sein wird, so sicher, wie ich da bin und mein Körper da ist. In gewisser Weise könnte man sagen, dass die Welt ebenso verlässlich mit mir verbunden ist wie mein Körper. Oder ich mit ihr und ihm. Ich meine, ich kann meine Augen auf unterschiedliche Teile des Zimmers, der Welt, richten, aber ich kann mein Sehen nicht von der Welt trennen. Wir sind ein Ganzes.
Vielleicht ist es so, wie man als Kind einen Saugnapf an eine feuchte Fensterscheibe gedrückt und ihn dann nicht wieder abgekriegt hat. Man konnte den Gumminapf über die Scheibe wandern lassen, vielleicht war es ein Plastikpfeil, den man in Richtung Fenster abgeschossen hatte, aber man konnte ihn nicht abnehmen.
Was für ein verrückter Vergleich. Wo kam der her? War er irgendwo im Gehirn abgespeichert, oder hatte ich ihn spontan ersonnen?
Tatsache ist, ich kann fühlen, oder mich zumindest daran erinnern, erinnernd fühlen, wie meine Hand sanft an dem Spielzeugpfeil zog und der Saugnapf Widerstand leistete, über das Glas rutschte, aber nicht abgehen wollte; eine merkwürdige Kooperation zwischen Kindheitserfahrung, Gehirnchemie und Sprache. Schon sind wir wieder bei den Wörtern. Ich wäre auf diesen Vergleich nicht gekommen ohne die Sprache, die Vergleiche liebt. Tatsächlich besteht die einzige Möglichkeit, mich von der Welt zu lösen, oder zumindest diese Illusion zu hegen, ich meine, mich von der unmittelbaren Welt dieses Zimmers, an diesem Morgen hier in Heidelberg im September 2015, zu lösen, vielleicht darin, mich auf die Wörter zu konzentrieren und auf eine gewisse Dynamik, die sie entwickeln, wenn sie in Bewegung kommen und alle Dinge in der festen Welt um uns herum in den Hintergrund rücken. Weil meine Aufmerksamkeit nicht auf die Dinge scharf gestellt ist, sondern auf die Wörter.
Wenn das so ist, muss ich also, um mich von der Welt zu trennen, ununterbrochen mit mir selbst reden, wie ein Wasserfall. Diesmal haben mich die Selbstgespräche allerdings zu dem Schluss geführt, dass ich mich, mein waches Bewusstsein, nie wirklich von der Welt um mich herum lösen kann. Wenn ich die Augen aufschlage, werde ich schlicht nicht in der Lage sein, die silbergraue Tapete nicht zu sehen. Wir haben uns aneinander festgesaugt.
Kann man also sagen, dass die unmittelbare Welt um mich herum genauso zu mir gehört wie mein Körper? In dem Sinn, dass sie ebenso unumgänglich ist?
Und sind Wörter womöglich auch nur eine weitere Manifestation der Welt? Eine weitere Kategorie von Dingen, die ich nicht abschütteln könnte, selbst wenn ich wollte?
Wenn das so ist, dann klebe ich tatsächlich tagein, tagaus an meiner Erfahrung fest.
»Ele?«
»Ja?«
»Meinst du nicht, dass die zehn Minuten längst um sind?«
»Was?«
»Der Wecker. Meinst du, die Batterie ist leer? Er müsste doch längst geklingelt haben.«
»Entspann dich einfach.«
DRR, D D D DRR DRR. Der Wecker klingelt, während sie noch spricht.
Ich öffne die Augen, und da ist die Wand. Die Tapete. Unumgänglich.
»Du zuerst«, sagt meine Partnerin. Die Socke ist blau.
FARBEN
Lassen Sie uns ein paar Erlebnisse auf dem Weg zum Frühstück überspringen. Ich bin in Heidelberg, um verschiedene Professoren zu treffen und mich mit ihnen darüber zu unterhalten, was Bewusstsein ist. Ich bin in Heidelberg, um ein paar schöne Tage mit meiner Partnerin zu verbringen. Beim Betreten des Frühstücksraums unseres Hotels fällt es schwer, eventuelle taxierende Blicke nicht wahrzunehmen. Meine Partnerin ist halb so alt wie ich. Knapp halb so alt, um ehrlich zu sein; der Kipppunkt wird in etwa einem Jahr kommen, wenn sie einunddreißig wird. Rechnen Sie selbst. Mit derart asymmetrischen Beziehungen stimmt angeblich etwas nicht. Diverse Instanzen, sowohl religiöse als auch weltliche, behaupten, es sei weitaus gesünder, wenn Paare mehr oder weniger gleichaltrig sind. Diese Sichtweise entspricht nicht unserer Erfahrung, ich meine meiner und der meiner Partnerin; für uns ist unsere Beziehung absolut in Ordnung. Wir finden es geradezu erschreckend, wie massiv sich diese mutmaßlich kompetenten Instanzen in dieser Hinsicht irren können. Da fragt man sich, in wie vielen anderen Dingen sie sich noch irren? Mein Freund Riccardo Manzotti zum Beispiel hat vor Kurzem gezeigt, dass das aktuelle Modell, das verwendet wird, um zu erklären, was passiert, wenn wir Farbnachbilder sehen, gänzlich falsch ist. Aber das ist ein anderes Thema. Jetzt, während wir uns hier im Frühstücksraum an einen Tisch setzen, sind wir uns der Blicke von zwei, drei Personen bewusst, die abschätzen, ob wir wohl Vater und Tochter sind, oder eher ein älterer Mann und seine Geliebte, die einen kleinen Seitensprung genießen. Aber wie könnten wir Vater und Tochter sein, so unterschiedlich, wie wir aussehen? Die Leute spüren so etwas sofort; riesige Mengen von Lebenserfahrung kommen hier zum Tragen, ganz ohne Nachdenken, ich meine, ohne bewusste Reflexion. Der scharfe Beobachter weiß ganz einfach Bescheid. Das Zimmermädchen beispielsweise, ein stattliches junges Mädchen unter zwanzig mit einer gestärkten weißen Schürze und einer kleinen schwarzen Haube auf dem Kopf, setzt sofort einen verschwörerischen Gesichtsausdruck auf; sie wird unserem vermeintlichen Fehltritt wohlwollend gegenüberstehen.
Das ist natürlich ein Thema, über das sich leicht schreiben ließe: wie sich die Lebenswege zweier Menschen plötzlich auf ganz unerwartete, geradezu abwegige Weise ineinander verwickeln, und wie die Leute darauf reagieren. Das ist der Stoff, aus dem Bücher gemacht werden. Meistens. Ich meine Romane. Weil wir dazu neigen, auf diese Weise über unser Leben nachzudenken, die Dinge rückwärts und vorwärts projizieren, um daraus Geschichten zu machen. Und auch weil Wörter und Sätze, die zeitlich linear verlaufen und unterwegs Energie einsammeln, genau darin gut sind, gut im Erzählen von Geschichten, die sich ebenfalls durch die Zeit bewegen: Menschen begegnen sich, verlieben und entlieben sich, finden und verlieren Jobs, streben nach etwas und haben Erfolg, streben nach etwas und scheitern. Letztendlich scheinen weite Teile unseres Lebens aus Wörtern zu bestehen, die dem heiklen, kaum beschreibbaren Zustand unseres tatsächlichen, alltäglichen Daseins, den einzelnen Momenten unseres Aufder-Welt-Seins, eine Gestalt und Dynamik aufzwingen: dem Aufwachen und Erblicken des Schranks und der Tapete, dem wiederholten Eintauchen in die Welt der Träume, während die zehnminütige Schlummerphase des Weckers zuerst brutal kurz und dann beunruhigend lang erscheint. Geschichten sind uns vertrauter als das Leben selbst. Es fällt uns leichter, darin zu sein. Vermutlich mögen wir deshalb so gern Romane. Auch Biografien, historische Erzählungen und Memoiren. Ich jedenfalls mag sie sehr. In ihnen entfaltet sich mensch liches Erleben auf eine sinnvolle Art und Weise, indem die vielen redundanten Erfahrungen zwischen Aufwachen und Frühstück einfach ausgeblendet werden: der obligatorische Gang zur Toilette, das nervige Her umprobieren, um zu ermitteln, wie die Hoteldusche funktioniert, das Gefühl, von den glänzenden, spiegelnden Oberflächen überall geblendet zu werden, die Notwendigkeit, die Brille wieder aufzusetzen, um die klein gedruckten Aufschriften der kleinen bunten Fläschchen zu lesen: Shampoo oder Duschgel? Wie könnte man je eine Geschichte am Laufen halten, oder auch eine Betrachtung des menschlichen Bewusstseins, wenn man sich genau anschauen wollte, wie das Leben, oder das Bewusstsein, tatsächlich ist?
Nein, wenn wir anfingen, über den gegenwärtigen Moment und den mit ihm einhergehenden Taumel der Wahrnehmungen und Gedankengänge zu schreiben, dann wären wir überwältigt. Wir könnten niemals alles erfassen. Und wir würden die Leser zu Tode langweilen. Der Genius der Sprache liegt im Auslassen. Sie lässt das meiste aus, genau genommen fast alles; sie lädt die Leser ein, sich im Schnellzug durch die unnötig überladene Landschaft der Alltagserfahrungen tragen zu lassen.
Oder wenn wir uns doch vornehmen, alles zu erzählen, ich meine zu beschreiben, wie das Leben wirklich ist, in jedem einzelnen Moment, dann wird unsere Angst, die Leser zu langweilen, so groß, dass wir versuchen, etwas Besonderes daraus zu machen, die Lawine aus Einzelwahrnehmungen durch Rhythmus, Reime und poetische Mittel abzuschwächen. Wir werden versuchen, unseren Bericht attraktiv zu machen. Ulysses-ähnlich. Aber das Attraktive daran wird der Text sein, nicht der Augenblick selbst. Wir werden uns für die Art der Übermittlung interessieren statt für das Übermittelte, so wie jeder weit mehr an Ulysses dem Buch interessiert ist, seiner Form des Stream of Conscious ness und seinem kontroversen Autor James Joyce,