C.S. Poe

Das Geheimnis von Nevermore


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Es war mir nicht möglich, draußen zu warten. In meinem Zustand, und voller Blut, würde ich vermutlich die Nachbarn beunruhigen.

      Als ich das Gefühl hatte, nicht eine Sekunde länger allein in diesem Laden sein zu können, ohne meinen Verstand zu verlieren, fuhr ein Krankenwagen mit Blaulicht, aber ohne Sirene vor. Drei Polizeiwagen stießen hinzu, gefolgt von einem Zivilfahrzeug, aus dem Winter und Lancaster ausstiegen. Sie eilten über die Straße und zum Eingang des Ladens mit uniformierten Polizisten hinter sich.

      Winter stoppte kurz, als ich mich zu ihm umdrehte.

      »Ich kann das erklären«, sagte ich und hob unterwürfig die Hände. Vermutlich sendete ich das falsche Signal.

      »Wo ist er?«, wollte Winter wissen und sah dann in die Richtung, in die ich deutete. Er drehte sich um und befahl den Polizisten hinter sich, die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Sie setzten sich sofort in Bewegung, um den ganzen Laden abzusperren.

      Winter und Lancaster befreiten ihre Handwaffen aus ihren Holstern. Winter näherte sich langsam der Leiche, dicht gefolgt von Lancaster. Das war interessant. Ich wusste, dass sie nicht die volle Verantwortung hatte, auch wenn sie am Tag davor die Befragung durchgeführt hatte.

      Sie verschwanden für ein paar Momente zwischen den Regalen, bevor der Tatort als sicher galt. Polizeibeamte kamen wieder zum vorderen Bereich des Ladens. Ein paar von ihnen gingen nach draußen, um auch die Straße um den Laden herum abzusperren.

      Winter gab Befehle durch sein Handy und ich hatte fast schon Mitleid mit der armen Haut am anderen Ende. Als er auflegte, stand er vor Mikes leblosen Körper und sah auf ihn herab. Er kniete sich hin, um sich die Leiche genauer anzusehen, ohne sie zu berühren. Nach einer kurzen Pause stand er wieder auf und verlangte nach Licht, bevor er anfing, den Boden zu studieren. Einer der Polizisten fand den Lichtschalter und ich zuckte kurz zusammen, als meine Umgebung unter blendendem Weiß verschwand. Mit meiner blutverschmierten Hand setzte ich meine Sonnenbrille auf.

      Mit vorsichtigen Schritten achtete Winter darauf, nicht in meine Spur aus geschmolzenem Schnee und Blut zu treten, und kam dann wieder auf mich zu.

      »Mr. Snow.«

      »Detective Winter.«

      »Beschenken Sie alle Männer in Ihrem Leben mit Mordfällen zu Weihnachten oder nur die ganz besonderen?« Er schob seine Hände in seine Manteltaschen, als er vor mir stehen blieb.

      Scheiße.

      Wieso hatte ich gedacht, dass es eine gute Idee wäre, ihn anzurufen? »Kann ich es erklären?«

      »Ich bitte darum«, sagte er. Er knurrte sogar fast.

      Holprig fing ich an, ihm eine Kurzfassung der Geschehnisse meines Tages zu geben. Von Dads Wohnung bis zu Mikes Laden. Ich erzählte ihm von meiner Suche nach Mike, der nicht da gewesen zu sein schien, und stoppte bei dem toten Mike, der vor uns lag. »Wollen Sie, dass ich es ihnen noch mal rückwärts erzähle?«, fragte ich, als ich fertig war.

      »Wieso?«

      »Weil Sie aussehen, als würden Sie darüber nachdenken, welche Größe meine Gefängnisuniform haben müsste. Wenn ich lügen würde, wäre es schwieriger für mich, die Geschichte rückwärts zu erzählen.«

      Das brachte ihn dazu, kurz aufzulachen. »Ist das so, ja? Wieso sind Sie in den Laden reingegangen, wenn er doch offensichtlich geschlossen war?«

      »Habe ich Ihnen doch schon gesagt: Die Tür war offen.«

      »Und Sie haben nicht gedacht, dass das ein wenig seltsam ist?«

      »Also … doch, ich dachte, dass das komisch ist. Aber Mike wohnt nur ein Stockwerk höher. Ich dachte, er sei vielleicht kurz runtergekommen, um etwas zu holen.«

      »Wieso sind Sie eingetreten, als Sie keine Antwort erhalten haben?«

      »Weiß ich nicht«, gab ich zu. »Irgendetwas schien nicht zu stimmen.«

      »Wieso haben Sie da nicht die Polizei gerufen?«

      »Hab ich doch.« Ich zeigte auf ihn.

      Für einen kleinen Moment war Winter still. Er kam mir vor wie ein Mann, der verzweifelt versuchte, seine Geduld nicht zu verlieren. »Und was ist passiert, als Sie mich angerufen haben?«, fragte er schließlich.

      Ich warf einen Blick auf meine verklebten Hände. »In dem T-Umriss im hinteren Teil des Ladens … Ich … Da war eine Katze.«

      »Eine Katze?«

      »Ja, eine tote Katze. Ich meine, sie hing von der Decke. Und als ich in die entgegengesetzte Richtung rannte, war da eine blöde Schaufensterpuppe hinter mir, die aussah wie eine Person. Da bekam ich Angst. Ich konnte Mike nicht sehen, bis ich über ihn stolperte. Mit dem Gesicht voraus.«

      »Ah.«

      »Also dachte ich, die Schaufensterpuppe sei die Person, die Mike umgebracht hat. Sie wissen, wer ich bin und wer Mike ist. Ich dachte nicht daran, irgendjemand anderes anzurufen. Können wir das hier vielleicht später fortführen? Ich würde mich wirklich gerne umziehen.«

      Winter schüttelte seinen Kopf und deutete mit einem stumpfen Finger auf mich. »Bewegen Sie sich nicht.«

      »Kommen Sie schon, Detective, ich bin voller Blut!«

      Doch der Arsch hatte sich bereits von mir abgewandt und ging weg.

      Ich sah ihm nach und konnte ihn dabei beobachten, wie er sich mit Detective Lancaster dem T näherte. Schnaubend verschränkte ich meine Arme, bevor ich sie schnell wieder hängen ließ. Das war’s dann wohl mit meiner Jacke. Und meiner Jeans. Bestimmt würde ich meine Haut in der Dusche wund schrubben müssen, um das Blut loszuwerden.

      Nun stand ich also hier. Ein Polizist hatte sich in meiner Nähe positioniert und beobachtete mich, mit einer Hand auf seinem Holster. Irgendwie bekam ich den Eindruck, dass er sich nicht überwinden müsste, mir ins Knie zu schießen, falls ich einen Fluchtversuch unternehmen sollte. Das war der Moment, in dem mich die Ernsthaftigkeit der Situation überfiel. Ich versuchte, mir weiszumachen, dass alles gut werden würde. Sie würden bestätigen, dass alles, was ich gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, nachdem sie die Spurensicherung von jemandem wie Neil durchführen ließen.

      Oh Gott. »Neil …« Er würde mich umbringen. Ich tat mein Bestes, um mir eine glaubwürdige Geschichte einfallen zu lassen, die nicht nach Ich habe es gehasst, von dir wie ein Kind behandelt zu werden, und wollte mich dir widersetzen klang, als Winter auf mich zukam, gefolgt von einer kleinen Frau mittleren Alters. »Also, noch mal zum Thema Umziehen«, begann ich.

      »Wir brauchen Ihre Kleidung.«

      »Sie …? Was?«

      »Beweise.« Er nickte der Frau zu, mit der er gekommen war.

      »Wir brauchen bitte Ihre Jacke und Jeans und alles, was darunter ist«, bestätigte sie, während sie sich Latexhandschuhe überzog.

      »Ich habe Mike nicht umgebracht«, protestierte ich und sah Winter dabei direkt an.

      »Sie sind mit seinem Blut bedeckt«, erwiderte er. »Wir haben Sie allein in seinem Laden vorgefunden. Nur Sie und die Leiche.«

      »Aber ich war es, der Sie angerufen hat, direkt, nachdem ich ihn gefunden habe!« Meine Stimme wurde etwas lauter.

      »Wir brauchen nur Ihre Kleidung«, sagte er in einem ernsten Ton und kam einen Schritt näher. »Aber wenn Sie sich weiter so anstellen, nehme ich Sie gerne mit aufs Revier und ziehe Sie selbst aus.«

      Wow. Ich schluckte hart und räusperte mich. »Kann ich jemanden anrufen?«

      »Wieso?«

      »Es gibt nichts, was ich statt meiner Kleidung anziehen kann, und die brauchen Sie ja anscheinend so dringend. Ich … Bitte lassen Sie mich einen Anruf tätigen.«

      Nach einem kurzen Moment, in dem Winter über meine Bitte nachzudenken schien, nickte er kurz.

      Erleichtert zog ich mein mit Blut besprenkeltes Handy aus meiner Hosentasche