Helga Kotthoff

Genderlinguistik


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werden, um das gesellschaftliche Arrangement der Geschlechter als natürliches auszugeben und abzusichern.

      Goffman ist hauptsächlich in seinem Buch „Gender Advertisement“ (1976, dt. „Geschlecht und Werbung“ 1981) und in seinem Aufsatz „The Arrangement between the Sexes“ (1977, dt. 1994) auf die Methoden der GeschlechterstilisierungStilisierung (Selbst- und Fremd-S.) eingegangen. Wir verdanken ihm die Betrachtungsweise von Geschlecht als naturalisiertem Ordnungsfaktor von Interaktionen, eine Konzeption, welche weit reichende theoretische und empirisch-forschungspraktische Ausblicke auf Fragen von Geschlechterverhältnissen und Kommunikation eröffnete.

      Seine Genderanalysen fügen sich konsequent in seine Studien zu InteraktionsritualenInteraktionsritual ein. Sein Forschungsprogramm lässt sich als das Studium der direkten und unmittelbaren Interaktion umreißen, wie es Knoblauch im Vorwort zur Herausgabe seiner Schriften zu Gender (1994) herausgearbeitet hat. Im Zusammenhang mit der Erforschung der Interaktionsordnung hat er sich auch Fragen der Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit gewidmet; diese Darstellungen implizieren immer auch normative Zuweisungsakte für die gesellschaftlichen Plätze der Individuen. Verschiedentlich ist Goffman dem Vorwurf begegnet, er analysiere nicht die Gesellschaft mit ihren Schichten-, Klassen- und Einkommensstrukturen, sondern Verhalten von Individuen. Dieser Vorwurf könnte potentiell auch die Genderanalysen betreffen. Kaum je ist bei ihm die Rede davon, dass Männer weltweit den Großteil der Produktionsmittel besitzen und Frauen schlechter bezahlt werden und außerdem in der Regel die Familienarbeit auf ihren Schultern lastet. Hier gilt, was er in der „Rahmen Analyse“ süffisant zu Bedenken gab: „Persönlich halte ich die Gesellschaft in jeder Hinsicht für das Primäre und die jeweiligen Beziehungen eines einzelnen für das Sekundäre; die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich nur mit Sekundärem (22ff.).“

      Goffman geht davon aus, dass sich die Verhaltenssymbolik der Geschlechter zu einem gewichtigen Teil an der Mittelschichts-Idealversion des Eltern-Kind-Komplexes orientiere. Zu diesem humanen Grundmuster gehöre das hilflose Kind und der es beschützende Erwachsene. Da Goffman glaubt, dass Männlichkeitsrituale sich eher am Elternstatus orientieren und Weiblichkeitsrituale sich eher am Kindstatus, belasse ich es bei der Redeweise „der Erwachsene“. Wir zählen ein paar Bereiche auf, in denen Rituale des Genderismus Elemente aus dem Eltern-Kind-Komplex in Szene setzen.

       Das Kind ist bewegungsmäßig instabil. Es wird vom Erwachsenen gestützt. Weibliche Kleidung (Stöckelschuhe, enge und komplizierte Röcke) ritualisiert Instabilität.

       Der Erwachsene erklärt dem Kind die Welt; er belehrt und das Kind nimmt die Belehrungen an. In unserer Berufswelt gelangen Frauen seltener in die Positionen und Institutionen, welche die Welt erklären.

       Das Kind darf sich emotional freier ausdrücken als der beherrschte Erwachsene. Es darf weinen, herumalbern und euphorische Bewegtheit ausdrücken. Starke Gefühlsbewegungen gelten bei uns als unmännlich, aber durchaus als weiblich.

       Der Erwachsene muss immer bereit sein zur Selbstverteidigung, Frauen und Kinder nicht. Männer bewaffnen sich auch in Bedrohungssituationen mehr als Frauen.

      2.2.3 Geschlecht als reflexiv institutionalisiert

      An der Dramatisierung (Relevanzzuspitzung) der sexuierten Sozialordnung in alltäglichen Begegnungen sind viele Verhaltensdimensionen beteiligt, z.B. kann ich mich mehr oder weniger genderisiert kleiden oder mich mehr oder weniger im Sinne kultureller Stereotype verhalten. Ich kann als Frau eine hohe StimmeStimme mit starker Behauchung für mich einspielen oder auch nicht (Kap. 3).

      Ähnlich wie die EthnomethodologieEthnomethodologie geht Goffman davon aus, dass der Zugang zu gesellschaftlichen Positionen, Rängen und Funktionen kein ausschließlich exogener Faktor der Kommunikation ist, sondern endogen in der sozialen Begegnung mitproduziert wird. Ich bin also im Bezug auf meine Rolle gesellschaftlich nicht ausschließlich durch äußere Faktoren festgelegt, sondern produziere sie selbst im Austausch mit. Daher rührt das starke Interesse der sozialkonstruktivistischen Richtungen an Interaktionen.

      

Rekonstruktion der Genderrelevanz: Hier lässt sich nachzeichnen, dass beispielsweise eine junge Frau in einem Prüfungsgespräch kaum zu Wort kam, weil der ältere, männliche Professor die Themen selbst ausformulierte. Wenn wir nur diesen einen interaktionalen Kontext analysieren, können wir die Struktur des Gesprächs beschreiben, wissen aber nicht, ob hier tatsächlich Genderkategorien die institutionellen Kategorien überschrieben haben. Wusste die junge Frau nichts, so dass der Professor selbst reden musste? Tritt der Professor gegenüber männlichen und weiblichen Studierenden unterschiedlich auf? Wenn wir sagen, dass Gender aus einem Bündel an Typisierungen besteht, müssen wir diese personen- und situationenübergreifend nachweisen.

      In „Das Arrangement der Geschlechter“ erläutert Goffman Geschlecht als eine Angelegenheit institutioneller Reflexivität. Das heißt, dass das soziale Geschlecht so institutionalisiert wird, dass es genau die Merkmale des Männlichen und Weiblichen entwickelt, welche angeblich die differente Institutionalisierung begründen. Sein durchgängiges Argument lautet, dass die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern als solche keine große Bedeutung haben für die Fähigkeiten, die wir für die Bewältigung der meisten Aufgaben im Alltag brauchen. Warum also, lautet dann die Frage, lassen Gesellschaften irrelevante Unterschiede sozial so bedeutsam werden, dass sich die ganze Arbeitsteilung darauf aufbaut? Diese Institutionalisierung von zwei Geschlechtern schließt immer auch normative Zuweisungsakte für die gesellschaftlichen Plätze der Individuen ein. Unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Positionen sind darin eingeschlossen. Wenn beispielsweise weibliche Wesen als zart gelten, kann die Kleidung dies unterstreichen (was sie bis heute in vielen Kulturen tut). Man erlaubt weiblichen Kindern kein lautes Herumbrüllen, weil es nicht zu den Annahmen passt, die man sich bereits gebildet hat. Zur Zartheit passt Turnen besser als Fußball. Solche Prozesse der Verstetigung nennt Goffman „Institutionalisierung“.

      2.2.4 Rückbindungen ans Biologische

      Die Institutionalisierung der Geschlechtlichkeit lässt sich an bestimmbare biologische Merkmale rückbinden. Der Verankerungsprozess biologischer Differenz ist aber in allen seinen Schattierungen sozial. Obwohl die kulturellen Ausdrucksformen des Männlichen und des Weiblichen kaum etwas mit der Biologie zu tun haben, liefert diese dennoch die Grenzlinien, woran Semiotiken rückgekoppelt werden. Der Code des Geschlechts prägt die Vorstellungen der Menschen von ihrer Natur, nicht umgekehrt. Genau diesen Gedanken schreibt Butler (1988) sich originär selbst zu. Insofern entspricht Goffmans Sicht auch derjenigen postmoderner Theorien. Universal beobachtbar ist die Tatsache, dass Menschen sich eine Natur konstruieren. Beobachtbar ist auch, dass natürliche Phänomene (Schwangerschaft, Alter, Körpergröße, Geburt, Tod) in diese Konstruktionen eingehen. Goffman gibt diese Begriffe nicht auf und verleugnet auch nicht ihre Materialität. Damit unterscheidet er sich von Butlers frühen Arbeiten. Sie hatte zunächst die Performanz des sozialen Geschlechts als so zentral gesetzt, dass auch das biologische Geschlecht als von dieser Performanz gestaltet gesehen wurde (Butler 1991, zur Kritik daran siehe Kotthoff/Wodak 1997). Auch bei Goffman werden Geschlecht und Gender einander nicht dichotomisch gegenübergestellt. Das biologische Geschlecht wird auch hier nicht für das Substrat gehalten, woran die Konstruktion von Gender anknüpft.

      Goffman (1977, 1979) und Garfinkel (1967) arbeiteten kulturgebundene Methoden der GeschlechterstilisierungStilisierung (Selbst- und Fremd-S.) empirisch so heraus, dass der Beschreibung der Phänomenbereiche viel Raum gegeben wird, z.B. derjenige der höflichen Etikette, der Frauen als das zartere Geschlecht symbolisiert und Männer als das robustere. Wie nebenbei gerät das robustere Geschlecht eher an die Schalthebel der Macht. Daran konnte die Genderlinguistik anknüpfen. Mit ihren historischen Analysen dazu, dass Männernamen und -bezeichnungen in der Entstehung der GroßschreibungSubstantivgroßschreibung von Substantiven eher groß geschrieben wurden als Frauenbezeichnungen (Kap. 4), oder Studien dazu, dass Väter in der Familie mehr ImperativeImperativ