Mimmo Lucano

Das Dorf des Willkommens


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zwischen den beiden Priestern war ungewöhnlich hart. Ich war damals Student, und meine Kommilitonen und ich verbündeten uns sofort mit Natale Bianchi, weil wir in diesem jungen Priester, der so konsequent seinem Gewissen folgte, einen Fürsprecher für unseren Kampf für soziale Gerechtigkeit erkannten. Pater Bianchi nannte sich einen »Christen für den Sozialismus« und erzählte uns, dass Bischöfe in Lateinamerika eine Bewegung namens »Befreiungstheologie« gegründet hatten, die sich auf die Seite der Landlosen stellte und eine Agrarreform forderte. In Kalabrien konnte Natale Bianchi seine Position sehr schnell stärken, weil er die Kirche für das Volk öffnete. Ich erinnere mich an einen Satz, den er damals gesagt hat, und er bleibt bis heute eine Mahnung, auch angesichts der immer noch erschreckenden Macht der ’Ndrangheta: »Christus hat sich nicht um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert, deshalb haben sie ihn ans Kreuz geschlagen.«

      Dieses Motto lebte Natale Bianchi auch persönlich vor, denn er war ein Priester, der sich nicht in die Sakristei einschloss und sich auch nicht darauf beschränkte, stundenlang vor dem Altar zu knien und für die Rettung der armen Seelen zu beten. Ganz im Gegenteil, er machte die Türen seiner Pfarrei weit auf, und er kam sogar selbst heraus auf die Straße. In seinem Kampf für eine bessere Welt wandte er für einen Priester oft sehr unkonventionelle Methoden an. Nach dem Mafiamord an Rocco Gatto etwa war er die treibende Kraft, um eine Demonstration auf die Beine zu stellen.

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      Rocco Gatto wurde am 12. März 1977 ermordet, weil er beschlossen hatte, sich nicht zu beugen. Er war aktives Mitglied der Kommunistischen Partei und ein Mensch von großer Demut: Seit seiner Kindheit hatte er als Knecht für eine Mühle in Gioiosa Jonica gearbeitet. Nach und nach hatte er es unter schweren Opfern schließlich so weit gebracht, dass er sie kaufen konnte. Es war nicht leicht, ein kleiner Unternehmer in Kalabrien zu sein: Der Ursino-Clan kontrollierte das Territorium und verlangte von allen Geschäftsleuten Schutzgeld. Gatto weigerte sich jedoch zu zahlen und bot den Mafiosi die Stirn, die ihn wiederholt bedrohten und ihm das Leben unmöglich machten. Immer massiver wurden ihre Einschüchterungsversuche, bis sie schließlich darin kulminierten, dass man seine Mühle in Brand steckte. Rocco war ganz auf sich allein gestellt, ohne jede Unterstützung von Gemeinde und Staat.

      Im November 1976 wurde der Chef des Ursino-Clans, Vincenzo Ursino, in einem bewaffneten Konflikt mit den Carabinieri erschossen. Der Clan erlegte allen Geschäftsleuten von Gioiosa Jonica eine Art Zwangstribut auf, zum Zeichen des »Respekts« für den Mafioso. Darüber hinaus sollte die ganze Stadt zu Ehren des Toten die Arbeit niederlegen. Rocco weigerte sich und arbeitete unverzagt weiter in seiner Mühle, wodurch er nochmals, allen Warnungen zum Trotz, seine Empörung und Entschlossenheit zum Ausdruck brachte. Er verstand nicht, was mit seinen Landsleuten los war, warum sie die Mafia unterstützten, die seit Jahrzehnten ihre Macht missbraucht und ihnen immer nur Tod und Verderben gebracht hatte. Rocco Gatto war jedoch der Einzige im Dorf, der die Autorität der Mafia nicht anerkannte, während sie den meisten anderen Menschen nach so vielen Jahren der Unterdrückung selbstverständlich schien.

      Am Tag seines Todes packte er ein paar Mehlsäcke in seinen Lieferwagen und machte sich auf den Weg, um sie an seine Kunden auszuliefern. Auf der Staatsstraße in der Nähe von Gioiosa erwarteten ihn schon seine Mörder. Sein von Schüssen durchsiebter Körper landete in den Mehlsäcken, die die Frucht seiner Arbeit und Ehrenhaftigkeit waren, und befleckte sie mit Blut.

      Natale Bianchi schaffte es, eine Demonstration zu organisieren, an der auch Bürger des »anderen« Gioiosa Jonica teilnahmen, jene nämlich, die so dachten wie Rocco Gatto und die nach dem Mord den Mut fanden, auf die Straße zu gehen. Vor allem aber bestand die Demonstration aus uns jungen Leuten von den linken Jugendvereinen sowie anderen politisch Engagierten aus den umliegenden Dörfern. Wir waren nicht viele, aber wir waren entschlossen, die Botschaft dieses bescheidenen Mannes weiterzutragen: Ein Mensch, dem seine Würde etwas bedeutet, beugt sich nicht vor denen, die den Tod verbreiten.

      Drei Jahre später kam der italienische Präsident Sandro Pertini in die Locride, um Roccos Familie die Goldmedaille für zivile Tapferkeit zu verleihen. Dennoch ist ihm nie volle Gerechtigkeit widerfahren: Die mutmaßlichen Mörder konnte man zwar ermitteln, Mario Simonetta und Luigi Ursini vom Ursini-Clan, und sie wurden später wegen schwerer Erpressung zu sieben und zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe von zwei Millionen Lire verurteilt. Von der Anklage des Mordes aber wurden sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

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      Einer der Märtyrer im Kampf gegen die Mafia und eine zentrale Bezugsfigur für die kalabrische Linke war Peppe Valarioti. Er stammte aus einer einfachen Bauernfamilie in Rosarno, doch durch seine Zielstrebigkeit schaffte er es, zu studieren und Gymnasiallehrer zu werden. Er war hochgebildet und hatte eine große Leidenschaft für alte Geschichte, weshalb er oft bei archäologischen Ausgrabungen in der Region mitarbeitete. Und er war ein Freigeist, was in seinem Fall bedeutete, dass er eine Provokation für die ’Ndrangheta darstellte, die die Alleinherrschaft darüber haben wollte, in welche Richtung sich die süditalienische Gesellschaft entwickeln sollte.

      Mitte der 1970er-Jahre wurde Valarioti Vorsitzender der Kommunistischen Partei PCI (Partito Comunista Italiano) und anschließend Stadtrat in Rosarno. Voller Tatkraft machte er sich daran, dem schlechten Ruf der örtlichen Politik zu begegnen, indem er sich für die Rechte der Landarbeiter und den Fortschritt von Freiheit und Gerechtigkeit einsetzte. Es war eine Zeit des starken Wandels für die Region: Man war gerade dabei, mit den Arbeiten für den Bau des Hafens von Gioia Tauro zu beginnen, der einer der größten und meistgenutzten Häfen Europas werden sollte. Auch die ’Ndrangheta wartete schon mit Spannung auf ihn, und bis heute ist er für den Drogenschmuggel von allerhöchster Bedeutung.

      Der Kampf gegen die ’Ndrangheta war für den PCI von Rosarno eines der drängendsten Probleme, und an der Seite Valariotis kämpfte sein Freund und Namensvetter Peppino Lavorato. Im Mai 1980 konnten die beiden einen unerwarteten Wahlsieg feiern, denn eine beträchtliche Anzahl der Bürger von Rosarno schenkte der Kommunistischen Partei ihr Vertrauen und votierte damit gegen die althergebrachte Überzeugung, dass sich in dieser geschundenen Region nie etwas ändern würde. Der Wahlkampf war jedoch von einer langen Reihe von Einschüchterungsversuchen und Schikanen gegenüber den beiden Politikern begleitet, und man hatte unter anderem Lavoratos Auto und den Parteisitz des PCI in Brand gesteckt.

      »Genossen, das haben wir uns wirklich verdient«, sagte Valarioti bei dem gemeinsamen Abendessen anlässlich ihres Wahlsiegs am 11. Juni 1980 im Restaurant La Pergola bei Nicotera zu seinen Mitstreitern. Doch dann, beim Verlassen des Restaurants, wurde er aus einem Hinterhalt von zwei Schüssen aus einem Jagdgewehr niedergestreckt. Valarioti starb in den Armen seines Freundes Lavorato, noch auf dem Weg ins Krankenhaus, im Alter von nur 30 Jahren. Peppino Lavorato führte sein Erbe weiter und wurde später Parlamentsabgeordneter (1987–1992) und Bürgermeister von Rosarno (1994–2003).

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      Peppino Lavorato gehört zu den Menschen, denen ich mich für den Rest meines Lebens tief verbunden fühle. Er hatte immer schon die außergewöhnliche Fähigkeit, seine Leidenschaft auf andere zu übertragen und sie mit seinem unbeirrbaren Engagement anzustecken. Seine persönliche Betroffenheit durch den Tod Valariotis, seine unbedingte Ehrlichkeit und Authentizität haben ihm in seinem Amt als Bürgermeister, in dem er sich sehr für die Rechte der Landarbeiter einsetzte, besondere Glaubwürdigkeit verliehen. Aufgrund seines hohen Alters ist er heute nicht mehr aktiv in der Politik tätig, aber er ist als streitbarer Mahner immer noch nicht verstummt und der Mission der Linken immer treu geblieben. Sehr früh schon hat er sich auch auf die Seite der Migranten gestellt, die heute den Platz der ehemals kalabrischen Landarbeiter eingenommen haben und auf den Tomaten- und Gemüsefeldern ausgebeutet und erniedrigt werden.

      Manche sagen, der Mord an Valarioti sei der erste politische Mord der ’Ndrangheta gewesen, das erste unmissverständliche Signal der Mafia an die Politik, »auf ihrem Platz zu bleiben«. Auf jeden Fall aber war er nur der Anfang, denn schon zehn Tage später wurde ein weiterer kommunistischer Politiker erschossen – Giannino Losardo, Stadtrat von Cetraro, in der Provinz Cosenza.