Helga Kotthoff

Genderlinguistik


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männlichen Ausgebrannten ist zentral, sich mittels Gewalt und Schlauheit im Dschungel der Stadt durchzukämpfen. Die weiblichen „burnouts“ tun sich selten mit der Demonstration ihrer Kampfkraft hervor. Die männlichen „jocks“ kommunizieren im Sport und im Umgang mit Computertechnologie (beliebte Freizeitbeschäftigungen) ein Image starker Selbstkontrolle und Kompetition. Für die Mädchen ist die Gestaltung ihres Äußeren und ihr ansprechendes Auftreten ein viel zentraleres Anliegen. Die von Eckert untersuchten Variablen stellen wir in Kap. 12 vor.

      In Eckerts Studie ergibt sich ein höchst differenziertes Bild der verschiedenen Variablen, die einen unterschiedlichen Status für die Kommunikation von sozialer Identität haben. Sprachliche Stile nehmen auf jeden Fall an einer sozialen Gesamtstilisierung teil, deren Komponenten innerhalb der Gemeinschaft prototypisch zugeordnet werden können; aber genau dies kann für Basteln am Identitätsindex genutzt werden. Die „gender performance“ sieht auch diese Richtung nicht als von innen kommend, sozusagen aus der Essenz des Individuums, sondern von außen, aus der Beobachtung semiotischer Zuordnungen. Ein Phänomen, sei es ein bestimmter Schuhtyp, eine Vokalaussprache oder eine Direktheitsstufe, wird mit einem sozialen Typus locker assoziiert. Der kombinierte Einsatz dieser Phänomene wird so zum StilisierungsaktStilisierung (Selbst- und Fremd-S.), mit dem das Individuum sich einen Platz in einem sehr spezifischen sozialen Gefüge zuschreibt, vor allem in der Bündelung verschiedener Phänomene, denn ein Stil besteht immer aus der Kombination verschiedener Verfahren (Auer 2007, 12). Einige Jugendliche an der Detroiter Schule inszenieren sich auch als „In-betweens“. Sie setzen die bemerkbaren semiotischen Verfahren so ein, dass sie weder als „jock“ noch als „burnout“ klar zugeordnet werden können.

      

Alle Soziolinguist/inn/en, die mit dem Konzept des indexing gender arbeiten (z.B. auch Holmes/Stubbe 2003; Holmes 2006; Barrett 2017) betonen, dass die interpretative Rekonstruktion von Genderbezügen nur innerhalb einer „community of practicecommunity of practice“ (einer Handlungsgemeinschaft, wie sie z.B. eine Schule oder eine Firma darstellt; Kap. 12) möglich ist, in der die sozialen Assoziationen im Zusammenhang historisch entstanden sind.

      2.3.3 Indirekte Assoziationen mit Gender

      Ochs (1992) betont die konventionelle und konstitutive Rolle zwischen der Kommunikation von Affekt und von Gender. Die Verwendung vieler Frageanhängsel vom Typ „isn’t it?“ im Englischen oder „ne?“ und Ähnliches im Deutschen („tag questions“) wurden von Lakoff 1973 stärker mit dem Ausdruck von Weiblichkeit assoziiert; primär aber gelten sie als Verfahren des Rückbezugs auf einen Gesprächspartner oder als Ausdrucksformen von Unsicherheit (vgl. Holmes 1984 und Kap. 12). Nur weil demonstrative Rückbezüge zum Gegenüber und Vermeidung von Sicherheit historisch eher mit dem von Frauen als von Männern verlangten Verhalten assoziiert werden und in manchen Kulturen zur Weiblichkeitserziehung gehören, indizieren sie indirekt kulturelles Geschlecht. Sie bringen die soziale Kategorie Geschlecht aber auch bei gehäuftem Auftreten nicht in den Vordergrund der Interaktion, laufen somit nicht unter doing gender im Sinne von Schegloff (1997), bei dem Gender so salient sein muss, dass im Gespräch eine bemerkbare Orientierung an dieser Kategorie stattfindet. West und Zimmermans Vorstellungen von doing gender entsprechen sie auch nicht, weil die Relation zwischen der Sprachverhaltensweise und der sozialen Kategorie nicht direkt ist. Man kann sich problemlos einen Therapeuten vorstellen, der mit Fragepartikeln den Klienten zum Reden bringen will und sich strategisch unsicher gibt. Im Kontext dieser institutionellen Kommunikation kann eine Anleihe bei einem weiblich assoziierten Stilphänomen einen therapeutischen Gesprächsstil miterzeugen. Der Therapeut inszeniert sich nicht als besonders männlicher Mann.

      2.3.4 Mehr zu Genderindices in der Jugendkommunikation

      In der Jugendkommunikation wird die Relevanz von Gender über grammatische oder phonologische Variablen hinaus vielfältig indiziert. Auch bestimmte Gesprächspraktiken indizieren altersspezifische Männlichkeiten, Weiblichkeiten oder Zwischentypen. Lust und Frust auf dem heterosexuellen Paarbildungssektor gehören unter Mädchen nicht nur zu einem offen bekundeten, sondern geradezu forcierten psychischen Zustand, der in besonderer Weise an der Ko-Konstruktion der soziokulturellen in-group der gleichaltrigen Freundinnen und der Ausbildung von alters-, kultur- und genderdistinkten Gefühlsnormen teilhat (Stenström 2003; Spreckels 2006; Kotthoff 2012a). Die Mädchen verhandeln untereinander strategische Weitergaben der Telefonnummern von Jungen und die entsprechenden Normen für das Organisieren des Miteinander-Bekanntmachens von Mädchen und Jungen untereinander; sie beziehen ihre Freundinnen in ihre romantischen Interessen ein, z.B. über Grußrituale und lang und breit ausgemalte, gemeinschaftliche Annäherungsinitiativen an einen Jungen. Sowohl eigene Korpora als auch Aufnahmen anderer Forscher aus Jungengruppen ähnlicher oder höherer Altersstufen (Schmidt 2004) liefern keine Belege für eine ähnliche Frequenz und Intensität der interaktionalen Verhandlung des Paarbildungsgeschehens und den Einbezug des Freundes. In den untersuchten Cliquen gab es keine Transgender-Jugendlichen.

      In Kotthoffs Daten (2012a) von privaten Telefongesprächen unter 14- bis 16-jährigen Freundinnen entsprechen die Mädchen dem, was in der Literatur schon vor drei Jahrzehnten als weibliche Beziehungsorientierung diskutiert wurde (Giligan et al. 1990). Auch die Tatsache, dass es in den langen Telefongesprächen thematisch sehr häufig um Paarbildung und heteroromantische Geselligkeit geht, passt wunderbar in ein bekanntes Bild über Mädchenaktivitäten. Man kann in diesen hochgradig kooperativen Verhandlungen des „wer mit wem“ somit einen Index auf ein traditionelles Mädchen-Sein ausmachen, denn in der Tat stricken sie am Telefon fortlaufend Geflechte von Beziehungen, verhandeln Allianzen, marginalisieren einige Mädchen und Jungen und erhöhen die anderen. Sie bewerten die Aktivitäten ihres sozialen Umfelds, einschließlich Schule und Elternhaus, Jungen, die moralischen Standards romantisch-erotischer Hetero-Beziehungen, Mädchen und deren (un)mögliche Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe. Essentialisierung der demonstrativ hohen Kooperativität unter weiblichen Wesen (eine Lesart, die man Gilligan et al. durchaus zuschreiben kann) sollte man nicht betreiben, wenn man verfolgt, wie die Mädchen Allianzen und NetzwerkeNetzwerk bilden. Die feministische Idealisierung dieser Beziehungsorientierung als prinzipiell unterstützend (wie wir sie z.B. bei Coates 1986 finden) greift zu kurz, hat aber doch für die Phänomenologie einiger Aktivitätstypen schon Beschreibungen geliefert. Wie stark wer mit wem kooperiert, ist eine Frage der Wahl; sie ist nicht schlichtes Produkt einer psychologischen Prägung, sondern Gegenstand sozialer Netzwerkherstellung, wie in den Transkripten der Gesprächsausschnitte deutlich wird.

      Der romantische Diskurs ist weitgehend an Heterosexualität ausgerichtet; das heterosexuelle Paar ist nach wie vor der Prototyp der in den Mädchengesprächen komplementär inszenierten Geschlechterdifferenz. Insofern können wir in Bezug auf die in Kotthoff (2012a) präsentierten Gesprächsausschnitte global durchaus von doing gender und doing heteronormativity sprechen; das ist den Themenbereichen inhärent. Allerdings bleibt diese Zuordnung unspezifisch, wenn man nicht weiß, welche Vorstellungen über die Begegnung von Mädchen und Jungen in diesem Diskurs lebendig werden. Es sind nicht etwa Vorstellungen von einer einzigen großen Liebe, die vielleicht auch in dieser Altersgruppe bis in die sechziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts galten, sondern kurzlebige Verbindungen, die gleichwohl von großen Worten begleitet sein können. Im Vordergrund steht die Institutionalisierung von Heterogeselligkeit mit ihrem hohen Unterhaltungswert. Diesen bedienen zu können gehört zur Selbstinszenierung eines heutigen, spezifischen Mädchen-Seins.

      Schon allein das zeitlich ausgedehnte Telefonieren als solches wurde zu einem sekundären Genderindex (heute wird die Freundinnenkommunikation anders praktiziert, Kap. 15). Die von Winterhalter (2006) befragten Eltern sahen das ausgedehnte Telefonieren der Töchter als eine Praxis von Mädchen, kaum von Jungen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen vor dreizehn Jahren bedienten sie sich aus Kostengründen der Festnetzanschlüsse. Auch andere Studien (Rakow 1992) kommen zu dem Ergebnis, dass die Tele-Privatgespräche von Frauen im Durchschnitt länger dauern als die von Männern (s. auch www.dsltarife.net/news/2095.html, 2006) und im Alltag der Frauen eine