reinsten Wassers« gewesen, der an die von ihm vertretenen Anschauungen unbeirrbar geglaubt habe; dementsprechend wäre es auch verfehlt, ihn als »Terroristen schlechthin« abzutun – Grausamkeit im gewöhnlichen Sinn habe er nicht gekannt und zweckloses Morden sei ihm zuwider gewesen. Dennoch seien in ihm die Eigenschaften eines »politischen Inquisitors« erkennbar, der sich schematisch von einer dualistischen Auffassung der Menschen leiten lasse. Aus diesem Grund sei er auch als Staatsmann gescheitert, als es an ihm gelegen hätte, für die Normalisierung zu sorgen (die große Versöhnung herbeizuführen), nachdem die großen Gefahren vergangen waren. Dazu sei er unbefähigt gewesen, weil ihm eben der Begriff der Synthese fremd war. Alles in allem bleibe er jedoch »Künder einer Idee, die für sich genommen, groß und erstrebenswert erscheint«.102
Es ist schließlich Furet, der den Versuch unternimmt, die metaphorisierende Verknüpfung von Gestalt und historischem Prozeß aufzulösen, indem er die Gestalt Robespierres, samt ihrer psychologischen Eigenschaften, vom Symbol der Revolution in deren Funktion (rück)verwandelt. Seiner Auffassung nach ist Robespierres Darstellung als diktatorisches Ungeheuer ebenso unsinnig, wie die Bezeugung seiner Unbestechlichkeit zwecklos erscheint.
»Der diesen beiden Schulen gemeinsame Widersinn liegt darin, daß man die geschichtliche Rolle, die die Ereignisse ihm aufzwangen, und die Sprache, die sie ihm eingaben, den psychischen Eigenschaften des Mannes zuschreibt. Was aus Robespierre eine unsterbliche Gestalt macht, ist nicht, daß er ein paar Monate lang Herr über die Revolution war, sondern daß die Revolution aus ihm mit der zugleich tragischsten und reinsten Stimme spricht.«103
Es stellt sich indes heraus, daß das Bedürfnis nach Individualgestalten als Symbole politischer, sozialer und moralischer Anschauungen ungleich stärker geprägt ist, als die Einsicht in die Beschränktheit ihrer epistemologischen Gültigkeit. So registrierte schon Cunow die Mannigfaltigkeit der Attribute, die die Historiographie des 19. Jahrhunderts Marat anhängte: Er ist einerseits »brutaler Zyniker«, andererseits »uneigennützigster Humanitätsapostel«; die einen sehen in ihm einen »überspannten, von wildem Ehrgeiz gepeitschten leidenschaftlichen Fanatiker«, den anderen gilt er als »Verrückter und Narr«; mit Vorliebe wird er als »blutige Bestie« betrachtet, und für Göhring verkörpert er gar als »hemmungsloser Demagoge« in »Wort und Tat, in Gebärde und Haltung die schwarze Kehrseite der Revolution«.104 Als noch problematischer entpuppt sich die Personofizierung sozialer Randgruppen und Unterschichten, welche »durch ihren politischen Extremismus den Weg zu einer neuen Ordnung, von der sie selbst zerrieben werden«, öffnen.105 Um dieses Element der Revolution als historisches Subjekt präsentieren zu können, muß man ihn in »Masse«, »Volk«, »Nation«106 oder, im differenzierteren Fall, in »Sansculotten« verwandeln; es tritt dann allerdings gemeinhin in seiner Funktion als Anhängerschaft dieser oder jener politischen Führer auf, welche ihrerseits von ganz anderen gesellschaftlichen Schichten abstammen. Die anonyme Masse bringt – so will es scheinen – keine authentischen Führer hervor, die ein adäquates historiographisches Symbol abgeben könnten.
Genau hierauf bezieht sich Walter Markov, wenn er vom »Elend der [historischen] Biographie« spricht. Er bezichtigt die bürgerlichen Historiker einer bewußten, ideologisch motivierten historiographischen Verdrängung von Gruppen, wie der Bewegung der »Enragés«, und wirft ihnen abschätzige Überheblichkeit vor. Diese Verdrängung resultiere aus einer augenscheinlichen Verwechslung zwischen Jakobinismus und Volksbewegung: »Was jenseits des ›Berges‹ lag, versperrte sich von vornherein die Anerkennung als mitbestimmendes Element im Revolutionsprozeß. Die Herolde einer Klasse, die sich soeben anschickte, die Kommandobrücke der Weltgeschichte zu besetzen, spürten keine Veranlassung, ihrem Gegner von morgen zu einem anfeuernden Urbild zu verhelfen.«107 Markovs Held ist Jacques Roux; sowohl in seiner sozialen Abstammung als auch in seinem Wirken und seinem Schicksal verkörpere er die ungeschriebene Geschichte der unteren Schichten sowohl in der Revolutionszeit als auch nach ihr. Markov meint, es sei der Druck der sansculottischen »Alternativen« gewesen, welche die Jakobiner »zum Erkundungsvorstoß an die äußerste Belastungsgrenze bürgerlicher Demokratie« gezwungen hätte108, er ist sich freilich aber auch dessen bewußt, daß die Volksbewegung kein »Glück auf Erden« zu erwarten hatte – weder von den Jakobinern noch von sich selbst, wenn sie im Jahre 1794 unter Führung der Cordelliers zur Herrschaft gelangt wäre. Er selber behauptet, es habe nicht wenig »Desperados und Wirrköpfe« gegeben, welche nicht der radikalen Linken der Enragés zuzurechnen seien. Und dennoch: Mag es auch nicht in ihrem Sinne gelegen haben, die Jakobiner von der Macht zu stürzen, so sei es doch der herausragende Vertreter der Enragés, Jacques Roux, gewesen, der dem Grundsatz Ausdruck verliehen habe, den nicht jeder laut zu denken bereit gewesen sei: »Daß das ›nützliche Volk der Armen‹ zum Segen der Revolution in ihr verbleiben müsse, um sein Wort zu sagen und nicht den Eigentumskatechismus einer anderen Klasse nachzuplappern«; genau das sei ihm allerdings von der Montagne, »sobald sie sich fest im Sattel wähnte«, strikt verwehrt worden.109
Roux’ Ende ist zwar exemplarisch, jedoch nicht unbedingt im Sinne seiner spezifischen sozialen Zugehörigkeit. Die Revolution frißt bekanntlich ihre Kinder; betrachtet man jedoch das Fazit, so ist freilich die Feststellung unumgänglich, daß letztlich Vertreter aller gesellschaftlichen Schichten und aller politischen Strömungen in dieser oder jenen Phase der Revolution ihr Leben lassen mußten. Von Anfang an war daher die Geschichtsschreibung der Revolution vor einem Sonderproblem gestellt, sobald sie daran ging, sich mit dem Phänomen des gewaltsamen Todes (einem integralen Bestandteil jener Epoche) auseinanderzusetzen. Auch wenn man die vorherrschende historiographische Linie des 19. Jahrhunderts, nach der Terror und Mord unausweichliche Ergebnisse der von der jakobinischen »Pöbelherrschaft« hervorgebrachten politischen Anarchie und Sittenlosigkeit darstellten, übergeht, und sich der Rezeption im 20. Jahrhundert zuwendet, trifft man selbst bei Anhängern der Revolution auf eine unterschwellige Apologie, sobald sie sich auf ein Phänomen wie das der »Septembermorde« beziehen. Es versteht sich von selbst, daß auch in diesem Zusammenhang die Darstellungstaktiken und die aus ihnen hervorgehenden Schlußfolgerungen nicht einheitlich sind.
Mathiez – nachdem er wohlweislich dargelegt hat, daß es Danton gewesen sei, der nichts dagegen hatte, »daß das Volk ›sich selbst Recht schaffe‹« – erwähnt die aufpeitschenden Reden der Sektionsvertreter in der Kommune, während die Sektionen selbst mit der allgemeinen Rekrutierung und den Vorbereitungen für den patriotischen Kampf gegen die äußeren Feinde der Revolution beschäftigt waren. Er beschreibt zwar in Kürze die Greuel der Gemetzeltage und redet auch von einem »Blutrausch«, betont aber ausdrücklich, die Bevölkerung habe »diese Schreckensszenen teils gleichgültig, teils mit Genugtuung« hingenommen und benutzt den Brief der Madame Julien vom 2. September, um klarzustellen, daß »das in seinem Zorn furchtbare Volk [Rache nimmt] für die Verbrechen, die feiger Verrat drei Jahre lang an ihm begangen hat«.110 Eng damit verbunden ist für Mathiez das »patriotische Fieber«, die Hingabe und die Aufopferung, welche die Sektionen in den damals stattfindenden Vorbereitungen zum bevorstehenden Krieg charakterisiert hätten, und so folgert er: »Das Erhabene und das Ungeheuerliche berührten sich.«111
Auch Soboul erwähnt die »quälende Furcht vor Verrat«, welche die Bevölkerung am Vorabend der Ereignisse gepeinigt habe. Aus seiner Darstellung geht hervor, daß der Anlaß für die Ereignisse in den gegen die eidverweigernden Priestern unternommenen Schritte zu sehen sei, und daß »nach der Konzeption der Volkssouveränität […] die Ausübung der Gerichtsbarkeit direkt zu dieser Souveränität, deren sich das Volk dann wieder unmittelbar bemächtigt, wenn es not tut«, gehöre. Soboul begnügt sich jedoch nicht mit der nationalen Dimension der »Reaktion des Volkes« (der Angst vor den einmarschierenden Preußen), sondern verbindet sie mit einem sozialen Aspekt: »Zu der Angst um die Nation kam […] noch die soziale Angst: Angst um die Revolution und Furcht vor der Konterrevolution. Das aristokratische Komplott bedrückte erneut die Gedanken der Patrioten.« Soboul vermeint also einen Zusammenhang zwischen den »Septembermorden« und dem »sozialen Haß«, der angesichts der »Umstände« nur zu verständlich gewesen sei, zu erkennen, und somit erhält das Massaker für ihn einen nahezu symbolischen Charakter: »Zu keinem anderen Zeitpunkt der Revolution zeigte sich die enge Verbindung des nationalen Problems mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in dieser Deutlichkeit.«112