sich zieht. Deshalb nimmt die Anzahl der Mikrozustände W nur unwesentlich zu und die Entropie wächst kaum (Abb. 3.6). In einem System mit niedriger Temperatur sind dagegen nur wenige (bei T = 0 sogar lediglich ein einziges) Energieniveaus besetzt. Die relative Zunahme der Zahl von erreichbaren Niveaus und der möglichen Mikrozustände W bei Zufuhr der gleichen Wärmemenge wie oben fällt dann viel deutlicher aus. Aus diesem Grund nimmt die Entropie bei Erwärmung eines kalten Körpers stärker zu als bei Erwärmung eines warmen Körpers. Man kann also vermuten, dass die Entropieänderung umgekehrt proportional zu der Temperatur ist, bei der der Wärmeaustausch stattfindet, genau wie von Gl. (3.1) vorhergesagt.
Abb. 3.5 Wenn die Wände eines Behälters sich von (b) nach (a) voneinander entfernen, rücken die Energieniveaus dichter zusammen, sodass bei derselben Temperatur mehr Niveaus für die Moleküle zugänglich werden. Im Ergebnis nimmt die Anzahl der Möglichkeiten, die Moleküle so zu verteilen, dass sich die gleiche Gesamtenergie ergibt (der Wert von W), und folglich auch die Entropie zu.
Abb. 3.6 Die Wärmeübertragung an das System führt dazu, dass die Moleküle zunehmend höhere Energieniveaus besetzen; dadurch erhöht sich die Anzahl der Mikrozustände und somit auch die Entropie. Die Entropieerhöhung fällt geringer aus für (a) ein System mit hoher Temperatur als (b) ein System mit niedriger Temperatur, denn im erstgenannten Fall ist die Anzahl der ursprünglich bereits besetzten Energieniveaus größer.
Wir schließen diesen Unterabschnitt mit einigen Bemerkungen: Die Definition der Entropie nach Boltzmann ermöglicht es uns, absolute Werte für die Entropie eines Systems zu berechnen, wohingegen die thermodynamische Definition nur die Angabe von Entropieänderungen erlaubt. Diesen Punkt werden wir in Fokus 13 erneut aufgreifen und zeigen, wie sich die Werte von S den strukturellen Eigenschaften von Atomen und Molekülen zuordnen lassen. Außerdem stellen wir fest, dass sich der Boltzmann‐Ausdruck nicht ohne Weiteres auf die Entropie der Umgebung anwenden lässt, denn diese besitzt in der Regel eine viel zu komplexe Zusammensetzung, sodass es nicht möglich ist, einen aussagekräftigen Wert für W zu definieren.
Abb. 3.7 In einem thermodynamischen Kreisprozess ist die Gesamtänderung einer Zustandsfunktion (bei einem Durchlauf von einem Anfangs‐ zu einem Endzustand und zurück zum Anfangszustand) gleich null.
3.1.3 Die Entropie als Zustandsfunktion
Die Entropie eines Systems ist eine Zustandsfunktion. Um diese Behauptung zu beweisen, müssen wir zeigen, dass das Integral über dS wegunabhängig ist. Dazu reicht es aus, wenn wir nachweisen können, dass das Integral in Gl. (3.1) auf einem willkürlich gewählten, geschlossenen Weg gleich null ist; dann stimmt der Wert der Entropie im Anfangs‐ und Endzustand offensichtlich überein (Abb. 3.7), ungeachtet des Weges zwischen beiden Zuständen. Kurz gesagt, wir müssen beweisen, dass
ist. Das Symbol ∮ steht dabei für ein Integral entlang eines geschlossenen Weges. Unseren Beweis gliedern wir in drei Schritte. Wir zeigen, dass
1 Gl. (3.5) für einen speziellen geschlossenen Weg (einen „Carnot‐Kreisprozess“ mit einem idealen Gas) zutrifft,
2 dies unabhängig vom gewählten Arbeitsmedium gilt und
3 dies für beliebige Wege gilt.
Abb. 3.8 Die vier Teilschritte eines Carnot‐Kreisprozesses. In Schritt 1 steht das Gas (das Arbeitsmedium) in thermischem Kontakt mit der Wärmequelle, und in Schritt 3 steht es in Kontakt mit der Wärmesenke; beide Teilschritte verlaufen isotherm. Die Schritte 2 und 4 verlaufen adiabatisch, wobei das Gas von beiden Reservoirs isoliert ist.
(a) Der Carnot‐Kreisprozess
Ein Carnot‐Prozess, benannt nach dem französischen Ingenieur Sadi Carnot, besteht aus vier reversiblen Teilschritten, bei denen ein Gas (das Arbeitsmedium) entweder expandiert oder komprimiert wird; bei zwei dieser Teilschritte wird Energie in Form von Wärme einer heißen Quelle entnommen oder an eine kalte Senke abgegeben (Abb. 3.8).
In Abb. 3.9 ist gezeigt, wie sich der Druck und das Volumen bei jedem der Teilschritte jeweils ändern:
1 Das Gas wird in thermischen Kontakt mit der Wärmequelle gebracht und durchläuft dann eine reversible isotherme Expansion von A nach B bei Tw; die Entropieänderung des Systems ist dabei qw/Tw, wobei qw die vom System aus der Wärmequelle aufgenommene Wärmemenge ist.
2 Der Kontakt mit der Wärmequelle wird unterbrochen und das Gas durchläuft eine reversible adiabatische Expansion von B nach C; das System gibt dabei keine Wärme an die Umgebung ab, die Entropieänderung ist folglich null. Während dieser Expansion fällt die Temperatur von Tw auf Tk, die Temperatur der Wärmesenke.
3 Das Gas wird in thermischen Kontakt mit der Wärmesenke gebracht und durchläuft dann eine reversible isotherme Kompression von C nach D bei Tk; dabei wird die Wärmemenge qk an die Wärmesenke abgegeben, die Entropieänderung ist qk/Tk, wobei qk negativ ist.
4 Schließlich wird der Kontakt zur Wärmesenke unterbrochen, und das Gas durchläuft eine reversible adiabatische Kompression; das System nimmt keine Wärme aus der Umgebung auf, die Entropieänderung ist folglich wieder null. Die Temperatur steigt von Tw auf Tk.
Abb. 3.9 Das Prinzip des Carnot‐Kreisprozesses. Schritt 1 ist eine isotherme reversible Expansion bei der Temperatur Tw; Schritt 2 ist eine reversible adiabatische Expansion, dabei sinkt die Temperatur von Tw nach Tk. In Schritt 3 findet eine isotherme reversible Kompression bei Tk statt, und in Schritt 4 wird das System durch eine adiabatische reversible Kompression in seinen Anfangszustand zurückgeführt.
Die Gesamtentropieänderung im Kreisprozess ergibt sich aus der Summe der Änderungen in jedem der vier Teilschritte:
In Herleitung 3.1 wird gezeigt, dass für ein ideales Gas die Summe der beiden Terme auf der rechten Seite dieser Beziehung null ergibt; dadurch wird bewiesen, dass (zumindest für dieses Arbeitsmedium) die Entropie eine Zustandsfunktion ist.
Herleitung 3.1: Die Entropie eines idealen Gases ist eine Zustandsfunktion
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