meiner Seite war, um auf ihre Beweisstücke zu warten.
»Winter«, rief Lancaster, als sie wieder in den Laden kam, gefolgt von einem Mann, bei dem es sich bestimmt um den Gerichtsmediziner handelte.
Winter funkelte mich noch einmal wütend an, bevor er wegging.
Die Frau, die auf meine Kleidung wartete, hieß Martha Stewart, bei der keine familiäre Verbindung bestand, wie sie mir gleich mitteilte, und wusste absolut nicht, was Privatsphäre war. »Kleiner, wenn du denkst, dass ich versuche, einen Blick zu erhaschen, brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte sie, während sie meine Jacke vorsichtig in eine große Plastiktüte steckte und mit einem dicken Edding draufschrieb, um was es sich handelte.
»Nein?«, fragte ich und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ich nun von der Taille aufwärts nackt war. Halb nackt in einem kalten Raum mit einem halben Dutzend Polizisten um mich herum, und einem Gerichtsmediziner, der gerade dabei war, ein Thermometer in den toten Körper meines ehemaligen Chefs zu schieben.
»Du bist nicht mein Typ«, erklärte sie mir, als sie mein T-Shirt verpackte.
»Wetten, dass Sie das zu all den Männern sagen, damit sie nicht rot werden?«
»Ha, ha. Ich hab eine Frau, Süßer«, sagte Martha beiläufig. »Hosen runter. Komm schon, ich hab hier einen Haufen zu tun.«
Oh.
»Sie sind auch nicht mein Typ, Martha.«
»Oh, habe ich gemerkt«, sagte sie und kicherte kurz.
»Was soll das denn heißen?«
»Das heißt, dass du ganz sicher nicht meine weiblichen Vorzüge begutachtest, aber sehr wohl fähig bist, einen gewissen, rothaarigen Mann zu bestaunen.«
Ich versuchte gar nicht erst, abzustreiten, dass ich Detective Winter attraktiv fand. »Er ist also rothaarig?«
Sie sah mich neugierig an.
»Ich bin farbenblind«, erklärte ich.
»Oh, ja. Seine Haare sind rot. Eher eine Art Orange, du weißt schon, dieses leicht Feurige.«
»Ich weiß es nicht, aber ich nehme Sie beim Wort.« Mein Blick fiel wieder auf Mike. Der Gerichtsmediziner kniete neben ihm und unterhielt sich mit Winter, der wirklich gut darin war, wie diese sexy, imposanten Teufelskerle im Fernsehen auszusehen. Es war dumm von mir, Winter anzustarren, während ich mich meiner Hose entledigen sollte. Ein kurzer Blick in Winters konzentriertes Gesicht reichte, um mir einen Ständer zu bescheren. Von all den Orten, Momenten und Personen, die einen erregen konnten, war das hier die denkbar ungünstigste Option von allen.
»Hey.« Martha schnipste mit ihren Fingern.
»Kann ich mein neues Shirt anziehen?«, fragte ich, um das Ausziehen meiner Hose noch etwas hinauszuzögern.
Sie seufzte laut und hielt ihre Spiegelreflexkamera hoch. »Moment, ich muss noch ein Foto machen.«
»Whoa, was, von mir? Komplett?«
»Noch nie hab ich einen so prüden Kerl getroffen«, murmelte sie. »Streck deine Hände aus, Handflächen nach unten.«
Martha machte einige Fotos von meinen Händen aus verschiedenen Blickwinkeln und dann von meiner Brust, wo sich ein kleiner Blutfleck befand. Als sie fertig war, durfte ich endlich mein neues T-Shirt anziehen und hatte genug Zeit, meine untere Region wieder zu beruhigen. Schnell zog ich den Rest meiner Kleidung aus und musste noch mal für eine Runde Fotos herhalten, bevor Martha beschloss, dass sie fertig mit mir war. Sie wartete geduldig, bis ich wieder komplett angezogen war.
»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Martha«, sagte ich. Ich war mir nicht sicher, was ich sonst zu einer Frau sagen sollte, nachdem ich mich für sie ausgezogen und sie Fotos von mir gemacht hatte. Wäre ein Dankeschön besser gewesen?
Als Antwort summte sie nur kurz, während sie ihre Kamera und meine verpackte Kleidung in ihre Tasche verschwinden ließ. »Darf ich dir einen Tipp geben?«
Ich war dabei, mir meine neue Jacke anzuziehen, die für einen kühlen Herbsttag viel eher geeignet war als für den Schneesturm draußen. Mit nur einem Arm in der Jacke pausierte ich kurz. »Ja?«
»Mach es nicht so schwierig für Winter, sonst verhaftet er dich schneller, als du herzlos sagen kannst.«
Was sollte das denn heißen? »Äh …«