Группа авторов

Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert


Скачать книгу

die der Spur des 2 Petr folgende Sichtung der vier Hauptargumente für die Kanonische Ausgabe (Kodexform, nomina sacra, Titel und Reihenfolge) meines Erachtens gezeigt hat, dass sie die auf ihnen ruhende These nicht zu begründen vermögen, lohnt es, nun noch einen Blick auf die Rolle des 2 Petr in dem von Trobisch erhobenen redaktionellen Konzept der Kanonischen Ausgabe zu werfen. Zu beachten ist dabei nur, dass Trobisch diese Beobachtungen zu Recht deutlich von den Argumenten für die Existenz der Kanonischen Ausgabe abhebt und sie unter rezeptionsästhetischen Vorzeichen als ein Lektüreangebot markiert, dem man, wenn man von der Annahme einer Kanonischen Ausgabe überzeugt ist, gerne folgen wird, das aber auch im Rahmen einer im weiteren Sinn kanonischen Lektüre des Neuen Testaments angenommen werden kann.1 Schließlich enthält es auch zahlreiche Hinweise, die für jede exegetische Beschäftigung mit dem 2 Petr von Bedeutung sind.

      3.1 Querverweise

      Zu beginnen ist mit den zahlreichen innerbiblischen Querverweisen, die Trobisch zu 2 Petr notiert. Zweifelsohne bildet 2 Petr einen wichtigen Knotenpunkt eines vielschichtigen intertextuellen Netzwerks, von dem an dieser Stelle nur drei der markantesten Verbindungsstränge kurz genannt werden können:

      Eine erste Gruppe von Verknüpfungen bilden die drei expliziten Verweise auf andere Texte in 2 Petr 1,20f (schriftliche Prophetie), 2 Petr 3,1 (ein weiterer Petrusbrief) und 2 Petr 3,14–16 (Paulusbriefe). Zwar wird in 2 Petr 3,1 aller Wahrscheinlichkeit nach auf den uns bekannten 1 Petr angespielt, doch hat der auffällige Umstand, dass Sprache und Autorfiktion des 2 Petr ansonsten keinen Anschluss an 1 Petr suchen, bereits in der Antike irritiert (Hieronymus, vir. ill. 1, sowie ep. 120,11).1 Der paradoxe Anschluss an 1 Petr wird aber dann verständlich, wenn man berücksichtigt, dass sich das Petrusbild des 2 Petr an das der OffbPetr anlehnt und von daher seine Plausibilität bezieht.2

      In der Betonung der Verlässlichkeit (schriftlicher) Prophetie und den hermeneutischen Ausführungen zu den Paulusbriefen werden Themen angesprochen, die in der großkirchlichen Auseinandersetzung mit der Theologie Markions eine wichtige Rolle spielen. Wenngleich man diese Elemente, die in 2 Petr zunächst im Dienst einer eschatologischen Debatte stehen, sicher nicht als hinreichende Beweise für eine antimarkionitische Ausrichtung des 2 Petr werten kann, so laden sie dann, wenn man aus anderen Gründen eine entsprechende Datierung des 2 Petr annimmt und berücksichtigt, dass ein kontroverstheologischer Text nicht nur eine einzige Gegenfront voraussetzen muss, doch zu einer Lektüre des 2 Petr ein, die ad experimentum einen Blick auf die markionitische Herausforderung wirft. Einen Fingerzeig, dass hier möglicherweise noch manches interessante Detail zu entdecken ist, könnte der Umstand sein, dass mit ᾧ γάρ τις ἥττηται, τούτῳ δεδούλωται in 2 Petr 2,19 wohl ein Herrenwort Verwendung findet, welches später in den Dialogen des Adamantius gegen den Markionismus in Anschlag gebracht wird (vgl. Adam. 58,1f).3

      Eine weitere Kategorie wird durch die deutliche und umfassende Verwendung von Texten, die keine explizite Nennung erfahren, begründet. Hierhin gehört natürlich der Rückgriff auf Jud, der in 2 Petr beinahe vollumfänglich, wenngleich mit vielfältigen Transformationen, integriert ist.4 Wichtig ist dabei der von Trobisch betonte Umstand, dass die Funktion der Verfasserfiktion des 2 Petr nicht zwingend voraussetzt, dass seine Leser die Nähe zum Jud nicht bemerken, sondern dass umgekehrt diese sprachliche und inhaltliche Ähnlichkeit mit einem der ersten christlichen Generation zugerechneten Text auch als Authentifizierungsmerkmal wirken kann.5

      Ebenfalls hier einzuordnen ist meines Erachtens die OffbPetr, die sich im zweiten Jh. hoher Wertschätzung erfreute und etwa bei Clemens Alexandrinus als γραφή (ecl. 41,1) zitiert wird.6 Wie bereits erwähnt, lehnt sich 2 Petr dabei an das Petrusbild der OffbPetr an und entwickelt deren eschatologische Konzeption unter geschickter Adaption der pertrinischen Verfasserfiktion weiter, was Jörg Frey treffend als die Ausgestaltung eines „petrinische[n] Diskurs[es]“7 bezeichnet. Die zentrale Bedeutung, die damit einem nicht Teil des Neuen Testaments gewordenen Text in literarischer und theologischer Hinsicht für 2 Petr zukommt, ist entsprechend in jeder kanongeschichtlichen Einordnung des 2 Petr mit zu berücksichtigen.

      Eine dritte Gruppe bilden schließlich jene Texte, auf die begrenzte, doch mehr oder minder deutliche Anspielungen vorliegen, wobei manche zwar möglich, aber kaum wahrscheinlich zu machen sind (um nur neutestamentliche Beispiele zu nennen: Lk, 1 Thess, Offb), andere hingegen trotz ihres geringen Umfangs eine gewisse Plausibilität besitzen (v. a. Mt, Mk, Röm).8 Ein signifikantes Detail ist dabei der Rückverweis in 2 Petr 1,14, der häufig – zum Teil ausdrücklich in Ermangelung einer besseren Alternative9 – auf Joh 21,18f bezogen wird, meines Erachtens jedoch in seiner ursprünglichen Funktion besser als Rekurs auf die Todesprophetie in OffbPetr 14,4 (Rainer-Fragment) zu verstehen ist.10 Da Trobisch nicht zwingend annimmt, 2 Petr 1,14 sei als Verweis auf Joh 21 konstruiert worden, sondern nur, dass dieser Vers innerhalb des Arrangements der Kanonischen Ausgabe als solcher fungiere,11 ist eine Rezeption der OffbPetr in 2 Petr 1,14 (und an anderen Stellen) mit seiner Konzeption prinzipiell vereinbar.12 Die Verknüpfung von 2 Petr 1,14 und Joh 21 spielt darüber hinaus in der Zuordnung des 2 Petr zum Editorial der Kanonischen Ausgabe eine wichtige Rolle, welche im Folgenden noch kurz vorzustellen ist.

      3.2 Editorial

      Eingangs wurde bereits festgehalten, dass David Trobisch 2 Petr nicht als Editorial des Neuen Testaments (bzw. der Kanonischen Ausgabe insgesamt) bezeichnet, sondern diese Rolle Joh 21 (und im besonderen Joh 21,25) zuweist.1 Dennoch wurde in Diskussion und Rezeption seines Entwurfs wiederholt die These, 2 Petr sei als Editorial des Neuen Testaments zu verstehen, als ein typisches Element der Editionsthese gewertet.

      Besonders interessant ist die entsprechende Transformationslinie bei Gerd Theißen, einem der Gutachter von Trobischs Habilitationsschrift. Theißen erwägt in der im Jahr 2000 erschienenen ersten Auflage von „Die Religion der ersten Christen“ en passant die Vorstellung, 2 Petr sei „eine Art ‚Editorial‘ der Herausgeber des Kanons“2, weist jedoch in seinem sieben Jahre später veröffentlichten Entwurf zur Literaturgeschichte des Neuen Testaments nicht nur Trobischs Entwurf insgesamt in überraschender Deutlichkeit zurück,3 sondern „zögert“ nun auch, dem „auf den ersten Blick faszinierend[en Gedanken]“, 2 Petr sei „eine Art Editorial zu einer ersten vollständigen Edition des Neuen Testaments“ zu folgen und fragt: „Sollte ausgerechnet ein Editorial der ältesten Kanonedition kanonisch umstritten gewesen sein?“4

      Wiederum vier Jahre später nimmt Theißen einen Beitrag Trobischs zur Festschrift anlässlich seines 65. Geburtstags zum Anlass, in einem Exkurs „einige Argumente zur Unterstützung der These von David Trobisch“5 beizubringen, wobei er im 2 Petr „die Grundstruktur des Kanons als Verbindung von Evangelien- und Briefliteratur“6 realisiert sieht und konkludiert:

      „In dieser bescheidenen Form ist die These von David Trobisch m. E. haltbar: Der 2. Petrusbrief ist ein Editorial in Briefform für eine kanonische Ausgabe des Neuen Testaments im 2. Jahrhundert.“7

      Diese Neugestaltung des Editorial-Gedankens ist bei Trobisch in zweierlei Hinsicht angeregt: Einerseits dadurch, dass Trobisch seine Analyse der innerbiblischen Querverweise des 2 Petr (wie die der Apg und des 2 Tim) in das Kapitel „Das Editorial des Neuen Testaments“ einfügt,8 andererseits dadurch, dass in seinem Entwurf 2 Petr und das eigentliche Editorial Joh 21 in einem engen und komplexen Beziehungsverhältnis stehen. Wenn gelten soll, dass „die kanonische Gestalt des Johannesevangeliums [sc. inkl. Joh 21, Anm. Grünstäudl] jünger als die Petrusbriefe“9 ist, zugleich aber in 2 Petr 1,14 „auf das Johannesevangelium (Joh 21) … verwiesen [wird]“10, so wirkt dies zuerst widersprüchlich, verdankt sich aber der genauen Unterscheidung von produktions- und rezeptionsästhetischer Perspektive.

      Aus der Sicht von Leserinnen und Lesern, die 2 Petr und Joh in einem gemeinsamen, die OffbPetr nicht umfassenden Rahmen (wie dem der Kanonischen Ausgabe) wahrnehmen und auf dieser Basis eine einheitliche Biographie des Petrus konstruieren, folgt Joh 21 als ein Text, der bereits den Tod Petri voraussetzt, in der Chronologie der Entstehung auch dann den beiden Petrusbriefen, wenn diese Leserinnen und Leser zur kohärenzverstärkenden Annahme gelangen, dass 2 Petr 1,14 auf jenes Ereignis zurückverweist,