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Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert


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auf das in Joh 21 erzählte Ereignis, sondern auf Joh 21 als Text rekurriert und damit einen Text voraussetzt, der seinerseits schon auf den Tod des Petrus zurückblickt.

      Auf dem Hintergrund dieser rezeptionsästhetischen Perspektive ist Trobischs Zuordnung deshalb konsequent: Solange die Fiktion seiner petrinischen Verfasserschaft aufrecht erhalten werden soll, kann 2 Petr innerhalb der Kanonischen Ausgabe nicht die Funktion eines Editorials, das für die Leserinnen und Leser „als die zeitlich letzte Textpassage einer Ausgabe“11 erkennbar ist, zugeschrieben werden.

      4 Zusammenfassung und Ausblick

      Als ein spät entstandener, spät bezeugter und lange umstrittener Text, der bereits eine hohe Wertschätzung spezifisch christlicher Textwelten unterschiedlicher Provenienz zu erkennen gibt, fügt sich 2 Petr gerade deshalb gut in das Entwicklungsparadigma ein, weil er nicht Grund und Mitte des normativen christlichen Schrifttums ist. An ihm – wie an den Katholischen Briefen insgesamt – lässt sich die Dynamik der Ausbildung des christlichen Kanons besonders gut nachvollziehen.

      Folgt man hingegen der Spur des 2 Petr im Rahmen des Editionsparadigmas, so ergeben sich nicht nur Anfragen zu den methodischen Grundentscheidungen und manchem Detail, sondern auch deutliche Einwände gegen die vier Hauptargumente für eine editio princeps der christlichen Bibel im zweiten Jh.:

      1) Hinsichtlich der beiden Argumentationsstränge, die auf der bevorzugten Verwendung der Kodexform und dem Gebrauch der nomina sacra aufruhen, ist festzuhalten, dass sich die Präferenz für die Kodexform und die Verwendung der nomina sacra als typische Eigenschaften christlicher Manuskripte nicht auf typische Eigenschaften neutestamentlicher (bzw. biblischer) Manuskripte reduzieren lassen. Beide Phänomene bilden damit wichtige Elemente der material culture des frühen Christentums, nicht aber distinguierende Elemente einer Edition.

      2) Die Titel der neutestamentlichen Schriften verdanken sich sicherlich zumindest zum Teil gegenüber der Abfassung der Texte sekundären Prozessen. Ohne den Nachweis, dass diese Titel (in ihren zwischen den Teilsammlungen differierenden Formen) auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, lässt sich daraus aber kein Argument für eine Gesamtedition der biblischen Schriften gewinnen. Auch dort, wo sich der frühchristliche Gebrauch von ἡ παλαιὰ διαθήκη und ἡ καινὴ διαθήκη erkennbar auf Sammlungen von Texten bezieht, lässt sich nicht bereits voraussetzen, dass damit stets eine Größe von Umfang und Gestalt der Kanonischen Ausgabe gemeint ist.

      3) Schließlich kann auch das nach eigener Einschätzung stärkste Argument – der Hinweis auf die Reihenfolge der Texte in der Manuskripttradition – das auf ihm ruhende Gewicht nicht tragen. Im neutestamentlichen Bereich wird die These, die in drei großen Majuskelkodizes des vierten (Sinaiticus, Vaticanus) und fünften (Alexandrinus) Jh. auftretenden inneren Reihenfolgen der Teilsammlungen gehe auf eine editorische Entscheidung des zweiten Jahrhunderts zurück, mit Beobachtungen zu insgesamt 21 Manuskripten gestützt, von denen allerdings nur fünf aus der Zeit vor den großen Unzialen stammen. Wiederum nur zwei von diesen fünf Zeugen (𝕻75 mit der Abfolge Lk-Joh und 𝕻30 mit 1 Thess-2 Thess) bieten Teilsequenzen, die mit der für die Kanonische Ausgabe angenommenen Reihenfolge zumindest kompatibel sind. Im alttestamentlichen Bereich, der für die Kanonische Ausgabe als gleichermaßen konstitutiv gilt, finden sich – in der bisherigen Diskussion wohl zu wenig beachtet – nicht einmal in den großen Unzialen einheitliche Abfolgen innerhalb der Teilsammlungen – auch dann nicht, wenn man mit insgesamt acht sammlungsgeschichtlichen Untergruppen rechnet.

      Wenngleich die Argumente für eine prägende Edition der christlichen Bibel im zweiten Jahrhundert deshalb meines Erachtens nicht zu überzeugen vermögen, so setzt diese These doch wichtige und künftig unübergehbare Impulse, denen nur eine noch stärkere Beachtung zu wünschen ist.

      Zum einen ist dies die nachdrückliche Erinnerung an die Materialität der biblischen Überlieferung. Angesichts der Präsenz großartiger und unverzichtbarer kritischer Editionen kann der Umstand, dass wir das Neue Testament (und die Bibel insgesamt) nur in der Form vielfältiger Manuskripte „besitzen“, leicht in Vergessenheit geraten. Die biblischen Manuskripte sind keineswegs bloßes Rohmaterial, aus dem nur das Eigentliche des auszulegenden Textes zu gewinnen ist, vielmehr kommt ihnen eine eigene historische und theologische Dignität zu, die durch eine Neuausrichtung der Textkritik in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkte Beachtung gefunden hat.1

      Zum anderen macht Trobischs Entwurf hinsichtlich des 2 Petr darauf aufmerksam, dass sich in diesem Brief weit mehr als ein bloßer Randtext des Neuen Testaments erkennen lässt. Auf der Basis der wahrgenommenen Vielfalt seiner intertextuellen Verknüpfungen stellt sich nun die Aufgabe, 2 Petr, dessen intensive polemische Prägung eine bleibend schwierige hermeneutische Herausforderung bildet, noch konsequenter als Text des zweiten Jahrhunderts zu lesen, dessen nächste Verwandten2 sich nicht nur unter den später kanonisch gewordenen neutestamentlichen Schriften befinden. Als ein bemerkenswerter Text, der geschätzt, benutzt und überliefert, jedoch auch bezweifelt und scharf abgelehnt wurde, wird 2 Petr weiterhin die spannende Erforschung der Geschichte des neutestamentlichen Kanons in besonderer Weise begleiten.

      No Liturgical Need for a Gospel in the Second Century

      Clemens Leonhard

      1 Questions and Presuppositions

      One of the most important arguments against the assumption that the canonical Gospels were composed in the latter half of the second century (based upon an original text written by a well-known author Marcion of Sinope) would emphasize that the Gospels had already been used in the performance of Christian liturgies.1 While it may be argued that the weekly meetings of Justin’s group in Rome contained readings of the Gospels, no earlier text even hints at this idea.2 It may be claimed that these texts were written in order to be read in liturgies. Thus, first century origins of these texts seem to point to first century liturgies where they were read. At the same time such ancient liturgies require the early existence of the Gospels. The mutual confirmation of these two groups of assumptions is not, however, more persuasive than any other bit of circular reasoning. Even though the scarcity of extant data occasionally justifies such arguments, the following paper is designed to show that the history of Christian liturgies does not require the existence of the Gospels in any form or precursor before the later second century. The assumption that there was no need for a Gospel text in the first and early second centuries C.E. does not prove that the Gospels did not exist. However, it prohibits the argument from liturgical use in order to support an early date of the Gospels.

      At the same time, the following paper puts theories to the test that argue for second century origins of the Gospels. While it shows that some developments of Christian liturgies can be explained in this paradigm, it does not support, but presuppose it. This line of reasoning requires, nevertheless, a reversal of the burden of proof. It requires good reasons to claim an e.g. first century reading of Gospel texts in Christian groups.

      The essay proceeds from two basic assumptions. First, eligible cases must hint at ritualized (formalized, standardized, repeated, etc.) performances of Gospel readings.3 A ritual use of a text can only be inferred from other sources than the text itself. Second, a ritualized use of texts par excellence is the “Service of the Word” or the “Liturgy of the Word”—modern designations for the sequence of ritual acts preceding the celebration of the Eucharist (as the first part of the mass in the Catholic Church or the Divine Liturgy of the Oriental Churches). The reading of a passage from the Gospels is the point of culmination of the Liturgy of the Word. Such ritualized Gospel readings did/do not play an important role on other occasions than the Liturgy of the Word, although structures like the Liturgy of the Word were attached to various liturgical performances much later.4 Thus, the following inquiry will start with the search for Liturgies of the Word (as combined with the celebration of the Eucharist) which contain a proclamation of the Gospel by definition.

      2 Celebrations of Liturgies of the Word

      When (and why) did Christians begin to perform ritualized