Garrinchas märchenhafte Karriere war jedoch auch begleitet von Eskapaden und Skandalen, und bald machte er nicht mehr nur durch sein Spiel von sich reden, sondern durch Alkoholexzesse, Affären, Depressionen und Gewalt gegenüber seiner Ehefrau. Am Ende landete er wieder dort, wo er hergekommen war: in bitterer Armut. Einst König des brasilianischen Fußballs und einer der größten Spieler aller Zeiten, fand er sich in den letzten Jahren seines Lebens um Almosen bettelnd vor dem Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro wieder.
Wenn man solche Geschichten hört, dann kommt es einem vor, als gäbe es in der Welt keinen Platz für Märchen. Als wäre die Wirklichkeit ein Ort, in dem Träume nicht dauerhaft wahr werden können. Garrincha war es zwar durch sein Talent gelungen, sich aus den engen Fesseln seiner Herkunft zu befreien. Doch als Mensch erwies er sich letztendlich als zu zerbrechlich, um dieses Glück auch zu halten.
Im Fußball gibt es viele solche Geschichten von unerwarteten Siegen und bitteren Niederlagen, genau wie im richtigen Leben.
Jedes Jahr, wenn die Schule wieder anfing, musste ich auf den Fußball verzichten. Von meinem kleinen Dorf im Landesinneren musste ich den Bus nehmen, um Training und Schule zu besuchen, und mich daher für das eine oder andere entscheiden. Es waren aber nicht nur praktische Gründe, die mich bewogen, meine Nagelschuhe irgendwann endgültig zur Seite zu räumen. Der Hauptgrund war vielmehr, dass mein politisches Engagement in jener Zeit immer stärker wurde und kaum mehr Raum ließ für Sport und Vergnügen.
CAPITOLO 5
Kalabrien: Land der Priester, Heiligen und Mafiosi
Wandbild in Riace, das symbolisch für die Mafiamorde steht
In Kalabrien gab es in der Zeit meiner frühen Jugend keine »Arbeiterfrage«, mit der wir unsere politischen Proteste befeuern konnten. Erst in den 1970er-Jahren entstand auch hier im tiefen, vergessenen Süden ein wirkliches Klassenbewusstsein. Vor allem jüngere Menschen, aber nicht nur, wurden sich immer klarer darüber, dass sie Teil einer gespaltenen Gesellschaft waren.
Da es in Süditalien kaum Fabriken gab, waren die »Proletarier«, auf die sich die Analyse hier zu richten hatte, vor allem die Landarbeiter und Kleinbauern, die auf den Feldern arbeiteten und für ein winziges Stückchen Land und ein Leben in Würde kämpften. Der Süden war traditionell vom Agrarkapitalismus dominiert, der in Gesellschaft und Kultur tief verwurzelten Latifundienwirtschaft,16 und nicht zuletzt auch von der Herrschaft der Mafia bzw. der spezifisch kalabrischen ’Ndrangheta,17 die vom Kleinbürgertum meist heimlich toleriert, wenn nicht sogar offen unterstützt wurde. Für die Sehnsucht nach einer gleichberechtigten Gesellschaft schien hier gar kein Platz zu sein, geschweige denn für die »Revolution des Proletariats«.
Ich habe immer gedacht, dass sich in einer Gesellschaft, in der die Menschen nicht gleich sind und Diskriminierung toleriert wird, um Privilegien zu erhalten, die Machtstellung der Herrschenden verfestigt. Wenn sich einige wenige jedoch auflehnen, kommt es nicht selten zur Rebellion. In unserer Region gibt es ein berühmtes Beispiel für eine solche Revolte, die ihren Ausgang in einer natürlichen Katastrophe nahm, der eine bürokratische folgte.
Corrado Stajano erzählt diese Geschichte in seinem 1977 erschienenen Buch »Africo«,18 einer hervorragenden Reportage für diejenigen, die das Süditalien der Nachkriegszeit besser verstehen wollen. Africo war ein armes, isoliertes Dorf im Aspromonte-Gebirge, bewohnt von Bauern und Schäfern, die ihr Leben ohne die Errungenschaften des modernen Lebens fristeten und weder fließendes Wasser noch elektrischen Strom hatten. Um in die »Zivilisation« zu gelangen, sprich die nächstgelegene Ortschaft Bova Marina, musste man einen Fußweg von 15 Kilometern durch unwegsames und abschüssiges Gelände zurücklegen, eine Entfernung, die auch symbolisch ist für die Distanz zwischen Africo und dem italienischen Staat. Immer wieder hatten Einwohner Alarm geschlagen, weil es weit und breit keine ärztliche Versorgung gab, mit oft tragischen Konsequenzen. Zu Beginn der 1950er-Jahre fanden eine hochschwangere Frau und ihr ungeborenes Kind auf dem Weg nach Bova Marina den Tod: Freunde und Verwandte hatten versucht, sie auf einer improvisierten Krankentrage zu einem Arzt zu bringen, doch die Frau starb nach wenigen Kilometern.
Was dann geschah, wird in Pietro Criacos Roman »Via dall’Aspromonte« (2017) erzählt, oder auch dessen Verfilmung »Aspromonte, la terra degli ultimi« von Mimmo Calopresti (2019). Die Einwohner Africos reagierten auf die Tragödie, indem sie den Staat und die mächtigen lokalen Mafiosi herausforderten und ihr Schicksal schließlich selbst in die Hand nahmen. Männer, Frauen und Kinder krempelten die Ärmel hoch und begannen, eine Straße zu bauen, die von Africo nach Bova Marina führten sollte. Doch ihr tapferes Werk wurde gnadenlos vernichtet, weil eine andere Macht dazwischenkam, mit der man in dieser schönen, aber verfluchten Gegend immer zu rechnen hat: die Natur. Zwischen dem 14. und dem 18. Oktober 1951 wurde das uralte Dorf im Aspromonte, dessen Ursprünge bis in die Zeit der Griechen zurückgehen, durch eine Überschwemmung völlig verwüstet.
In Africo gab es einen Priester namens Don Giovanni Stilo, der über große Macht verfügte und überall seine Finger im Spiel hatte. Als nach der Zerstörung des Dorfes beschlossen wurde, dass die Ruinen sich selbst überlassen und die Menschen zwangsumgesiedelt werden sollten, stellte er sich zunächst dagegen. Später jedoch änderte er seine Meinung und wurde zum glühendsten Befürworter und Sponsor der Initiative, ein neues Africo in der Ebene am Meer zu bauen. Ich war ihm gegenüber immer misstrauisch, denn es war bekannt, dass er der Mafia nahestand und enge Beziehungen zu großen Kalibern der Cosa Nostra und der lokalen ’Ndrine19 unterhielt. Er soll den Mafiaboss Luciano Liggio kurz vor seiner Verhaftung im Mai 1974 beherbergt haben und stand auch mit Totò Riina, einem der berühmtesten Mafiabosse aller Zeiten aus dem sizilianischen Corleone, in Kontakt.
Nach der Überschwemmung organisierte die Linke in Africo zahlreiche Proteste und Streiks, um eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen zu erreichen. Auch hier war jedoch immer unklar, ob Verbindungen zur lokalen Mafia bestanden. Die Kämpfe der Genossen waren dieselben, die auch in anderen Gegenden im Gange waren, auch in Riace. Und doch schienen in Africo die Bestrebungen der Linken und der ’Ndrangheta gemeinsame Zielsetzungen zu haben, jedenfalls für den, der nicht aus der Gegend kam und keinen tieferen Einblick hatte.
Es hat eine lange Phase gegeben, in der in Kalabrien ebenso wie in anderen Gegenden Süditaliens der Staat oft eher als Gegner empfunden wurde, den es zu bekämpfen galt, statt als Verbündeten, der für seine Bürger da ist. Auch die außerparlamentarische oder revolutionäre Linke war dieser Ansicht. Bei vielen Themen kam es so ungewollt zu gemeinsamen Interessenlagen mit der ’Ndrangheta. In Africo, San Luca und anderen Orten, die als Herrschaftsgebiet der Mafia organisiert sind, ersetzt diese – auch heute noch – in mancherlei Hinsicht den Staat. Die Verflechtungen zwischen Mafia und Gesellschaft sind so dicht, dass Bürger, um Probleme ihres alltäglichen Lebens zu lösen, oft nicht einmal auf die Idee kommen, sich an die staatlichen Behörden zu wenden, sondern fast automatisch auf die organisierte Kriminalität zurückgreifen. Es war sehr schmerzhaft für mich, mir dieser Tatsache bewusst zu werden, denn ich hatte ursprünglich angenommen, dass die Mafia und unser Kampf für eine bessere Gesellschaft zwei Extreme wären, zwischen denen es keine Berührungspunkte geben kann.
Glücklicherweise gab es damals auch Menschen, deren Engagement über jeden Zweifel erhaben war, und die keine Kompromisse eingingen. Ausgerechnet in Don Stilos Diözese kam in den 1970er-Jahren ein neuer Pfarrer namens Natale Bianchi, der aus der lombardischen Provinz Varese stammte und gerade von einer Mission aus Thailand zurückgekehrt war. Noch ganz belebt von seinen Erfahrungen dort, merkte er sofort, dass das System, das Don Stilo errichtet hatte, mit den Werten des Christentums und