verstehen)
„Er meint das nicht wirklich persönlich. Das ist genauso eine Taktik, wie ich eine anwende.“ (Entemotionalisieren, Situation rational bewerten)
Diese Strategien werden in Transferübungen (zunächst in Rollenspielen, dann im Arbeitsalltag) geübt.
2.3 Palliativ-regeneratives Stressmanagement
Palliativ-regeneratives Stressmanagement setzt an, wenn Belastungssituationen zu Beanspruchungs- und Stressreaktionen geführt haben. Ihr Ziel ist es, kurzfristig überschießende Aktivierung zu dämpfen und Handlungsfähigkeit sicherzustellen sowie langfristig für Ausgleich und Regeneration zu sorgen. Neben den bereits eingangs beschriebenen Entspannungstechniken geht es hier beispielsweise um regelmäßige Bewegung, um die Pflege des sozialen Netzwerkes sowie um angenehme Erlebnisse und das bewusste Genießen im Alltag.
Akutfallstrategien – „Methoden der kurzfristigen Erleichterung“
Kaluza (201151) schlägt als Strategie für akute Belastungssituationen die Quart-A-(4A-) Strategie vor. Sie ist besonders für solche Personen gedacht, die in ihrem beruflichen und/oder privaten Alltag häufiger in schlecht vorhersehbare Belastungssituationen geraten, die durch proaktive Bewältigungsbemühungen kaum kontrollierbar sind. Entsprechend handelt es sich um Strategien, die im Polizeialltag eine wichtige Rolle spielen können.
Für solche belastenden Situationen soll hier eine Strategie vermittelt werden, die zum Ziel hat, körperliche und seelische Erregung in diesen Situationen zu kontrollieren, Symptomstress zu vermeiden bzw. Stresstoleranz zu entwickeln sowie adäquates Handeln (falls erforderlich, möglich und gewollt) überhaupt zu ermöglichen. Die Quart-A- (4 x A) Strategie besteht aus vier Schritten:
Annehmen bedeutet, die Situation so zu akzeptieren wie sie ist. Das Annehmen der Situation beinhaltet zweierlei: Erstens das möglichst frühzeitige Wahrnehmen von Stresssignalen und zweitens eine klare und bewusste Entscheidung für das Annehmen (und damit gegen das Hadern mit der Realität). Dies entspricht dem Resilienzfaktor des Akzeptierens (s. unter Einstellungsänderung in Abschnitt 2.2).
Abkühlen bedeutet, überschießende körperliche und psychische Erregung in einer akuten Stresssituation zu regulieren. Wichtig ist hier auch wieder die bewusste Entscheidung für das Abkühlen (und damit gegen das Hineinsteigern in die Erregung). Das Abkühlen selbst kann dann durch gezielte, kurze Entspannungs-, Atem- oder Bewegungsübungen erreicht werden.
Analysieren bedeutet, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um zu einer bewussten und schnellen Einschätzung der Situation zu kommen.
Ablenkung oder Aktion: Je nach Ausgang der Kurz-Analyse geht es hier entweder um Ablenkung von der Situation (wenn keine aktive Bewältigung möglich oder sinnvoll ist) oder um gezielte Aktionen zur Änderung der Situation.
Beim Abkühlen und Ablenken setzen auch die „Methoden der kurzfristigen Erleichterung“ nach Wagner-Link (201052) an. Diese zielen auf
• das Kappen von Erregungsspitzen,
• das Unterbrechen der Eskalation bei der betroffenen Person und in der Interaktion sowie auf
• ein schnelleres Umschalten auf Erholung.
Als Maßnahmen, die entsprechend für Abkühlung und Ablenkung sorgen können, schlägt sie vor:
1) Wahrnehmungslenkung
2) Positive Selbstgespräche
3) Kontrollierte Abreaktion
4) Systematische Spontanentspannung
Ad 1) Die Wahrnehmung wird auf erregungsreduzierende, neutrale oder positive Gedanken oder Stimuli fokussiert. Beispiele für eine äußere Wahrnehmungslenkung sind die Beschäftigung mit anderen, angenehmeren Arbeiten – Kurzpausen, aus dem Fenster schauen, telefonieren etc. Innere Wahrnehmungslenkung richtet die Aufmerksamkeit weg von der Stress auslösenden Situation hin zu positiven Bildern oder Gedanken. Auf diese Weise soll körperliche und emotionale Erregung herunterreguliert werden, um wieder handlungsfähig zu werden bzw. zu bleiben.
Ad 2) Positive Selbstgespräche wurden unter dem Aspekt der Selbstinstruktion bereits thematisiert (siehe unter 2.2 Kognitives Stressmanagement).
Ad 3) Kontrollierte Abreaktion dient dazu, sich körperlich abzureagieren und somit das zu tun, wozu man physiologisch bei Stress programmiert ist. Es geht dabei nicht um ein Ausleben von Wut und Aggression am Gegenüber, sondern darum, sich gezielt und kontrolliert körperlich zu entlasten – quasi auszutoben. Abreaktion ist nur dann eine sinnvolle Stressbewältigungstechnik, „wenn sie jederzeit willkürlich erzeugt und abgestellt werden kann“ (Wagner-Link, S. 97). Ansonsten besteht die Gefahr negativer Auswirkungen auf Mitmenschen sowie des Verlusts an Selbstkontrolle.
Ad 4) Maßnahmen der Spontanentspannung beziehen sich auf Kurzformen von Entspannungstechniken, wie sie oben beschrieben wurden (siehe unter Abschnitt 1), die bei entsprechender Übung kurzfristig zur spontanen Beruhigung genutzt werden können. Auch das tiefe Durchatmen fällt hierunter. Dabei ist das richtige Atmen wichtig, da übermäßige Brustatmung und Betonung der Einatmung zu vermehrter Aktivierung und Hyperventilation und damit zu Schwindel führen können.
Beruhigende Atemtechniken sind dagegen:
• Tiefe Bauchatmung: Beim Einatmen sollte zunächst in den Bauch und erst dann in die Brust geatmet werden. Beim Ausatmen leert sich zunächst die Brust und dann der Bauch.
• Langsame Atmung
• Langsames Ausatmen: Das Ausatmen sollte etwas länger dauern als das Einatmen, da physiologisch gerade das Ausatmen der entspannende Vorgang ist. Man kann dazu beispielsweise langsam zählen: während des Einatmens „1, 2“, während des Ausatmens „3, 4, 5“.
• Verbunden atmen: zwischen Ein- und Ausatmung sollte keine Pause, kein Luftanhalten erfolgen. Das Einatmen geht direkt in das Ausatmen über.
Soziale Unterstützung – Netzwerkpflege
Positive soziale Beziehungen stellen eine zentrale Ressource des individuellen Stressmanagements dar (s. a. die Ausführungen zum Thema Einstellungsänderung/Resilienz in 2.2 „Kognitives Stressmanagement“).
Personen mit intakten sozialen Beziehungen in Familie, Freundeskreis und bei der Arbeit erkranken deutlich seltener psychisch oder physisch und leben länger als Personen ohne entsprechende soziale Unterstützung (vgl. z. B. Kaluza, 201153, Röhrle, 199454, von Holst & Scherer, 198855). Wagner-Link56 (S. 204) führt aus, dass sozialer Rückhalt, vertrauens- und respektvolle Zusammenarbeit und Umgang mit anderen sowie ein konstruktives angstfreies Arbeitsklima die tieferen Hirnregionen beruhigen. Belohnungsrelevante und angstmindernde Hirnstrukturen und Neurotransmitter wie Dopamin werden aktiviert.
Gerade in Stressphasen werden soziale Kontakte häufig vernachlässigt. Ein solches Verhalten beraubt die Personen einer wichtigen Ressource.
In Stressmanagement-Seminaren wird in der Regel mit Soziagrammen bzw. der grafischen Darstellung des persönlichen sozialen Netzes gearbeitet (siehe z. B. Wagner-Link, 201057, Reschke & Schröder, 200058, Kaluza, 201159). Ausgehend von der eigenen Person wird aufgezeichnet, welche Menschen zum relevanten sozialen Netz gehören. Besonders nahestehende Personen werden dicht an die eigene Person gezeichnet, entfernte Bekannte entsprechend in weiterer Entfernung. Dabei kann zwischen verschiedenen Personengruppen (z. B. Familie/Verwandte, Freunde, Arbeit/Kollegen etc.) unterschieden werden. Durch Linien verschiedener Stärke wird die Zufriedenheit mit der Beziehung symbolisiert (vgl. Abb. 2).
Abbildung 2
Basierend auf dieser Ist-Analyse wird erörtert, welche Kontakte man gerne