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Grundwissen Psychisch Kranke


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       3.3.1 Die vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung69

      Die Betroffenen leiden unter einer grundlegenden Angst vor Zurückweisung, Missbilligung oder negativer Beurteilung durch andere. Sie halten sich für unterlegen, unbeholfen oder unattraktiv.

      Vor dem Hintergrund dieser Ängste und Minderwertigkeitsgefühle (Insuffizienzgefühle) vermeiden sie soziale Kontakte oder gehen nur solche Beziehungen ein, bei denen sie sich sicher sein können, gemocht zu werden. Einige Betroffene haben daher kaum Kontakte außerhalb ihrer Familie.

      In neuen zwischenmenschlichen Situationen oder Gruppen fühlen sie sich sehr unwohl, wirken meistens gehemmt, sind still und kaum wahrnehmbar. Im Hintergrund steht die Überzeugung, dass jeder Nagel, der herausragt, in das Brett gehämmert wird70 – vor allem aber dann, wenn es sich um sie selbst handelt.

      Bringen sie sich dennoch einmal in einer sozialen Situation ein, erzählen etwas von sich oder vertreten eine Meinung, dann grübeln sie hinterher unter dem Affekt der Scham stunden- bis tagelang darüber nach, ob die Äußerungen passend und richtig waren, was die anderen denken könnten, ob man evtl. jemanden gekränkt oder sich selbst blamiert haben könnte (im Psychotherapie-Jargon auch „Leichenfleddern“ genannt).

      Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeiten zeigen sich nicht gerne; sie sind eher konservativ, probieren eigenständig wenig Neues aus, scheuen jegliches Risiko.

       Soziale und gesundheitliche Folgeprobleme

      Im Beruf arbeiten Menschen mit dieser Störung oft weit unter demjenigen Niveau, das ihnen ihr Intellekt und ihre Ausbildung ermöglichen würden: Ein Ingenieur bescheidet sich mit einem Techniker-Job, eine Pädagogin mit einem Platz als Erzieherin im Kindergarten, ein Sprachwissenschaftler mit einem Job in der Buchausleihe einer Bibliothek.

      Da sie nicht gerne persönliche Risiken auf sich nehmen, wird jede Beförderung, jeder Auftrag, jede neue Unternehmung, jeder neue Arbeitgeber, selbst jede Bitte um Gehaltserhöhung zu einer unüberwindlichen Hürde: Die Projekte könnten scheitern, sich als beschämend erweisen und werden daher vermieden.

      Aufgrund eines andauernd erhöhten Anspannungsniveaus, aufgrund der andauernden Besorgnis sowie des negativen Selbstbildes kann es zu depressiven Entgleisungen und zu panikartiger Zuspitzung von Ängsten kommen, manchmal auch mit Medikamentenmissbrauch (Beruhigungsmittel) einhergehend.

       Der selbstkritisch-vorsichtige (sensible) Persönlichkeitsstil

      In abgemilderter Form, wenn Hypersensibilität, Selbstentwertungs- und Verharrungstendenzen nicht extrem ausgeprägt sind, spricht man von einem selbstkritisch-vorsichtigen Persönlichkeitsstil. Die Betroffenen sind durchaus beliebte, funktionstüchtige, ja integrierende Menschen. Da ihnen Harmonie wichtig ist, sind sie sehr kompromissbereit und überlassen anderen – höflich, zurückhaltend und ohne Ressentiment – den Vortritt. Sie fühlen sich ihren Freunden und der Familie zutiefst verbunden, schätzen ihre Heimat und die vertraute, gewohnte Umgebung ihres Zuhauses.

      Die Tendenz, sich selbst in Frage zu stellen, begründet eine grundsätzliche Bescheidenheit, die sie selbst dort durchhalten können, wo sie (mehr oder weniger widerwillig) in Führungspositionen hineinkommen, was am ehesten noch in der öffentlichen Verwaltung zu erwarten ist.

       3.3.2 Die dependente Persönlichkeitsstörung

      Menschen mit einer dependenten (abhängigen) Persönlichkeitsstörung haben Probleme damit, selbssttändig Entscheidungen zu treffen. Sie brauchen daher andere Menschen, die für sie wichtige persönliche Entscheidungen treffen. Sie geben die Verantwortung gerne in allen Bereichen an andere ab.

      Ihre größte Sorge ist die, alleine dazustehen. Sie tun daher alles dafür, um von Bezugspersonen nicht verlassen zu werden, sind nachgiebig und überangepasst, verzichten auf eigene Wertvorstellungen, riskieren keinen Konflikt und erfüllen die Wünsche des anderen bis hin zur Unterwürfigkeit71.

      Ähnlich wie die vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeiten haben sie Angst vor einem Versagen und vor negativer Bewertung, sodass sie lieber mit dem Strom schwimmen und eigene Initiativen vermeiden.

       Soziale und gesundheitliche Folgeprobleme

      Menschen mit dependenter Persönlichkeitsstörung haben ein erhebliches Risiko, depressive Störungen bis hin zur Suizidalität zu entwickeln, vor allem bei Beziehungsproblemen oder nach Trennungen. Manchmal stürzen sie sich, um das Alleinesein zu vermeiden, unüberlegt und ohne aus vergangenen negativen Erfahrungen zu lernen, in neue Beziehungen. Diese kranken dann mitunter daran, dass das komplementäre Beziehungsverhältnis („one up - one down“) immer eskalieren kann bis hin zu Gewaltbeziehungen, in denen die dependenten Menschen die Opfer sind. Selbst dort, wo keine Gewalt vorkommt, werden die dependenten Menschen mit der Zeit immer unselbstständiger und passiver.

      Bemerkenswert hoch ist die Belastung dependenter Menschen mit sogenannten somatoformen Störungen, das sind psychisch bedingte Erkrankungen mit körperlichen Symptomen wie (körperlich nicht erklärbare) Schmerzen, Erschöpfungszustände, Magen-Darm-Beschwerden etc.

       Der anhänglich-loyale Persönlichkeitsstil

      Abhängigkeit gehört zur Natur des Menschen. Wir sind zeitlebens auf Hilfestellung und Fürsorge angewiesen. Es dauert Jahre, bis uns Eltern, Lehrer, Freunde, Partner etc. in die wichtigsten Kulturtechniken und sozialen Konventionen eingeführt haben. Und auch dann sind wir – lebenslang – immer noch soziale Wesen, abhängig von unserer Bezugsgruppe und von sozialen Netzwerken, und zwar nicht erst dann, wenn wir die Widerständigkeit des Lebens in Form von Scheitern, Krankheit, Verletzung und Tod zu spüren bekommen.

      Die Fähigkeit, eigene Interessen zurückzustellen, ist in diesem Sinne eine sozial wertvolle, förderliche und sehr akzeptierte Kompetenz. Menschen mit einem anhänglich-loyalen Persönlichkeitsstil nutzen ihre Fähigkeit zur Empathie und Kooperation und können sich damit einen stabilen Bekannten- und Freundeskreis aufbauen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sie zumindest zu einem gewissen Grad auch in der Lage sind, authentisch und aktiv für ihre Interessen einzustehen und selbst gesetzte Ziele und Werte zu vertreten.

      Man findet entsprechende Persönlichkeiten häufiger in Helfer- und Therapeutenberufen. Das Risiko, in eine grenzenlose Verausgabung hineinzugeraten, ist für anhänglich-loyale Menschen in diesen Berufen aber immer gegeben, u. a. weil sie damit unbewusst Kontaktbedürfnisse befriedigen und sich von eigenen Zielen und Lebensfragen ablenken können (sogenannte altruistische Abtretung72 oder auch Helfersyndrom73).

       3.3.3 Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung

      Die zentralen Merkmale eines Menschen mit dieser Störung sind eine Übergewissenhaftigkeit und Übergenauigkeit bis hin zum Perfektionismus, der so ausgeprägt ist, dass er den Betroffenen letzten Endes bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert.

      Die Betroffenen haften häufig an Details („Detailsucht“). Ordnung, Regeln, Normen, Pläne und Konventionen sind ihnen überaus wichtig; sie sind eigensinnig und starr in der Befolgung diesbezüglicher Vorgaben.

      Meistens sind dem zwanghaften Menschen Arbeit und Beruf am wichtigsten. Hier delegiert er nur widerwillig aus der Furcht heraus, die Aufgaben könnten nicht in seinem Sinne – nämlich perfekt – erledigt werden. Genau das verlangt er von anderen als Kollege oder Vorgesetzter. Er arbeitet daher am liebsten alleine, ist andererseits so voller Zweifel und übervorsichtig, dass er in Führungspositionen mitunter überfordert ist. Der zwanghafte Mensch ist der klassische „zweite Mann“ im Betrieb, der nach Vorgaben und Anordnungen ausführt, und zwar korrekt.

      Freizeit, Vergnügen, zwischenmenschliche Beziehungen kommen für die Betroffenen erst an zweiter Stelle, werden oft vernachlässigt oder ebenfalls strengen Regularien unterworfen: Die Freizeit muss sinnvoll genutzt, gestaltet und verplant werden. Zwanghafte Menschen sind Leerlaufphobiker, die am Wochenende, wenn es nichts zu tun gibt, in Verstimmungen geraten.

      Das Zusammenleben mit Zwanghaften ist anstrengend: Sie sind sparsam bis hin zum Geiz, Großzügigkeit ist ihnen fremd.