Anna Machin

Papa werden


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Beziehung in beide Richtungen. Heute wissen wir, dass Letzteres richtig ist – auch Mütter entwickeln eine Bindung zu ihrem Kind – und dass das Phänomen ebenso in der Beziehung zwischen Vater und Kind eine Rolle spielt. Die häufigsten Bindungen sind die zwischen Eltern und Kind und zwischen Liebenden, aber es gibt auch Bindungen zwischen engen Freunden und, wie manche sagen, zwischen Haustieren und ihren Besitzern. Bindung ist schwer zu definieren – eines der Phänomene, die man schwer beschreiben kann, aber Psychologen wissen, wann sie es damit zu tun haben. Wenn wir eine Bindung beobachten – sei es eine romantische, eine zwischen Eltern und Kindern oder die Bindung in einer tiefen Freundschaft –, sehen wir zwei Menschen, die sich nach körperlicher Nähe sehnen, die ständig die emotionale Reaktion des anderen beobachten, um selbst die Umwelt besser einzuschätzen, und für die Getrenntsein eine Qual ist. Beispiele sind ein Welpe, der von seiner Mutter getrennt ist, oder ein kleines Kind, das von seinem Elternteil getrennt ist. In Kapitel sieben werden wir darauf zurückkommen, wenn wir uns die Entwicklung der Beziehung zwischen Vater und Baby nach der Geburt anschauen. An dieser Stelle möchte ich auf den relativ neuen Gedanken eingehen, dass sich dieses Band schon vor der Geburt bildet.

      Es steht außer Frage, dass eine Mutter eine Bindung zu ihrem ungeborenen Kind entwickelt – dieser Prozess wird sehr dadurch gefördert, dass sie die Bewegungen ihres Kindes spürt und dass sie zusammen mit ihrem Kind eine intensive körperliche und emotionale Reise absolviert. Das bezeichnet man auch als das Privileg der Mutterschaft. Aber ist es wirklich ein Privileg, das nur der Mutter zugutekommt? Mittlerweile gibt es umfangreiche Belege, die dafür sprechen, dass dieses Privileg geteilt werden kann. Väter können genauso intensive Liebe zu ihrem ungeborenen Kind spüren, nicht wenig haben dazu die Ultraschalluntersuchungen beigetragen. Dank der neuen Technik konnten Väter erstmals über ihre Fantasievorstellungen hinaus ihr Baby wirklich sehen und hören. Tims Erinnerung an die erste Ultraschalluntersuchung zeigt, wie stark dieses Erlebnis sein kann:

      Ich meine, bei der Untersuchung habe ich es zum ersten Mal richtig geglaubt. Davor habe ich es auch geglaubt, aber der Ultraschall gab mir die Gewissheit, dass es real war. Es zum ersten Mal zu wissen, auf dem Monitor den Beweis zu sehen, war großartig. Unvorstellbar. Ich staunte, war begeistert, konnte es kaum fassen.

       Tim, werdender Papa

      Die Technik wurde bereits in den 1950er-Jahren in Glasgow entwickelt, aber erst Anfang der 1970er-Jahre wurden Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft in Großbritannien üblich und erst Ende der 1970er-Jahre in den Vereinigten Staaten. Heutige Väter gehören damit zu einer der ersten Generationen, die routinemäßig die Gelegenheit haben, ihr ungeborenes Kind zu sehen, und alles in allem ist das eine gute Sache. Für die meisten Väter in meinen Studien war es selbstverständlich, dass sie zur Ultraschalluntersuchung mitgingen. Zwar gab es Ängste, dass bei dem Baby eine Unregelmäßigkeit entdeckt werden könnte, aber in der Mehrheit der Fälle berichteten sie von überwältigenden Emotionen wie Erleichterung, Stolz und Freude, wenn sie das Baby zum ersten Mal betrachten konnten. Infolge der raschen technischen Fortschritte können Eltern heute ihr Kind nicht nur hören und sehen, sondern bekommen ein Surround-Sound-Erlebnis mit einem 4D-Ultraschall. Diese Bilder zeigen das Baby dreidimensional und in Echtzeit – das ist die vierte Dimension. Es ergeben sich zahllose Gelegenheiten für frühe Diskussionen, wie er oder sie wohl aussehen wird. Für Väter, die von den körperlichen Bewegungen ihres ungeborenen Kindes wenig mitbekommen, ist das die große Chance, die Erfahrungen der Mutter zu teilen. Die Tage der grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bilder sind vorbei, sie wurden abgelöst durch gestochen scharfe, bewegte Videos, die man auf DVD brennen, nach Hause mitnehmen und dort beliebig oft anschauen kann. Pier Righetti und seine Kollegen haben in den Abteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie zweier italienischer Krankenhäuser die Wirkung von 2D- und von 4D-Ultraschallbildern untersucht und dabei herausgefunden, dass die Väter, die Bilder in 4D-Technik sahen, einen viel größeren Sprung bei der Bindung zu ihren Kindern machten als Väter, die 2D-Bilder zu sehen bekamen, und dass sich die Intensität der Bindung auch zwei Wochen nach dem Untersuchungstermin noch unterschied. Möglicherweise versetzt die Chance, das eigene Kind dreidimensional zu sehen, verbunden mit der Möglichkeit, sich die Bilder immer wieder anzuschauen, Väter in die Lage, über die langen neun Monate der Schwangerschaft mit ihrem Kind verbunden zu bleiben.

      Die Bindung zwischen Eltern und Kind ist die erste und vermutlich stärkste Bindung, die ein Mensch entwickelt, und ob es sich um eine gesunde oder eine ungesunde Bindung handelt, wird die Gesundheit und das Verhalten des Babys sein ganzes Leben lang bestimmen. Deshalb hat die Bindung zwischen Vater und Kind langfristige Implikationen für das Kind, die Familie und die Gesellschaft insgesamt. In den letzten Jahren sind wir zu der Ansicht gelangt, dass das Band zwischen Vater und Kind eine spezielle Verbindung ist, die eine einzigartige, wichtige Beziehung herstellt. Ben berichtet davon, wie sich dieses Band bei Vater und Kind schon lange vor der Geburt zu bilden beginnt:

      Als meine Frau mit Rosie schwanger war, habe ich ihr immer »Der Mond ist aufgegangen« vorgesungen. Nach der Geburt, als sie auf dem Bauch ihrer Mutter lag, immer noch durch die Nabelschnur verbunden, habe ich wieder »Der Mond ist aufgegangen« gesungen, und sie erkannte es sofort. Das war einer der Momente, die ich nie vergessen werde.

       Ben, Papa von Rosie (18 Monate)

      Der australische Psychologe John Condon von der Flinders University hat die wichtigen Aspekte der Bindung vor und nach der Geburt untersucht und bahnbrechende Arbeiten dazu vorgelegt. Vor allem aber hat er die Unterschiede zwischen der Bindung von Vater und Kind und Mutter und Kind definiert. Bei einem werdenden Vater, dessen Beziehung zu seinem Kind hauptsächlich in seinem Kopf stattfindet, geben anscheinend drei Faktoren den Ausschlag, wie er eine Bindung zu seinem ungeborenen Kind entwickelt. Erstens kommt es darauf an, wie oft er sich in Tagträumen mit dem Kind beschäftigt und welche Gefühle das bei ihm auslöst. Ganz besonders wichtig ist, dass er sich das Baby als »kleine Person« vorstellt, und in welchem Ausmaß er positive im Gegensatz zu negativen Gefühlen ihm gegenüber empfindet. Denkt er in erster Linie darüber nach, wem er oder sie ähnlich sehen wird und wie er oder sie heißen soll, und wecken solche Gedanken Gefühle von Zärtlichkeit, Liebe und Glück? Oder denkt der werdende Vater selten an sein Kind, und wenn er es doch tut, ist seine Reaktion dann Ärger, Groll oder Frustration?

      Der zweite Faktor ist, wie wohl sich jemand mit der gewählten Identität als Vater fühlt und, spezieller, inwieweit er sich vorstellen kann, ein »involvierter Vater« zu sein. Der Begriff »involvierter Vater« entstand in den 1980er-Jahren als Beschreibung für Väter, die ihre Elternrolle aktiv wahrnehmen und genauso viel zur Pflege des Kindes und seiner emotionalen und physischen Entwicklung beitragen wollen wie die Mutter – die »neuen Väter«, von denen in den Medien so viel die Rede ist. Die neuen Väter unterschieden sich sehr vom traditionellen Bild des Zuchtmeisters, der den Lebensunterhalt der Familie verdient, das in früheren Jahrzehnten vorgeherrscht hatte. Ein Vater in meiner Studie bezeichnete es als sein Ziel, ein Vater zu werden, der sich aktiv beteiligt:

      Meine Rolle besteht darin, emotionale und finanzielle Unterstützung zu leisten. Ich denke, es ist ein bisschen von allem. Beim Elternsein geht alles gemeinsam – ich glaube nicht, dass ich allein das Geld verdienen und Julie allein die Erziehungsarbeit übernehmen sollte; ich denke, wir sollten das gleichmäßig aufteilen. Unsere Aufgabe ist es, unser Kind mit Geld, emotionaler Unterstützung, Schutz, Liebe und allem zu versorgen. Ich meine, es ist einfach großartig, Vater zu sein. Man hat so eine Verantwortung […] es gehört einfach alles dazu.

       Colin, Papa von Freya (sechs Monate)

      Die Entscheidung, welche Art Vater ein Mann sein will, hat entscheidende Auswirkung auf das Wesen der Bindung, die er zu seinem ungeborenen Kind ausbildet. Die australischen Psychologinnen Cherine Habib und Sandra Lancaster fanden in ihrer Untersuchung zu Bindung und Identität heraus, dass werdende Väter, die »Vater« als einen wichtigen Bestandteil – neben beispielsweise Ehemann und Geldverdiener – in ihre Identität integriert hatten und sich besonders stark mit der Rolle als Elternteil auf Augenhöhe identifizierten, eine intensivere Bindung an ihr ungeborenes Kind hatten als die Männer, die ihre Rolle primär darin sahen, das Geld zu verdienen. Viele Männer nehmen diese Identität bewusst an, so auch Mark:

      Ich will nicht 60 Stunden in der Woche arbeiten und nicht da sein. Mein Vater war