Kindes als Söldner ins Ausland absetzte. Das Neugeborene starb in der ersten Nacht. Das hatte für die Mutter schwerwiegende Konsequenzen.
Schloss Forstegg-Salez, zwischen 1720 und 1768. Zeichnung, Zürich, ZB, Graphische Sammlung, STF Ulinger, Johann Caspar, XVII, 26
Ob das Kind eines natürlichen Todes starb oder von der Mutter getötet wurde – allenfalls in einer Panikreaktion –, konnte nie sicher geklärt werden. Bundesrat Joachim Heer schrieb 1865 im Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus: «Sie wickelte das Kind in einige Lumpen und verbarg es unter der Decke. Als sie von der Pfarrfrau aufgesucht und im Bette gefunden wurde, bekannte sie Alles; das Kind aber war todt.» Im Schlussverhör des Hexenprozesses, am 6. Juni 1782, sagte Anna Göldi, das Kind sei «ersteckt», also erstickt. Anna Göldi verneinte, dass das Kind gewaltsam ums Leben gekommen sei.
Obwohl früher Kindstod damals verbreitet war, stand für die Leute in Sennwald ausser Zweifel, dass Anna Göldi ihr Kind umgebracht habe. Sie wurde wegen Kindsmordes an die Schandsäule gestellt und zu sechs Jahren Hausarrest verurteilt. Doch Anna Göldi kam vorzeitig frei und ging ins Glarnerland, wo sie im Haushalt eines der geachtetsten Politiker des Landes, Landamman Cosmus Heer, eine Anstellung fand. Heer war ein gemässigter Konservativer, bekannt für seine aufgeschlossene und soziale Gesinnung. Bei ihm in Glarus arbeitete Göldi drei Jahre lang, ehe sie 1768 zur reichsten Familie des Glarnerlandes, zu den Zwickys, nach Mollis wechselte: Im Zwicky-Haus, das heute noch als eines der feudalsten Herrschaftshäuser des Glarnerlandes bewundert werden kann, arbeitete sie sechs Jahre lang als Magd. Anna Göldi sprach im späteren Gerichtsverfahren von der «schönsten Zeit ihres Lebens».
Für Anna Göldi waren die Jahre in Mollis auch eine bewegte Zeit: Mit Doktor Johann Melchior Zwicky (1745–1821), dem Sohn des Dienstherrn, ging sie eine Liebesbeziehung ein und wurde vom elf Jahre jüngeren Arzt schwanger. Doch allein der Standesunterschied zwischen der Magd und dem Spross einer der reichsten und mächtigsten Glarner Familien machte eine Heirat und damit die «Legalisierung» des Kindes unmöglich. Beide hatten sich des ausserehelichen Beischlafs strafbar gemacht und hielten die Schwangerschaft geheim. Als alleinstehende und schwangere Frau war Anna Göldi gezwungen, die Stelle bei den Zwickys aufzugeben und Mollis zu verlassen.
Ziel ihrer Flucht war Strassburg, wo sie im Jahr 1775 nach ihren eigenen Angaben einen gesunden Knaben zur Welt brachte und taufen liess. Die Stadt im Elsass war grosszügig im Umgang mit der Taufe, auch uneheliche Kinder konnten den Segen der Kirche erhalten. Melchior Zwicky, der Vater des Kindes, kannte sich zudem in Strassburg aus. Er hatte dort Medizin studiert. Über das Schicksal des Kindes ist nichts bekannt. Nachforschungen vor Ort verliefen ergebnislos. In den Taufregistern ist um die Zeit 1774/75 kein Neugeborenes verzeichnet, das den Namen Göldi oder Zwicky trägt.
Über die Jahre nach Anna Göldis Niederkunft ist wenig bekannt. Da sie und Melchior Zwicky weiterhin befreundet waren, kehrte sie möglicherweise vorübergehend nach Mollis zurück, ehe sie im September 1780 eine neue Stelle als Magd antrat, beim Ratsherrn und Richter Doktor Johann Jakob Tschudi in Glarus.
Tschudi war verheiratet mit Elsbeth, geborene Elmer, aus dem glarnerischen Ennenda, einer Frau aus gutem Haus. Obwohl sie bei Anna Göldis Dienstantritt erst 27 Jahre alt war, hatte sie bereits zehn Kinder zur Welt gebracht. Nur fünf davon wurden gesund geboren, was für die damalige Zeit jedoch nichts Aussergewöhnliches war. Im Arzthaus in Glarus wohnten im Herbst 1780 nebst der Familie von Doktor Tschudi dessen Bruder Peter sowie mehrere Angestellte, darunter Anna Göldi.
Das Zwicky-Haus in Mollis. © Ingo Rasp, Chur
Als die Sennwalderin die Stelle bei der Familie Tschudi antrat, war sie 46 Jahre alt. Sie war wohl eine stolze, attraktive und intelligente Frau, die auf ihren 13 Jahre jüngeren Dienstherrn anziehend wirkte. Nach der Schilderung von Heinrich Ludwig Lehmann (1754–1828) war sie eine «verwelkende Schönheit», «wohl gewachsen» und «ziemlich gebildet».
Ein Jahr lang arbeitete Anna Göldi im Haushalt des Doktors, als plötzlich eine dramatische Wende eintrat und sich ein heftiger Streit entlud. Am 25. Oktober 1781 führte er zu Göldis sofortiger Entlassung.
Anna Göldi gelangte tags darauf an Landammann Johann Heinrich Tschudi und Pfarrer Johann Jakob Tschudi und beklagte sich über ihren Dienstherrn Doktor Tschudi. Anna Göldi muss offensiv aufgetreten sein: Sie verlangte von ihrem Vorgesetzten «Reparation», also Schadenersatz für das an ihr begangene Unrecht und für die ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Entlassung. Die Beschwerde von Anna Göldi löste bei den beiden anderen Herren Tschudi heftige Reaktionen aus: Der Pfarrer wies «dieses freche Luder» ab und forderte Anna Göldi dazu auf, sich bei Doktor Tschudi zu entschuldigen; und der Landammann befahl ihr, das Land unverzüglich zu verlassen.
Am nächsten Tag kehrte Anna Göldi ins Haus der Familie Tschudi zurück, um ihre wenigen Habseligkeiten abzuholen. Doktor Tschudi gab ihr die Kleider sowie ihre geringen Ersparnisse im Betrag von 16 Dublonen zurück. Das Geld vertraute sie Schlossermeister Rudolf Steinmüller und dessen Ehefrau Dorothea an. Mit den Eheleuten Steinmüller, die im Abläschquartier wohnten, war sie befreundet. Sie waren ihre Vertrauensleute. Bei ihnen hatte sie schon früher Rat geholt und Unterschlupf gefunden. Rudolf Steinmüller war vermögend und ein Verwandter von Johann Jakob Tschudi, dem Dienstherrn von Anna Göldi.
Der wirkliche Auslöser des Eklats Ende Oktober 1781 sowie der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses von Anna Göldi liegt im Dunkeln. Von da an kursierten in Glarus Gerüchte, Anna Göldi sei von Doktor Tschudi schwanger geworden. Damit hätten sich beide wegen «verbotenen fleischlichen Umgangs» strafbar gemacht. Die Behörden setzten Ermittlungen in Gang und befragten erste Zeugen. Erst im weiteren Verlauf des Verfahrens berichteten die Eheleute Tschudi, Grund für das Zerwürfnis sei eine ganz andere Geschichte gewesen: Anna Göldi habe der zweitältesten Tochter Anna Maria Tschudi, genannt «Annamiggeli», Schaden zufügen wollen. Sie habe «Gufen», also Stecknadeln, in die Milchtasse der Achtjährigen gelegt.
Nachdem die Entlassung Anna Göldis aus dem Haus von Doktor Tschudi für einiges Aufsehen gesorgt hatte, verliess die in Ungnade gefallene Magd am 29. Oktober 1781 das Land Glarus und tauchte bei Bekannten in ihrer Heimat Sax im St. Galler Rheintal unter. Dort wähnte sie sich in Sicherheit und hoffte darauf, dass das leidige Kapitel bald abgeschlossen und vergessen sei. Auch die Familie Tschudi hoffte zunächst, die üblen Gerüchte und Anschuldigungen nähmen ein Ende, sobald Anna Göldi ausser Landes sei.
Doch Anna Göldi blieb nach ihrer Abreise aus dem Glarnerland das Tagesgespräch in der Bevölkerung. Das Gerücht, wonach Doktor Tschudi mit Anna Göldi eine aussereheliche Beziehung unterhalten und mit der Magd ein Kind gezeugt habe, hielt sich hartnäckig. Catharina Göldi aus dem Städtchen Werdenberg, mit Anna Göldi verwandt und von Beruf Hebamme, machte gegenüber den Glarner Behörden Aussagen, welche die Familie Tschudi in Aufregung versetzt haben müssen. Die Hebamme, vor deren Augen sich Anna Göldi einmal umgezogen habe, sagte, sie habe «sehr grosse Brüst und einen dicken Bauch» gehabt, woraus sie den Schluss gezogen habe, «die Anna seye schwanger». Jahre zuvor, als Anna Göldi schon einmal schwanger gewesen sei, habe sie auch so ausgesehen, gab Catharina Göldi zu Protokoll.
Zudem wurden Hinweise gemacht, dass sich Anna Göldi als werdende Mutter nach Strassburg abgesetzt habe, wie Jahre zuvor, als sie von Doktor Zwicky schwanger war. Hirschen-Wirt Klein in Weesen nährte dieses Gerücht durch seine Aussage zusätzlich. Laut Klein hatte ein Mann aus Mollis im Hirschen erzählt, er wisse, wo sich Anna Göldi aufhalte. Sie sei mit dem Boten Giezendanner übers Toggenburg nach Schmerikon gefahren. Dieser habe sie dort dem Berufskollegen von Rapperswil übergeben, der darauf eine Kutsche für die Weiterfahrt über Zürich nach Strassburg bereit gemacht habe. Zwar sollte sich diese Aussage als Falschmeldung herausstellen. Dennoch muss die Nachricht zu der Zeit, als Anna Göldi untergetaucht war, die Tschudis in Glarus aufgeschreckt haben. Sie hatten zu befürchten, dass Anna Göldi von auswärtigen Behörden aufgegriffen würde und vor ihnen ihre Sicht der Dinge ausbreiten könnte. Das wollten die Tschudis verhindern. Sie erkannten jetzt, diese