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Neulateinische Metrik


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Ōrcō Sūbtrahet ād |2m sērās |3m languēntia |4/5 cōrpora mēssēs. 35

      O Natur, Schöpferin aller Dinge, wunderschöne Weltgestalterin, die du großzügig Geschenke aus Deinem Schoß in die Welt ergießt. Du erzeugst das, was ganz oben liegt, und das, was ganz unten liegt. Du drehst die Bewegung des Himmels und was vom Himmel irgendwo auf der Erde liegt: Aber darunter unterscheidest und bringst du die Körper in geeigneter Weise nach vier Regeln hervor, von denen die zwieträchtige Eintracht verschiedene Formen erzeugt: jene ist vollkommener, welche den Göttern nähersteht und in sich einen kleinen Anteil göttlichen Hauches trägt, geformt aus besserem Schlamm. Aber jene, wenn sie auch besser und bei weitem vorzüglicher ist als jede andere, so kurz, ach, ist ihr Leben! Sie entsteht und scheidet dahin: Die Schwester des Schlafs [mors, der Tod] nimmt das Tageslicht nämlich vorzeitig weg und löst das edle Werk ins Nichts auf, in das Nichts, das es vorher gewesen war. Nicht das Dasein einer Krähe, nicht das eines Raben ist so nachteilig; nicht das eines Raben, nicht das eines assyrischen Vogels [Phönix] ohne Gefährten an seiner Seite: Nicht das des Schlangengeschlechtes, das, wenn es schon vor Altersschwäche starr ist, seine Haut einem Dornbusch anvertraut und, wenn es das zitternde hohe Alter mit seiner Haut zusammen ablegt, mit seinem ganzen Körper wieder jung wird. O mächtige Natur, wie wenig Fürsorge trägst du für den Menschen! Hätte das Werk eines besseren Geschöpfes nicht ebenso wegen der Kürze der Zeit wiedererschaffen werden müssen, und hätte es nicht das äußerste Alter erreichen müssen – würdig war es dem doch? Doch ich widerrufe, Natur: Du trägst Fürsorge für den Menschen! Denn weil du den Göttern näher bist, drängst du eilig darauf, den Menschen schnell mit diesen zu verbinden, dort, wo unser Geschick uns ruhigen Wohnsitz bietet und Freuden, die nie ein Ende haben. Dorthin schied Jacob Monau schon und Du hast ihn geführt, er, der des Himmels würdig war, auch wenn dieser oder jener meint, es sei zu Unrecht so gekommen. Also möge er dort leben und möge es ihm dort gut gehen: Aber, o Gute, hör mir zu, wonach ich wieder und wieder frage! Was den kurzen Jahren Monaus fehlte, gib es dem Daniel Rindtfleisch, verlängere sein schnelles Alter zu einer längeren Frist, und gib rüstige Stärke und starke Kräfte in einer so vorzüglichen Brust: Die Kräfte, die so durch dich reichlich in ihn geflossen sind, wird jener reichlich in deine übrige Schöpfung ergießen, und seinen schlaffen Körper wird er dem Tod zu einer späten Ernte entreißen.

      Anlass für das Verfassen des Gedichtes im Hexameter ist unter anderem die Tradition des LehrgedichtLehrgedichts und des HymnosHymnus. Sowohl Metrum als auch Inhalt weisen auf LukrezLukrez und VergilVergil hin. Einen Anklang an die vergilische Bukolik mag man in den Themen Natur, Schöpfung und Tod sehen. Außerdem gliedern sich 17 Verse, das sind 49% relativ zur Versanzahl, insbesondere durch bukolische DiäreseDactylusHexameterZäsuren und Diäresen. Schließlich ist auch die Jenseitsvorstellung sedes ubi fata quietas aus Vergil, Aeneis 1,208VergilAeneis wohlbekannt.

      Gegenüber der gewöhnlichen Prosodie der Antike ist festzustellen, dass Cunrad sich keine Freiheiten nimmt. Eine generelle Schwierigkeit allerdings bei der Skansion bilden frühneuzeitliche EigennamenEigennamen. Zeitgenössische Dichter scheinen aufgrund eines fehlenden Maßstabes bzw. fehlender Vorläufer hier schlicht je nach Metrum eine für sie passende Messung vorgenommen zu haben. Dies sei an zwei Beispielen illustriert: Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Cunrad bei Bucreadae (V. 30) von einer SynäreseSynizese ausging, da sich dieses Wort in den Manes kein weiteres Mal finden lässt. Anders verhält es sich bei Monaides (V. 26). Dasselbe Wort tritt in Ad Justum Lipsium zweifellos in den Versen 26 und 51 in daktylischer Messung Mōnă-ĭdes auf, im selben Gedicht in Vers 16 aber mit einer kurzen (!) Binnensilbe trochäisch Mōna͡ides (siehe unten). Ebenso wird in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum die Prosodie Monāvī verwendet, wohingegen in Ad Davidem Pareum in den Versen 1, 15 und 16 Mōnăvĭus zu skandieren ist. Abgesehen von diesen Verschleifungs- und Längendifferenzen wurden Eigennamen offenkundig nicht nur metrisch, sondern auch orthographisch flexibel dem Metrum eingepasst (vgl. Monavus vs. Monavius). So findet sich ebenfalls in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum in Vers 3 Rauraca gegenüber Rauriaca in Vers 19.

      Da gerade der HexameterDactylusHexameter in seinem Tempo aufgrund der variablen Verwendung von DaktylenDactylus und SpondeenSpondeus relativ frei ist, lohnt sich eine Analyse ihrer Verteilungen. Da Cunrad regelgemäß im fünften Versfuß einen DaktylusDactylus setzt, kann sich die Analyse auf die ersten vier Versfüße beschränken, deren 16 mögliche Kombinationen die folgende Tabelle darstellt.9

1 dsss 21 9 dssd 14, 17, 27
2 ddss 6, 32, 33 10 ddsd 5, 12, 24
3 dsds 3, 10, 18, 19, 22 11 sdsd
4 sdss 1, 8, 23, 26 12 dsdd 9, 11, 25, 30, 34, 35
5 ssss 13 sssd 4
6 ddds 14 ssdd 15, 31
7 ssds 2 15 dddd 13
8 sdds 7, 29, 16 16 sddd 20, 28
Summe 17 (48,6%) Summe 18 (51,4%)

      Tabelle 1:

      Daktylen-Spondeen-Verbindungen in den einzelnen Versen

      Grundlage dieser kleinen Statistik sind gerade 35 Verse, was keineswegs als repräsentativ für Cunrads Dichtung gelten kann. Allerdings bildet ein Gedicht durchaus ein Werk in sich, und insofern ist es einer Analyse wert, welche Rhythmik gerade dieser Brief aufweist und wie sie hinsichtlich antiker Vorbilder zu bewerten ist. Die in der ersten Spalte angegebenen ersten acht MusterDactylusHexameter haben in Vergils Aeneis eine relative Häufigkeit von 72,78%, in Ovids Werken immer >80% außer in den Amores (78,84%), in Horaz’ Ars poetica 65,89%.Dactylus10 Bei keinem namhaften Autor der Antike oder Spätantike tritt auch nur entfernt ein derart ausnivelliertes Verhältnis zwischen den ersten acht und den zweiten acht Mustern auf. Die zwei häufigsten Muster in Cunrads Ad naturam sind dsds (14%) und dsdd (17%). Als häufigstes Muster tritt dsds in den Argonautica des Valerius Flacchus, den Epen des Statius, sowie bei Claudian, Sidonius und weiteren spätantiken Autoren auf. Hingegen findet sich dsdd bei keinem der von Duckworth untersuchten Autoren unter den vier häufigsten Mustern. Cunrad schafft also eine variatio, die sich bewusst von antiken Vorbildern abhebt. Trotz vieler Reglementierungen im Hexameter, deren man sich zu Cunrads Zeit sehr wohl bewusst