einen Situation kann ich die beiden Erfahrungen vergleichen, in der anderen aber nicht. Weiß ich deshalb, dass dies die Wirklichkeit und das andere ein Traum ist?
Jedenfalls habe ich das Gefühl, es zu wissen.
Wieder öffne ich die Augen und sehe ein Ganzes, das aus Teilen all der verschiedenen Dinge besteht, die ich sehe, von denen ich aber keins ganz sehe. Ich meine, ich sehe Teile des Schranks, und ich könnte versuchen, mir den ganzen Schrank als etwas vorzustellen, um das man zum Beispiel in einer Ausstellungshalle von IKEA herumgeht, oder ich kann mir ein zweidimensionales Foto oder eine Zeichnung des Schranks vorstellen, so aufgenommen beziehungsweise dargestellt, dass es dreidimensional wirkt – ich könnte so etwas sogar selbst zeichnen, wenn ich es mir recht überlege –, aber gleichzeitig gibt es große Teile des Schranks, die ich nie sehen werde, etwa die Rückseite, die der Wand zugewandt ist, oder die Unterseite, die auf dem Boden steht. Wenn ich also sage, ich sehe den Schrank, dann meine ich damit, ich sehe den Teil von ihm, der sich in meinem Blickfeld befindet und nicht vom Bettzeug verdeckt wird. Und wenn ich all diese Wörter benutze, Bettzeug, Schrank, Wand, Lampe, dann meine ich, ich sehe nur den Teil von ihnen, den ich sehe, obwohl das jeweilige Wort sich auf das ganze Ding zu beziehen scheint, auf die Idee des ganzen Dings. Vielleicht sind Wörter platonisch. Sie erlauben Platonismus. Wort »Schrank« = Idee des Schranks, nicht der Teil des Schranks, den ich tatsächlich sehe.
Sprache ist knifflig.
Ich schließe die Augen, aber es gelingt mir nicht, das Bild eines kompletten platonischen Schranks, oder absoluten Schranks, ohne jeglichen Kontakt zu Wänden oder Fußböden heraufzubeschwören. Das alles kommt mir ziemlich anstrengend vor.
Der Wecker klingelt noch einmal. Diese zehn Minuten sind schneller vergangen als die ersten.
Hat das Sinn?
Beim Klingeln des Weckers gehen meine Augen automatisch auf. Ich scheine gar keine andere Wahl zu haben, als sie zu öffnen. Es muss der berühmte bedingte Reflex sein. Beim Aufwachen öffnet man die Augen und damit hat sich’s. Wieder sehe ich Teile von allen möglichen Dingen – vielmehr die Teile dieser Dinge, die mir zugewandt sind –, und jetzt wird mir klar, dass es zwischen diesen Teilen keine Lücken gibt. Ich meine, es kämen vermutlich jede Menge Dinge zusammen, die ich (teilweise) sehe, wenn ich mir die Mühe machte, sie aufzulisten – Lichtschalter Lampenschirm Bild Socke (eine) Taschentücher (viele) Teppich Fußboden Buch Armbanduhr Schranktürscharnier –, aber obwohl ich diese Dinge als voneinander getrennt wahrnehme, existieren zwischen ihnen keine Lücken, so wie sie zwischen den Wörtern, die diese Dinge bezeichnen, existieren, selbst wenn ich beim Auflisten die Kommas weglasse. Die Teile im Zimmer, die ich sehe, gehen direkt über in die anderen Teile, die ich sehe. Die Welt hat keine (für mich sichtbaren) leeren Stellen. Nicht mal Trennlinien, wie ein Puzzle. Auch nicht an den Rändern. Sie ist nahtlos.
In allen Richtungen, wenn ich den Kopf wende oder die Augen bewege, setzt sich die Welt also fort und wird sich fortsetzen, wo ich auch hingehe, ohne jede Lücke. Und die Grenze an der Peripherie meines Blickfelds ist nicht scharf, wie bei einer Kameraaufnahme, aber als Fade-out kann man sie auch nicht bezeichnen. Ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll. Es gibt dafür keine Analogie. Sie ist so, wie wir sie kennen. Im Zentrum ist die Schärfe ausgeprägt, dort sind die Dinge, die ich aktiv anschaue, und dann nehme ich noch eine Peripherie wahr, die scharf gestellt werden könnte, wenn ich es wollte. Aber im Augenblick ist sie nicht scharf gestellt. Es gibt keinen Rand, weder einen harten noch einen verschwommenen, aber doch eine Art Nichts um das Etwas herum, auf dem meine Aufmerksamkeit liegt, aus dem seinerseits ein Etwas werden könnte, während das jetzige Etwas zum Nichts würde, sobald ich mich woanders hinwende. Ich spüre ein andauerndes Potenzial, wie eine Einladung, mich zu bewegen und die Dinge, die ich sehe, zu verändern, eins gegen das andere auszutauschen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit nur selten längere Zeit auf ein und dieselbe Stelle.
»Wann müssen wir aufstehen?«, fragt meine Partnerin.
»Wir können noch auf das nächste Klingeln warten.«
Unsere Hände berühren sich jetzt. Ich spüre ihre Finger. Sie hat gesagt, ihr sei kalt, und mir ist warm, aber in der Berührung fühlt sich ihre Hand wärmer an als meine. Es ist ein Vergnügen, sie zu berühren.
Vergnügen.
Ich schließe die Augen und versuche, mich an weitere Momente des Traums zu erinnern, im Wald, am Fluss. Da ist etwas, an das ich mich erinnern sollte, denke ich; etwas sagt mir, dass dieser Traum länger war und mehr enthielt als nur die Straße, den Wald, den Fluss.
Aber wie kann mir etwas etwas sagen, wenn das alles nur ich bin? Sagen wir mal, ich habe das Gefühl, an diesem Traum ist mehr dran als das, was mir unmittelbar eingefallen ist. Die Straße stieg beim Gehen leicht an – eine dunkle asphaltierte Straße –, und der Wald lag zu meiner Linken, als ich mich ihm zuwandte, hineinlief und zwischen den Baumstämmen den grauen Erdboden sah, der sanft nach unten zum Fluss hin abfiel. Da war noch mehr. Der Fluss war flach. Das Wasser war klar. Deshalb dachte ich, es wäre schön, darin zu baden. Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren oder Nachdruck darauf zu legen, was immer man eben macht, um sich zu erinnern, aber das erzeugt ein unangenehmes Gefühl in meinem Kopf. Es erfordert eine Anstrengung, gegen die sich irgendetwas in mir wehrt. Ich spüre eine Spannung. Zwischen Teilen von mir.
Lass gut sein.
Das Zimmer ist jetzt, da meine Augen geschlossen sind, nicht da, aber der Wald und der Fluss auch nicht. Die Gerüche und die Wärme sind natürlich noch da, und auch die Gegenwart meines eigenen Körpers – all das kann ich nicht so leicht ausblenden –, es sind die gleichen Gerüche, die auch bei geöffneten Augen da waren, auch das Spüren des Bettzeugs und das Vergnügen der Berührung ihrer Hand sind gleich – ich habe die Hand nicht gesehen, aber ich könnte sie nicht fälschlicherweise für etwas anderes halten als eine Hand – und das Gewahrsein meiner Partnerin, die da sein muss, denn sonst wäre die Hand nicht da, und ihre Stimme. Außerdem entfernte Verkehrsgeräusche.
Ist die Straße draußen nass? Ich bin mir nicht sicher.
Mit geschlossenen Augen ist das Zimmer nicht da, aber ich weiß, dass ich es gerade gesehen habe, und vor Kurzem auch den Wald und den kleinen Fluss. Zu sagen, ich weiß, dass ich das Zimmer gerade gesehen habe, ist nicht das Gleiche wie zu sagen, ich erinnere mich an das Zimmer. Wo genau ist zum Beispiel diese Socke? Eine blaue oder eine braune Socke? Weiß nicht. Ich erinnere mich an die Socke, aber nicht an ihre Farbe. Genau genommen erinnere ich mich nicht mal an die Farbe des Teppichs, obwohl ich weiß, dass dieses Zimmer Teppichboden hat.
Hat also meine Erfahrung des Zimmers denselben Stellenwert wie meine Erfahrung des Waldes und des Flusses? Ich bin mir nicht sicher. Ich bin mir nicht sicher, was Stellenwert genau bedeutet. War sie genauso real? Meine ich das? Alles ist real, während es geschieht, oder? Sonst würde es nicht geschehen. Das heißt: Etwas muss geschehen, selbst wenn es nicht das ist, für das man es hält. Sonst gäbe es keine Erfahrung.
Als ich die Finger meiner Partnerin spüre, die über mein Handgelenk streichen, wird mir bewusst, wie sehr es mir widerstrebt, aufzustehen; es ist so schön, im Bett zu liegen, und es ist einer dieser Herbstnieseltage. Woher weiß ich, dass es draußen feucht ist, wenn ich noch gar nicht aus dem Fenster geschaut habe und mir nicht sicher war, ob die Verkehrsgeräusche auf eine nasse Straße hinwiesen oder nicht? Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, es zu wissen.
Tatsächlich habe ich heute viel zu tun. Nicht dass ich meinen Terminkalender im Detail präsent hätte, aber mir ist klar, dass ich ihn schon sehr bald auf dem Computer anschauen und dann all die Sachen tun werde, die ich mir vorgenommen habe, dass ich vereinbarte Treffen einhalten und die Leute, die ich anrufen muss, anrufen werde, um weitere Treffen zu vereinbaren. Kurzum, ich werde mir große Mühe geben, die Person zu sein, als die ich mich beim Aufwachen wahrnehme.
Doch wer ist diese Person?
Die Person, die diese Treffen vereinbart hat, natürlich. Wer wäre ich, wenn ich meine Termine einfach absagen und im Bett bleiben würde? Wer würde dann das Hotelzimmer bezahlen?
Mein Körper fühlt sich unter der Bettdecke ausgesprochen wohlig an, in der gedämpften Helligkeit