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Zerreißproben


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anknüpfen und, basierend auf einem reichhaltigen demoskopischen Datenschatz, zeigen, wie spannungsvoll – und oft auch konfus – das Verhältnis der Deutschen zum Liberalismus ist. Viele schmücken sich gerne mit dem Prädikat ›liberal‹, doch was darunter verstanden wird, variiert zum Teil dramatisch. Einen eher schweren Stand hat dabei der Wirtschafts- oder gar ›Neoliberalismus‹.

      Was verbirgt sich hinter diesem polarisierenden Schlagwort eigentlich? Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität, versucht sich an einer Differenzierung: Jenseits des häufig floskelhaften Schimpfworts kann demnach eine neoliberale ökonomische Denktradition unterschieden werden von einer politischen Praxis, die mal mehr, mal weniger dieser Denktradition verhaftet ist, aber ihre Bezeichnung teilt. Schnellenbach zeigt sich optimistisch: ein moderner Neoliberalismus muss kein Schimpfwort bleiben.

      Josef Joffe, Mit-Herausgeber der Zeit, bringt gleich zwei der im Band behandelten Zerreißproben auf den Punkt. Der Wirtschaftsliberalismus wird demnach durch eine allzu große Begeisterung für einen allumsorgenden Wohlfahrtsstaat unter Druck gesetzt, der Gesellschaftsliberalismus dagegen durch eine illiberale ›woke‹ Identitätspolitik. Der Journalismus könnte dem Liberalismus durchaus eine Stütze sein – wenn er sich nicht in Echokammern verläuft.

      Ergänzend dazu appellieren Claus Leggewie, Inhaber der Ludwig Börne-Professur der Justus-Liebig-Universität Gießen, und der Publizist und langjährige Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament Daniel Cohn-Bendit in ihrem Beitrag an die Bedeutung von Offenheit und Liberalität als Haltung. Gerade neue soziale Bewegungen können ihre Ziele oft nur erreichen, wenn sie für Bündnispartner empfänglich sind. Allzu schnell verschlossene Türen dürften dagegen einem zügigen gesellschaftlichen Fortschritt eher abträglich sein.

      Mit Liberalität und Offenheit befasst sich auch die Ökonomin Margit Osterloh – insbesondere im Kontext der Covid-19-Pandemie. Im Schatten des Corona-Virus habe sich eine zweite Gefährdung aufgebaut: das Autoritätsvirus – eine eigenwillige Lust auf Bevormundung und autoritäres ›Durchregieren‹. Während wir bei der Durchimpfung gegen Covid-19 inzwischen rasante Fortschritte verzeichnen dürfen, stehe zu befürchten, dass Liberalitätsverluste als Corona-Kollateralschäden uns in westlichen Demokratien, in der Politik, der Wissenschaft und den Medien, noch länger begleiten werden.

      Dies ergänzt Heribert Prantl, langjähriges Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, indem er genauer auf die Gefährdungen unserer unter dem Pandemieregime herausgeforderten Grundrechte und die damit einhergehenden Liberalitätsverluste hinweist. Prantl sieht dabei die Rolle des Journalismus sehr eindeutig: stets auf der Seite der Grundrechte, auch – oder gerade – wenn es unbequem ist.

      Nach diesen beiden eher pessimistischen Beiträgen schließt der Ökonom Bruno Frey den ersten Teil des Buches mit einem wohltuend optimistischen Ausblick für den Liberalismus ab. Er macht deutlich, dass materieller Wohlstand zwar das Wohlbefinden der meisten Menschen steigert, aber eben keineswegs alleine. Ein hoher Grad persönlicher Freiheit und ein von Liberalität geprägtes politisches und gesellschaftliches Umfeld sind ebenfalls wesentliche Voraussetzungen für unser Glück. Dies macht den Einsatz für Liberalismus und Liberalität umso wichtiger.

      Zweiter Abschnitt:

      Liberaler Journalismus, liberale Journalisten?

      Der zweite Abschnitt lenkt den Blick noch gezielter auf den Journalismus und die Journalisten. Den Anfang macht Beatrice Dernbach, Professorin für Praktischen Journalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg, die Liberalität als grundlegenden journalistischen Wert charakterisiert und erläutert, inwiefern der Journalismus auf einem liberalen Fundament ruht. Dies impliziert keine Parteilichkeit, und immer wieder geraten liberale Normen auch unter ökonomischen Druck. Doch das Bewusstsein für das liberale Fundament des Journalismus sollte dabei nicht verlorengehen.

      Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement und politische Kommunikation an der Universität Leipzig, wirft, daran anschließend, einen Blick auf politische Einstellungen im journalistischen Berufsfeld, die deutlich nach links tendieren. Doch wie wirkt sich das auf die Berichterstattung aus? Der Autor betont den Wert politischer Perspektivenvielfalt für den Journalismus.

      Einen Kontrapunkt dazu setzt das Autorengespann aus Uwe Krüger, auch Universität Leipzig, Holger Pötzsch, Arctic University of Norway, und Hendrik Theine, Wirtschaftsuniversität Wien. Sie sehen eine Gefahr für journalistische Perspektivenvielfalt nicht etwa in zu homogen linken Einstellungen im Berufsfeld, sondern vielmehr in einer zu starken Wirkmächtigkeit des Neoliberalismus – insbesondere in den Produktionsstrukturen und -anreizen des Journalismus.

      Ganz anders Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt-Gruppe. Er beklagt in seinem Metier einen Schwenk »weg von der Beschreibung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Realitäten hin zur Forderung moralischer Standards«. Wenn Gesinnung Recherche schlägt, sei das »auf kurze Sicht sehr preiswert«, aber auf die Dauer werde damit der Ast abgesägt, auf dem alle Journalisten sitzen – die Glaubwürdigkeit.

      Jochen Bittner, Co-Leiter des Ressorts ›Streit‹ der Zeit, warnt daran anknüpfend vor allem vor dem normativen Furor der in Teilen des Journalismus populären Identitätspolitik. Bittner erläutert differenziert, was sich hinter Schlagworten wie ›Kritischer Theorie‹, ›Intersektionalität‹ und ›Cancel Culture‹ verbirgt – und kontrastiert sie mit einem aufklärungsoptimistischen Liberalismus.

      Gregor Engelmeier, Informatik-Experte, und Fatina Keilani, Neue Zürcher Zeitung, warnen vor diesem Hintergrund vor den Herausforderungen eines Journalismus in der ›postfaktischen Gesellschaft‹. Wo gefühlte Wahrheiten die bewährten liberalen Institutionen der Wahrheitsfindung attackieren, droht der Journalismus seinen Kompass zu verlieren – und seinen gesellschaftlichen Rückhalt.

      Auch Rainer Hank, Publizist und langjähriger FAS-Kolumnist, ermahnt seine allzusehr moralisierenden Kolleginnen und Kollegen, die Journalismus als ein Erziehungsprogramm missverstehen, zu mehr Zurückhaltung. Statt Mediennutzer zu »aufgeregten Weltverbesserern« machen zu wollen, wäre uns schon mit mehr »gelassenen Weltverstehern« im Publikum gedient, meint er.

      Henrik Müller, der an der Universität Dortmund Wirtschaftsjournalismus lehrt und zuvor der Chefredaktion des Manager-Magazins angehörte, richtet seinen Blick schließlich wieder stärker in Richtung der neoliberalen Zerreißprobe: Er beschreibt die Wirtschaftspolitik als fruchtbares Feld für Populismen. Aufklärung sei daher notwendig – doch auch der Wirtschaftsjournalismus unterliege allzu häufig den Zwängen der Aufmerksamkeitsökonomie, die griffigen, aber oft zu einfachen Erzählungen ein Einfallstor biete.

      Daran knüpft Tim Krieger, Professor für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, mit einem Erklärungsversuch an, warum gerade die Vermittlung ordoliberaler Überlegungen im öffentlichen Diskurs oft schwierig sei. Eine Rolle spiele dabei die schwierig zu vermittelnde, etwas abstrakte, und aus journalistischer Sicht manchmal auch etwas langweilige Fokussierung der Ordoliberalen auf den Ordnungsrahmen – statt auf handfeste und griffige politische Interventionen.

      Dritter Abschnitt:

      Parteien, Liberalität und Medien

      Der dritte Abschnitt des Bandes richtet schließlich den Blick auf die politische Arena – und ihr häufig spannungsvolles Verhältnis zum Journalismus. Auf den ersten Blick scheint hier der parteipolitische Liberalismus in Form der FDP eine relative Blüte zu erleben. Spielen dabei auch die Medien eine Rolle? Der Medienforscher Roland Schatz jedenfalls sieht das so. Er offeriert zunächst einen Überblick über die Langfrist-Trends der Medienberichterstattung zur FDP – und hebt das aufmerksamkeitsökonomische ›Wunder‹ hervor, dass die Partei – auch dank der Kommunikation Christian Lindners – vier harte Jahre außerparlamentarischer Opposition überlebt habe.

      Wolfgang Kubicki ergänzt die Datenlage mit seinem Erfahrungsbericht aus Sicht des langjährigen FDP-Insiders, der letztlich darauf hinausläuft, dass Totgesagte länger leben – jedenfalls, wenn sie zu ihren liberalen