er es mit den Worten kommentierte: »Solange noch Kinder geboren werden, dürfen wir glauben, dass Christus die Menschen noch nicht vergessen hat.«
Über die Jahre hinweg haben wir uns immer wieder getroffen, und ich bin ihm dankbar für seine Freundschaft und für seine Unterstützung bei unseren Protesten, als wir monatelang keine Mittel mehr für die Willkommensprojekte erhielten. Freimütig und unerschrocken hat er seine Stimme erhoben, als die neue Rechte sich immer mehr auszubreiten begann, und er hat nie gezögert, eindeutig Position zu beziehen. So hat er etwa gesagt, dass »die Botschaft der Rechten, wie sie von Salvini repräsentiert wird, eine Botschaft gegen das Evangelium Christi ist. Wer sich als Christ definiert, kann so jemanden niemals wählen.« Ein Salvini und ein Pater Zanotelli sind im Übrigen inkompatibel, denn der eine spricht vom Hass, der andere von der Liebe.
Ich habe oft gehört, wie mutige Priester wie Pater Zanotelli oder auch Don Salvatore Monte oder Pater Giovanni Ladiana ihren Gläubigen ins Gewissen geredet und auf ihre ganz persönliche Art der politischen Propaganda der Rechten entgegengewirkt haben. Eine Propaganda, die schwerwiegende Konsequenzen hat, vor allem für die Schwächsten, und die nicht davor zurückschreckt, die Ikonen des Christentums für ihre Zwecke zu pervertieren: So hat sich Salvini nicht gescheut, vor laufenden Kameras Heiligenbildchen zu präsentieren oder den Rosenkranz zu küssen.
Das Christentum steht für die Botschaft der Liebe. Nicht selten ist es das politische oder soziale Engagement, das den Menschen hilft, diese Botschaft in ihrem Leben zu verwirklichen. Wo Menschen anderen Menschen helfen, erfüllt sich das wichtigste Gebot des Evangeliums, das auch heute noch lautet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Dass wir in Riace nichts anderes getan haben als die Botschaft des Evangeliums in die Tat umzusetzen, hat uns sogar schon Papst Franziskus bestätigt, der diese Botschaft wie kein anderer verkörpert. Im Dezember 2016 hat er mir einen Brief geschrieben, um mir für die Teilnahme an einem Treffen von Bürgermeistern aus aller Welt zu danken, das die Päpstliche Akademie der Wissenschaften organisiert hatte und bei dem Praktiken einer guten Willkommenskultur diskutiert worden waren.
»Lieber Bruder Bürgermeister«, schrieb er in seinem Brief. »Ich kenne Ihre Initiativen, Ihre persönlichen Kämpfe und Ihre Leiden; ich drücke Ihnen daher meine Bewunderung und Dankbarkeit aus, für Ihr kluges und mutiges Wirken zugunsten unserer Brüder und Schwestern, die auf der Flucht sind. Die Türen meines Hauses werden für Sie und für dieses neue Netz immer offen stehen.«
Offensichtlich wusste er sehr genau, dass wir damals schon Schwierigkeiten hatten, unsere Arbeit fortzuführen, denn er schloss mit den Worten: »Ich bitte zu Gott dem Herrn, dass er Sie nie verlassen möge, vor allem nicht in diesem schwierigen Moment, und ich begleite Sie mit Dankbarkeit und Zuneigung. Vergessen Sie nicht, für mich zu beten, oder, wenn Sie nicht beten, dann bitte ich Sie, an mich zu denken und mir buena onda zu schicken.«
Als ich den Brief gelesen hatte, rief ich sofort meine Verwandten in Argentinien an, um meine Freude mit ihnen zu teilen. Weder meine Familie noch ich selbst hätten uns je träumen lassen, dass mir einst der Papst höchstpersönlich schreiben würde, ausgerechnet mir, einem, der Vorbildern der Linken gefolgt ist, wie Natale Bianchi, Peppino Lavorato und Peppino Impastato. Und das sind nur wenige der Menschen, die meine soziale und politische Arbeit inspiriert haben, in dieser Grenzregion der Locride, die so voller Kontraste und Schatten ist, und doch manchmal auch voller Licht.
Es gibt eine alte und tiefe Verbindung zwischen Papst Franziskus, damals noch Jorge Mario Bergoglio, und Riace, die viel weiter zurückgeht als der Brief, den er an den Bürgermeister dieses Dorfs im tiefsten Süden Italiens geschrieben hat. Tatsächlich hat Bergoglio in seiner Zeit als Bischof von Buenos Aires sieben Jahre lang in der Gemeinde San Cosmas und Damian die Messe zelebriert, die eines der Zentren dessen ist, was wir »Riace altrove«23 nennen. In Argentinien, und insbesondere in Buenos Aires, leben nämlich sehr viele Auswanderer aus Riace, und als sie damals, vor langer Zeit, ihre Heimat verließen, haben sie in ihren Koffern auch ihre Gebräuche und Traditionen mitgenommen. Eine dieser Traditionen – und vielleicht sogar die wichtigste – ist die tiefe Verehrung der Heiligen Cosmas und Damian. Auch meine Verwandten sind Teil dieser Gemeinde, darunter Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, die ich seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, als ich 2011 und dann nochmals 2017 endlich in die argentinische Hauptstadt reiste.
Den nach Argentinien ausgewanderten Riacesi verdanke ich die Bereitschaft, uns ihre leerstehenden Häuser zur Verfügung zu stellen, damit wir dort im Rahmen unseres Willkommensprojekts die zu uns gekommenen Migranten unterbringen konnten. Sie taten das nicht aus Glaubenseifer, sondern aus Solidarität, auch weil sie durch ihre eigene Geschichte ein tiefes Bewusstsein für das Phänomen Migration gewonnen hatten. Sie waren zwar nicht vor dem Krieg geflohen, sondern hatten »nur« aus wirtschaftlichen Gründen einer der prekärsten Regionen Europas den Rücken gekehrt, um in Südamerika Arbeit und eine bessere Zukunft zu finden. Doch auch sie haben ihre familiären Bindungen geopfert. Auch meine Mutter hat Teile ihrer Familie verloren, und als ich ein Kind war, sagte sie oft zu mir: »Als meine Schwestern nach Argentinien gegangen sind, wusste ich genau, dass ich sie nicht wiedersehen würde, wahrscheinlich nie mehr.«
Die Erfahrung eines Abschieds für immer, glaube ich, lässt in einem Menschen eine besondere Sensibilität reifen, und so ist in Argentinien eine ganze Generation von Migranten herangewachsen, die mit einem Fuß in Buenos Aires und einem in Riace lebt, wobei dieses Riace das der Kindheit geblieben ist. Sie erinnern ihre Heimat in einer Dimension, die aufgehoben ist in der Nostalgie, vor allem die, bei denen nach und nach die Möglichkeit einer Rückkehr in die Heimat geschwunden ist, bei denen es nach und nach zur Gewissheit wurde, dass ihre Häuser für immer verlassen bleiben werden. Am Ende ist allen Migranten eines gemeinsam: Sie wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, es wurde ihnen von außen auferlegt und ist keine freie Wahl gewesen. Genauso ist es bei den Menschen, die vor Kriegen flüchten, auch wenn die Umstände hier natürlich noch sehr viel dramatischer sind.
CAPITOLO 6
Neustart aus der Niederlage
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