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Grundwissen Psychisch Kranke


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groß sein. Wie bei keiner anderen Persönlichkeitsstörung wird das von der Umwelt oft verkannt, weil man sich durch eine charmant-gewinnende und selbstbewusste Fassade blenden oder durch eitles Gehabe abschrecken lässt.

       Beispiel

       Frau H. ist eine 35-jährige Frau, die über Einsamkeitsgefühle und starke Depressionen klagt. Aufgrund einer histrionischen Persönlichkeitsstörung kam es immer wieder zum Scheitern von Beziehungen unter teils dramatischen Umständen. Sie lebt bei ihrer Mutter.

       In unserer Klinik verlangt sie von ihrem Therapeuten einen hohen persönlichen Einsatz. So möchte sie ihre Medikamente von ihm persönlich aufs Zimmer gebracht bekommen. Als ihr das verweigert wird, ruft sie ihren Hausarzt in Frankfurt an und berichtet, in der Klinik stark vernachlässigt zu werden. Sie stehe gerade auf dem Fenstersims und sei dabei, sich aus dem Fenster stürzen. Der Hausarzt wiederum verständigt sofort die Klinik. Als der Behandler in ihr Zimmer kommt, erwartet sie ihn mit einem Lächeln – im Bett liegend. Der Therapeut ist gezwungen, über ihre auf dem Boden verstreut liegenden Dessous zu steigen, um mit ihr ein Gespräch zu führen.

       Der dramatisch-expressive Persönlichkeitsstil

      Dramatisch-expressive Persönlichkeiten sind durchaus charmante und liebenswürdige Menschen mit einer intuitiven und warmherzigen Art. Sie sind gefühlsoffen, überschwänglich und spontan. Sie wissen andere zu unterhalten, in ihrer Nähe gibt es selten Langeweile. Die ganze Welt dient ihnen als Bühne. Komplimente und Applaus sind ihr Lebenselixier. Gleichzeitig drohen sie aber auch Partner und Mitmenschen durch ihre Stimmungsumschwünge und Mittelpunktssucht zu ermüden. Die anfängliche Faszination geht so auch in Partnerschaften rasch verloren.64

      Menschen mit einem entsprechenden Persönlichkeitsstil findet man unter Schauspielern und unter Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie Politikern.

       3.2.4 Die narzisstische Persönlichkeitsstörung65

      Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind von ihrer eigenen Grandiosität übermäßig überzeugt und eingenommen. Sie übertreiben ihre (zweifellos oft vorhandenen) Talente, streben besonders rückhaltlos nach Erfolg, Ruhm und Macht. Sie halten sich für einzigartig und pflegen am liebsten nur Umgang mit Menschen, die ihrerseits besonders angesehen sind oder für wichtig gehalten werden.

      Entsprechend erwarten narzisstisch gestörte Menschen auch besondere Aufmerksamkeit und Bewunderung, was sie mitunter arrogant und blasiert wirken lässt. Manchmal kultivieren sie auch ein entsprechendes Auftreten, kleiden sich auffallend, kommen gerne zu spät (um bemerkt zu werden und um ihre Unabhängigkeit zu betonen), müssen immer das letzte Wort haben, hören ganz spezielle Musik, die „kein anderer wirklich versteht“ etc.

      Das Besondere ist ihnen nicht besonders genug: Fahren andere „High-Performer“ einen Ferrari, dann muss es für den Narzissten mindestens eine Corvette sein. Manche kaufen sich „Doktortitel“, sodass man schon mal einen narzisstisch gestörten Handwerker antreffen kann mit einem „Doctor of Divinity“ (Doktor der Göttlichkeit)66.

      Für die Bedürfnisse anderer Menschen sind sie eher blind; es findet sich ein Mangel an Mitgefühl und Einfühlungsvermögen. Sie erwarten ganz selbstverständlich, dass andere für sie da sind, können kaum dankbar sein (und wenn sie es doch einmal sind, dann sind sie es aus Kalkül).

       Soziale und gesundheitliche Folgeprobleme

      Narzisstisch gestörte Menschen haben neben den Borderline-Patienten die höchste Suizidrate. In einem Beobachtungszeitraum von 16,5 Jahren suizidierten sich 14 % der Betroffenen67. Menschen, deren brüchiges Selbstwertgefühl durch Größenphantasien und Erfolgsstreben kompensiert wird, reagieren auf Kränkungen, berufliches Scheitern oder Verlassenwerden besonders stark. Bei narzisstisch gestörten Patienten kommt es dabei zu intensiven Selbstzweifeln, Versagensgefühlen und schließlich zu den schweren depressiven Krisen mit Suizidalität.

      Die Kritikempfindlichkeit der Patienten führt zu einem ausgeprägten „Feedback-Problem“. Sie immunisieren sich gegen kritische Rückmeldungen und gegen jeglichen Verdacht der Mittelmäßigkeit, indem sie andere nicht zu Wort kommen lassen oder indem sie andere abwerten. Am liebsten reden sie nur über sich und ihre Leistungen. Bekommen die Betroffenen nicht, was ihnen ihres Erachtens an Bewunderung und Respekt zusteht, und liegt – wie häufiger zu beobachten – eine Kombination mit antisozialen oder paranoiden Zügen vor, geraten sie auch in Rage, werfen ihrem Umfeld „Verrat“ vor, schwelgen in Groll und Verbitterung. Die Betroffenen verstärken dann ihre sich selbst überhöhende Selbstdarstellung, was sie in einen Teufelskreis des „Fassadenbaus“ geraten lässt, oder sie ziehen sich sozial zurück.

      Ähnlich wie bei den histrionischen Menschen kann der erste Eindruck von Grandiosität und Vollkommenheit nur auf kurze Strecken durchgehalten werden.

       Beispiel

       Herr M. ist ein 49-jähriger Bundeswehroffizier mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (mit antisozialen Zügen). Er kommt in psychiatrische Behandlung, nachdem er im alkoholisierten Zustand seine Frau verprügelt und dann einen Suizidversuch begangen hatte. Im Vorfeld hatte er erfahren, dass seine Frau eine Affäre mit einem Kameraden hatte.

       Obwohl er selbst – wie sich herausstellt – zahlreiche Affären pflegte, möchte er das nicht mit der „Schandtat“ seiner Ehefrau verglichen wissen: Er habe immer nur flüchtige Affären mit weitläufigen Bekannten gehabt, der Adler jage schließlich nur weit vom Horst – er sei ein Mensch mit Prinzipien …

      Auf der Station ist er stets tadellos mit Anzug und Krawatte gekleidet. Er verteilt großzügig Geschenke (überwiegend an junge Damen): So sei er nun mal, schließlich seien die meisten hier doch überwiegend arme, bedauernswerte „Hartz-IV’ler“. Er fährt, was er jeden gerne wissen lässt, einen Wagen der Oberklasse, um den ihn selbst sein Chef beneide. Schließlich habe man so seine Nebentätigkeiten …

      Seinen Therapeuten lehnt er ab, weil der während eines Therapiegespräches mit ihm einmal einen Telefonanruf entgegengenommen habe, was ihm gegenüber respektlos sei und sich nicht gehöre. Als die ärztliche Leitung darauf besteht, dass er weiter mit diesem Therapeuten arbeite, droht er schließlich, seine „Verbindungen in die Politik“ spielen zu lassen. Er habe einen enormen Einfluss …

       Für ihn komme nur ein Behandler in Frage: der Chefarzt persönlich.

       Der ehrgeizig-selbstbewusste Persönlichkeitsstil

      Überselbstbewusste Menschen werden in einer Konkurrenzgesellschaft mit Leistungsund Erfolgszielen besonders hoch geschätzt. Vielleicht ist das ein weiterer Grund dafür, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung nur in den Anhang der ICD-10 aufgenommen wurde.

      Wenn die Defizite des Empathiemangels und der Kritikempfindlichkeit nicht sehr ausgeprägt sind und die Vorstellungen über die eigene Größe in einem gewissen Rahmen bleiben, sind narzisstische Menschen durchaus charmant und vor allem sehr erfolgreich. Sie treten energisch auf und wissen andere für ihre Ziele zu begeistern. In konkurrierenden Beziehungen, also besonders auch auf dem unternehmerischen Sektor, fühlen sie sich wohl, sind siegessicher und geschickt im Verfolgen ihrer Ziele. Dazu dienen dem ehrgeizig-selbstbewussten Menschen ein nicht selten anzutreffender guter Intellekt und andere Begabungen. Sie sind die Stars und können einen Hof an Bewunderern um sich versammeln.

      Auch in nahen Beziehungen finden sie mitunter tragfähige Kompromisse, überwiegend jedoch mit Menschen, die ihre eigenen Interessen hinter die des ehrgeizig-selbstbewussten Menschen zurückstellen und die mit Kritik zurückhaltend sind, sogenannte Komplementärnarzissten68.

       3.3 Das Cluster C: die ängstlichfurchtsamen Persönlichkeiten

      Das Cluster C umfasst diejenigen Persönlichkeitsstörungen, deren Erlebensmuster durch soziale Unsicherheit sowie durch Angst und Furcht vor Zurückweisung geprägt sind. In ihrem Verhalten versuchen sie, diese Ängste und die Unsicherheit zu