zur Vernissage des sich selbst als modern ausstellenden Denkens, schließt René Descartes seine Augen, verstopft seine Ohren und wendet alle seine Sinne ab, um den Blick nach innen richten zu können (vgl. Descartes, 1986: 98). Für die philosophische Moderne trennt er in dieser so einflussreichen Operation den Geist von jeglicher Körperlichkeit, prägt die Begriffe der res cogitans und der res extensa. Das denkende Ding wird außerhalb konkreter Räumlichkeit verortet, der Akt der Kognition von der Form eines Ausgedehnt-Seins losgelöst sowie gleichzeitig von Zeithaftigkeit abgeschnitten. Zielpunkt seines Vorstoßes ist das gewisse, für das jeweilige Selbst nach-erkennbare, allgemein-individuelle Subjekt, das als Folgeprodukt die Existenz Gottes absichern soll. Expressis verbis formuliert Descartes sein Ziel als nicht mehr zu bezweifelnde Gotteserkenntnis, aus der Selbstbetrachtung kreiert wird aber das moderne Subjekt. Die neben Nikolaus von Kues wohl schillerndste Figur der Renaissance-Philosophie, Pico della Mirandola, beschreitet im 15. Jahrhundert ebenfalls den Weg der Selbstschau: Denn, wer sich erkenne, so Pico, könne in sich alles erkennen (vgl. Pico, 1990: 26). Um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen, empfiehlt Augustinus, tausend Jahre davor, ebenfalls den Weg nach innen: sein Erkenntnisinteresse der Selbstschau ist allerdings weder die Welt noch das Subjekt als selbstgewisser Einzelner, sondern der Weg zu Gott, dessen Existenz das Mittelalter voraussetzen wird.
2011 greift der Mitherausgeber des Heidegger-Jahrbuchs, Alfred Denker, in Unterwegs zu Sein und Zeit auf Johann Gottlieb Fichte zurück, womit wir in der Zeitgenossenschaft Kleists sind, und zitiert zustimmend folgende Stelle aus der Einleitung in die Wissenschaftslehre: «Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt, ab, und in dein Inneres – ist die erste Forderung, welche die Philosophie an ihren Lehrling tut. Es ist von nichts, was ausser dir ist, die Rede, sondern lediglich, von dir selbst» (Fichte zit. nach Denker, 2011: 16). Für Alfred Denker wird die Innenschau also zur Bedingung der Möglichkeit des Philosophierens.
Das Fichte-Zitat führt zurück zu Descartes, da er sowohl das Kantische als auch sein eigenes Philosophieren ebenso dezidiert wie folgerichtig in den cartesianischen Kontext stellt (vgl. Fichte, 1997: 73). Dieser Kontext, um das deutlich festzuhalten, wird von einer folgenschweren doppelten Bewegung gesteuert. Das Subjekt entsteht als allgemeines und als individuelles. Deutlich wird diese Problematik, wenn an die Ästhetischen Briefe Schillers gedacht wird, der mit genau dieser Hybridität sich abringt und sehr vorsichtig nach Formen individueller Subjektivität sucht.
Das allgemeine bürgerliche Subjekt der Aufklärung wird also durch den intellektuellen Nachvollzug des individuellen, von Descartes vorgezeichneten Weges zur Selbstgewissheit gewonnen, der die Unmöglichkeit der Nicht-Existenz der res cogitans formuliert, verknappt zum berühmten cogito, ergo sum. Abgetrennt von Ort, Zeit und Wahrnehmung verbleibt nur noch der Innenraum, das abgetrennte und auf das Äußerste reduzierte Denken selbst, eigentlich: das Fragil-Unsichere, zur Selbstvergewisserung. Nachlesend bleibt die Gewissheit, dass diese res cogitans im Moment ihrer Reflexion existiert, und zwar unverortet und zeitlos. Man erlaube mir eine simple Illustration: Descartes’ Existenz ist erloschen, der körper- und zeitlose Satz bietet mir im Akt des Lesens nach-denkend die Möglichkeit der analog durchgeführten, auf das Äußerste reduzierten Selbstvergewisserung.
Das Außerhalb wird methodisch aufgegeben und der Rationalität im Sinne des denkenden Beobachtens entzogen. Der Kantische Dualismus, die Spaltung zwischen dem transzendentalen Ich und der nicht mehr erkennbaren Wirklichkeit, ist also mehr als nur vorbereitet. Die Kriterien, die Descartes der Wissenschaft auf den Weg mitgeben wird, um zu sicherem Wissen zu kommen, sind allerdings vor-kantianisch und haben bis heute wenig von ihrem Einfluss verloren: die Klarheit und die Wohlunterschiedenheit, die fortan alles Wissen garantieren sollen. Arbogast Schmitt, der eindrücklich für eine Ablöse der Bewusstseinsphilosophie durch eine aristotelisch-platonisch begründete Philosophie der Unterscheidung plädiert, bringt die Zeit- und Ortlosigkeit der cartesianischen Trennung auf den Punkt: «Auf diese Weise wird ein ausdrücklich jedes Inhalts entleertes Wissen – alle Inhalte sollen ja bezweifelbar sein – zum Garant für die Wahrheit jedes Inhalts» (Schmitt, 2008: 118), sofern er eben klar und deutlich bewusst ist.
In seiner Kantkritik wird Adorno in der Negativen Dialektik, von einer gesellschaftlichen Prägung des Einzelnen ausgehend, die «reale Komplexion von Innen und Außen» einfordern (Adorno, 1990: S, 213), Kraft der Leistung des Subjekts soll der «Trug konstitutiver Subjektivität» (S. 10) durchbrochen werden. (Das betrifft also die Antwort Kants auf die Fragen Descartes.) Mit diesem Gedanken der Komplexion von Innen und Außen wird dem zuvor mehrfach präsentierten Weg nach Innen die soziale Bedingtheit des Einzelnen gegenübergestellt. Im Anschluss an Foucault gelingt es dem Soziologen Andreas Reckwitz in seiner Habilitationsschrift zum hybriden Subjekt (vgl. Reckwitz, 2006) eindringlich, die Beziehungen zwischen diesen beiden zugegebenermaßen unscharfen Begriffen Innen und Außen in einem komplexen Modell zu erfassen, indem den sich subjektivierenden Tätigkeiten der Einzelnen die gesellschaftlichen Dispositive gegenübergestellt werden: Subjektivierung ist in diesem Sinn ein aktiver Prozess, das Subjekt ist stets Gestaltendes und Gestaltetes. Um diese Positionen an das zuvor Gesagte anzuschließen: Reckwitz geht nicht den Weg nach innen, sondern untersucht die Kreation dieser Innenräume aus der Wechselwirkung von gesellschaftlichen Prozessen und aktiver Sozialisierung des Einzelnen. Anders gesagt und etwas vereinfacht: Im Innen finden wir das Außen, so wie wir im Außen Anteile des Innen finden.
Um die Relevanz dieses Unterschiedes darzustellen, möchte ich noch einmal an Arbogast Schmitts Einsatz gegen die Bewusstseinsphilosophie und für eine Philosophie der Unterscheidung erinnern. So gelingt ihm der Nachweis, wie die naturwissenschaftliche Gehirnforschung nicht nur in der Präsentation ihrer Ergebnisse – freier Wille, ja oder nein – noch immer in cartesianischen Kategorien denkt, was als nicht mehr hinreichend komplex bezeichnet werden muss: Ein zu einfaches Verständnis des Bewusstseins multipliziert sich mit einem zu einfachen Verständnis des Ich zu einer mediengerechten, aber kognitiv naiven Absage an den freien Willen, der selbst als Begriff vor jeder Problematisierung verbleibt (vgl. Schmitt, 2003).
Wo ist in diesem Gesamtkontext Heinrich von Kleists Dramatik zu verorten? Die richtige, allerdings untaugliche Antwort wäre: (fast) überall. Um einen durchaus kontingenten Rahmen abzugrenzen, möchte ich die Ausführung in vier Punkte aufteilen, die ich zuvor kurz benenne: Der erste Punkt ergibt sich aus der komplexen psychischen Konzeption seiner Figuren mit ihrer wechselseitigen Durchdringung von Innen und Außen. Zur theatralen Schau gestellt wird so – mit dem Ausdruck Adornos – die «reale Komplexion» (s. o.) der beiden Bereiche, auf welche die Figuren fortlaufend verweisen.
Die cartesianische Klarheit und Wohlunterschiedenheit, als nächster Punkt, wird sowohl durch das Begehren als auch die Mehrdeutigkeit der Figuren unterhöhlt. Das Begehren zeigt sich in vielem als den Sprechakten entgegengesetzt, die Mehrdeutigkeit wird nicht durch den Autor aufgelöst, die Figuren verlieren dadurch ihre Aussagenflächen, das Schweigen wird zu einem bedeutenden Faktor einer Dramaturgie, die das Innenleben der Figuren dem Betrachter entzieht.
Der dritte Punkt liegt in der Zurückweisung der Vernunft in ihrer durch die Aufklärung reduzierten, von Descartes geprägten Form. In einer Zeit, in der nicht nur durch Hegel, eine gedankliche Bewegung Vicos aufnehmend, die Geschichte selbst zur vernünftigen erklärt wird, beschäftigt sich Kleists Dramatik mit den Grenzen einer zu eng geführten Rationalität. Arbogast Schmitt verweist in diesem Kontext auf einen überaus bedeutenden Punkt, und zwar auf den Zusammenhang der Rationalisierung der Geschichte mit der Instrumentalisierung des Einzelnen. In der Negation der Kontingenz droht der Einzelne zum Material für sogenannte historisch notwendige Prozesse zu werden (vgl. Schmitt, 2008: 120).
Als vierten Punkt möchte ich die Körperlichkeit sowie die Ereignishaftigkeit betonen. Bernhard Greiner spricht in diesem Kontext wiederholt von einem Kleistschen Theater der Präsenz, was mir ein gelungener Ausdruck zu sein scheint, der die wichtigen theaterwissenschaftlichen Zugänge zu Kleist berücksichtigt. Präsenz steht hier im Gegensatz zu Aussage, fokussiert auf Unmittelbarkeit und schafft Platz für eine Körperlichkeit, die nicht zur beredten Rede wird, sondern Leer- und das heißt Reflexionsräume eröffnet.
Um über die reale Komplexion zwischen Innen und Außen zu sprechen, werde ich kurz auf den Variant eingehen. Dem Drama des Adam im Zerbrochnen Krug wird hier das Drama der Eve gegenübergestellt,