fing ein Lächeln auf, das nach Verzweiflung aussah. Sie war wohl doch nicht die Einzige, die ein Mord im Haus aus der Fassung brachte. Und was würde erst Hanna Vers aus dem zweiten sagen. Die wohnte direkt unter ihm. Sie ließ die Teekanne in der Küche links liegen und entnahm der Vorratskammer eine Flasche Pfirsichlikör. Etwas anderes bekam sie um diese Uhrzeit nicht herunter.
Als sie zurückkam, saß Maren auf der vorderen Kante des Sofas, als habe sie Angst, in seine Tiefen gezogen zu werden. Hinter ihr krochen die Strahlen einer späten Märzsonne übers Polster. In diesem Licht sah es aus, als regne es Staub.
»Die haben gefragt, wer für die Villa zuständig ist.« Maren nahm das gefüllte Glas entgegen, leerte es auf Ex und schüttelte sich. »Boah, also echt.«
»Und dann?«, hörte Ellen sich fragen und nippte am Likör.
»Gings weiter wie im Film. Dieser Steiner hat mir seinen Ausweis gezeigt und gefragt, ob sie reinkommen können. Kaum waren wir in der Wohnung, sagt er: Herr Fischer wurde heute Morgen tot im Park gefunden.«
»Im Park?« Bella, die um ihre Beine schnurrte, nahm Reißaus. »In welchem?«, fragte Ellen leiser nach.
»Im Sinaipark. Ein paar Meter von hier! Abgestochen.« Die Flasche Pfirsichlikör wanderte in Marens Hand und nach wenigen Sekunden auf den Tisch zurück. »Eiskalt abgestochen. Und jetzt kommt das eigentlich Krasse.«
Der Staub im Sonnenlicht stand still. Ellen blinzelte. Sie war sich nicht sicher, ob sie das hören wollte. Was konnte denn noch krasser sein, als abgestochen im Park zu liegen?
»Der Typ war Immobilienmakler. Und jetzt rate mal, bei welcher Firma.« Marens Augen blitzten auf, Ellen kannte dieses elektrisierte Braun, Kurzschlussaugen nannte sie es bei sich, wenn Maren wirklich wütend war, und wie von diesem Stromschlag getroffen, schlug der Blitz der Erkenntnis unbarmherzig nun auch bei ihr ein, und sie erfasste mit einem Mal das wirkliche Ausmaß der Situation.
»Er sagte doch, er nimmt eine Auszeit«, hörte sie sich krächzen, »von seinem Bürojob und seiner Ehe. Einmal habe ich sogar ein Streitgespräch am Telefon mitbekommen.«
»Seine Scheidungsgeschichte stimmt. Das, was er von seiner Tussi erzählt hat, kann man nicht erfinden. Aber alles andere.« Maren winkte ab. »Er hat sich ja ausrechnen können, dass er den Dachboden nicht kriegt, wenn wir gewusst hätten, für wen er arbeitet.«
»Und jetzt?«
»Jetzt hat sich seine Frau die Scheidung gespart.« Maren lächelte, dass es einen gefrieren konnte. »Vielleicht lernen wir sie kennen, wenn sie seine Sachen abholt. Ich bin gespannt.«
2
Einbauküchen! Jona Hagen schlug den Schrank mit dem Ellbogen zu. Für jedes Kochutensil musste man eine Tür öffnen und dazu wissen, hinter welcher genau das Gesuchte stand. Einbauküchen waren so uninspirierend wie Büroarchive, wie Tonic ohne Gin, wie Kochen ohne ein Gläschen Wein. Sie seufzte. Wie konnte man nur keinen einzigen Tropfen Alkohol im Hause haben? Zum dritten Mal öffnete sie den Hängeschrank mit den Vorräten. Gewürze, Dosen, Packungen mit Nudeln, Reis, gläserweise Eingemachtes und Süßkram. Von geistigen Getränken keine Spur. Dabei war Ulf doch ein Gourmet. Sie leerte die Pfanne, in der die Goldbrassen bis vor Kurzem noch auf Ingwer und Chili gebrutzelt hatten, über dem Mülleimer aus. Natürlich war Jakob genau in dem Moment an der Küchentür vorbeigestreift, in dem die Doraden angebrannt waren. Gut, dass sie ein paar Fische mehr gekauft hatte. Die Ersatzgoldbrassen würde sie im Ofen backen, auch wenn sie ihnen dafür den Kopf abtrennen und sie bis zum Schwanz aufschlitzen musste.
Aus dem Flur drangen Geräusche, ein Schlüssel klimperte. Kurz darauf spürte sie zwei Hände um ihre Taille.
»Was wird das denn Schönes?«
Jona wandte sich um, doch in dem scharfkantigen, schmalen Gesicht war keinerlei Ironie zu erkennen.
»Sorry. Das war Dorade, die erste. Der zweite Akt landet in fünfundzwanzig Minuten auf dem Tisch. Laut chefkoch.de. Beim Kochen bin ich ohne Vino irgendwie blockiert.«
»Dann geh ich mal in den Keller. Da warten hundert Fläschchen darauf, deine Blockade zu lösen.«
»Du hast einen Weinkeller?« Jona trat einen Schritt zurück und konstatierte das feine, inzwischen so vertraute Lächeln in seinem Gesicht. Heute sah es erschöpft aus.
»Wieso weiß ich das nicht?«
»Etwas muss man ja noch in petto haben.«
Fünf Minuten später kehrte er mit zwei Flaschen Sauvignon Blanc zurück.
»Eine für die Fische, die andere für uns. Soll ich dir helfen?«
Bei der Umarmung drückte seine Dienstwaffe gegen ihre Brust.
»Nimm lieber eine Dusche und entspann dich. Du siehst schrecklich aus.«
Bei Tisch wurde wenig geredet. Steiner lobte die Dorade, sein Sohn schaufelte anstandslos eine Gabel nach der anderen in sich hinein. Das Klirren des Bestecks erinnerte Jona an ihre Kindertage. Ungutes Schweigen, und niemand, der es zu durchbrechen wagte. Außer ihr natürlich. Jona, das Enfant terrible.
»Morgen ziehen sie das Gerüst hoch.« Sie schob sich eine Kartoffelscheibe in den Mund und fing Steiners Du-kannst-gerne-hierbleiben-Blick auf. Ohne zu kauen, würgte sie den Bissen hinunter. »Einen Winzbalkon an die Küche gepappt und Einheitsbäder im Luxuschromstil. Ich will das nicht, selbst wenn ich es mir leisten kann. Die denken, die können einem diktieren, was schön ist. Dabei geht es nur um Kohle.« Ihre Kehle brannte. Der Sauvignon Blanc half auch nicht wirklich. Tief atmen, bis die heiße Welle der Wut abgeflaut war, riet sie ihren zu Jähzorn neigenden Patienten. Wie schwer das war! Sie schielte zu Botticellis Venus. In Originalgröße, knapp drei auf zwei Meter, hing der auf Leinen gezogene Kunstdruck an der Längsseite des Wohnzimmers. Sollte die Liebesgöttin jemals zornig gewesen sein, hatte sie das glühende Gift in Melancholie verwandelt.
Jona legte ihr Besteck beiseite und lächelte in die Runde.
»Schön, dass ich hier willkommen bin. Ich glaube, ich ziehe wirklich morgen bei euch ein. Mein Kleiderschrank passt gut in Jakobs Zimmer. Taschen und Jacken stopfe ich hinter sein Bett. Die paar Mal, die ich Besuch von einer Freundin kriege, kann Ulf ja in die Kneipe gehen. Und ich bekoche euch jeden Abend, sobald ich von der Praxis heimkehre.«
Unkommentiert standen ihre Worte im Raum, der Vierzehnjährige verzog keine Miene.
»Mensch, bist du gut erzogen.« Jona legte die Gabel nieder und sah dem blassen Jungen ins Gesicht. Der Anflug eines Bartflaumes lag auf seinen Wangen. »Ich würde einen Horror kriegen, wenn mir das jemand ankündigen würde. Schreikrämpfe oder Mordgedanken. Keine Sorge, ich habe es nicht ernst gemeint.«
Doch statt zu lachen, stand Jakob auf und verließ das Zimmer.
»Oje. Soll ich ihm nachgehen?«
Steiner winkte ab. »Ich fürchte, er ist unglücklich verliebt.«
»So witzig war es auch nicht. Ich bin gestresst von dem Baulärm.« Sie sah auf. »Außerdem verliere ich gerade mein Zuhause.«
Eine ungemütliche Stille breitete sich aus. Ulf zog seine Brille ab und rieb sich die Augen, bevor er ihr einen um Nachsicht bittenden Blick zuwarf.
»Wir suchen nächstes Wochenende in der Zeitung, einverstanden? Es gibt immer Angebote. Auch für so Familien wie uns.«
»Weißt du, was für ein Haifischbecken dieser Wohnungsmarkt geworden ist? Teuer und korrupt. Ich habe im Netz nach einer Vierzimmerwohnung geschaut. Wahnsinn.«
Steiner nickte.
»Und dann dieses pikierte Schweigen, wenn du fragst, ob sie noch was Preiswerteres haben.« Sie holte Luft, um die Sekretärin eines Maklerbüros nachzuahmen, und spürte Steiners Hand auf ihrem Unterarm.
»Nicht heute, bitte.«
»Ist irgendwas passiert?«
Ulf schwieg einen Moment.