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Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert


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erklärt werden kann, ist eine andere Frage, die sich aber leichter erklären lässt als die Alternative, nach der sich die neutestamantlichen Schriften in einem dynamischen Prozess als Einzelschriften durchgesetzt haben müssten. Insgesamt muss daher konstatiert werden, dass die These Trobischs weitgehend quer zu den bisherigen Modellen zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons liegt und daher eine völlig neue Diskussion erfordert.

      3 Kritik an fehlender historischer Kontextualisierung

      Trobisch wird darüber hinaus in zahlreichen Rezensionen die fehlende genaue historische Kontextualisierung entgegengehalten: Es fehle a) eine Untersuchung zur Datierung und Lokalisierung der editio princeps.1 b) Außerdem bleibe Trobisch genaue Aussagen zur Intention und Konkretisierung spezifischer historischer Faktoren, die zur Herausgabe des NT geführt haben könnten, schuldig.2 In der Bewertung dieser offenen Fragen ist die Forschung gespalten: Während diejenigen, die Trobischs These ablehnen, die offenen Fragen als fehlende Plausibilität der These werten,3 sehen andere darin Desiderata für die zukünftige Forschung. So regt etwa M. Klinghardt an, dass auf der Grundlage der Idee einer editio princeps auch die Vorgeschichte dieser Sammlung zu untersuchen wäre4 – hier hat er mit seiner jüngst fertiggestellten Arbeit zum marcionitischen/protolukanischen Evangelium schon erste große Schritte gemacht.5 Zum anderen mahnt er an, die hermeneutischen und kanonstheologischen Implikationen weiterzudenken.6 Gerade die reflexartigen Abwehrbewegungen zeigen, wie wichtig nicht zuletzt aus wissenschaftssoziologischen Gründen ein möglichst präzise ausgearbeitetes Modell zur historischen Kontextualisierung und Plausibilisierung der Ersteditionsthese ist – gerade weil sie in einem starken Spannungsverhältnis zu etablierten Modellen steht –, damit sie als Diskussionsgrundlage anerkannt wird.

      4 Das Problem der katholischen Briefsammlung

      Bislang ausgespart habe ich Anfragen an die These Trobischs, die sich auf die Sammlungseinheit der katholischen Briefe beziehen. Während die Quellen doch ein recht eindeutiges Bild bezüglich der Vierevangeliensammlung1 und der Paulusbriefsammlung2 zeichnen und die Diskussion über die Zugehörigkeit der Apokalypse als Diskussion über die Zugehörigkeit zu einer bestehenden Sammlung interpretiert werden kann, stellt sich der Quellenbefund bezüglich der katholischen Briefe disparater dar. Daher wird die frühe Rezeptionsgeschichte der katholischen Briefe in der neueren Forschung, die sich mit der Sammlungsgeschichte des Neuen Testaments beschäftigt, gleichsam als entscheidender Prüfstein herangezogen. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von D. R. Nienhuis und W. Grünstäudl, die sich mit der These Trobischs im Rahmen ihrer Forschung zu den katholischen Briefen auseinandersetzen. Ihre Anfragen rekurrieren primär auf die Entstehungsgeschichte des 2Petr, dem im Rahmen der These Trobischs eine konstitutive Funktion für die Kohärenzbildung innerhalb des NT zukommt.3

      Während Nienhuis in Modifikation der Idee Trobischs die These vertritt, erst mit dem Hinzukommen von Jak und 2Petr im 3. Jh. zu einer bestehenden apostolischen Briefesammlung sei die katholische Briefsammlung zunächst im Osten zu ihrer finalen Form gelangt,4 stellt Grünstäudl die Hypothese auf, der 2Petr sei in der zweiten Hälfte des zweiten Jh. in Alexandrien entstanden,5 wobei ihm die bei Origenes belegbare Rezeption als terminus ante quem gilt.6 Seine Hypothese stützt sich neben der „Beachtung der fundamentalen Entsprechung, in der die theologische Konzeption des 2 Petr zu der des Clemens steht“7 auf die gründlich untersuchte Frage nach literarischen Abhängigkeitsbeziehungen, die Grünstäudl u. a. zugunsten einer Abhängigkeit des 2Petr von Justin und der ApkPetr entscheidet.8

      Die Argumentationen von Nienhuis und Grünstäudl basieren zu einem großen Teil auf der traditionellen Methodik der Forschung zum neutestamentlichen Kanon, die sich der Auswertung der Rezeption neutestamentlicher Schriften in der patristischen Literatur bedient: Vor allem das Fehlen einer Rezeption bei den „westlichen“ Autoren wird in Stellung gebracht.9 Wenn man wie Grünstäudl die Abhängigkeitsrichtung bei Justin und der ApkPetr umkehrt, findet sich bei Origenes der erste sichere, positive Rezeptionsbeleg für 2Petr.10 Das methodische Problem, von der Nicht-Rezeption darauf zu schließen, eine Schrift sei noch nicht vorhanden oder als neutestamentliche Schrift nicht anerkannt, brauche ich hier nicht weiter zu thematisieren. Vor allem zeigt aber die Diskussion um konkrete mögliche Berührungspunkte und deutliche Parallelen (v. a. zwischen 2Petr und 1/2Clem, Herm, Barn sowie Polyk), dass eine literarische Abhängigkeit der genannten Schriften vom 2Petr zwar nicht bewiesen,11 aber umgekehrt aus dem Befund heraus auch nicht widerlegt werden kann. Hier liegt eine deutlich sichtbare methodische Schwachstelle in der Argumentation von Grünstäudl.

      Während Nienhuis Euseb als Kronzeugen für seine These eines Abschlusses der katholischen Briefsammlung im 3. Jh. heranzieht,12 sieht Grünstäudl gegen Trobisch in Eusebs Erklärung, er habe erfahren, dass der als nächstes kommende (wörtl. gebrachte), zweite [Brief des Petrus] nicht im Bund sei (τὴν δὲ φερομένην δευτέραν οὐκ ἐνδιάθηκον μὲν εἶναι παρειλήφαμεν, Eus. h. e. 3,3,1), einen Beleg für die Hypothese, die 27 Schriften des NT hätten sich in einem Prozess herausgebildet.13 Die Formulierung selbst und der Kontext deuten aber eher daraufhin, dass die Stelle eine Diskussion um die Zugehörigkeit von 2Petr zu einer bereits existierenden Sammlung reflektiert (ἐνδιάθηκος), die womöglich den Titel „Neuer Bund“ trug.14 So ist die Bezeichnung πρότερος – δεύτερος am ehesten als Verweis auf die Stellung und Bezeichnung der Briefe in einer Sammlung zu verstehen, vor allem die Formulierung ἡ λεγομένη αὐτοῦ προτέρα („der als sein erster bezeichnet wird“) klingt nach einer Referenz auf eine vorhandene Überschrift.15 Einen Brief mit „erster“ zu spezifizieren, impliziert zwingend, dass ein zweiter, mit einer Ordinalzahl gekennzeichnet, existiert. Ebenso deutet das Verb σπουδάζω auf die Aufnahme in eine Schriftensammlung hin.16 Vor allem der folgende Satz (Eus. h. e. 3,3,2), in dem – grammatisch eindeutig von der Besprechung des 2Petr abgegrenzt – andere Petrus zugeschriebene Schriften diskutiert werden, impliziert, dass 2Petr vor Euseb zu einer Sammlung „katholischer“ Schriften gezählt wurde (… ἐν καθολικοῖς …). Dass Euseb hier die „kanonische“ katholische Siebenbriefesammlung vor Augen hat, bezeugt h. e. 2,23,24f.17 Da nach Euseb auch schon Origenes18 von einem zweiten, allerdings in seiner Authentizität bezweifelten Petrusbrief spricht (ἔστω δὲ καὶ δευτέραν: ἀμφιβάλλεται γάρ h. e. 6,25,8), ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch dieser schon die Diskussion um die Zugehörigkeit zu der von Trobisch postulierten katholischen Briefsammlung reflektiert.19 Es stellt sich nämlich die Kontrollfrage, wie Origenes und Euseb darauf kommen konnten, 2Petr als zweiten Brief zu bezeichnen, wenn er nicht als solcher in einer Sammlung gekennzeichnet gewesen wäre. Im Referenzrahmen der These Trobischs wird die Debatte um die Zugehörigkeit von 2Petr zum Neuen Testament gerade deshalb so stark geführt, weil er in einer Sammlung von sieben katholischen Briefen überliefert wird und die deutlichen Differenzen zwischen den beiden Petrusbriefen wahr- und ernstgenommen werden.20

      Im Anschluss an Klauck vermutet Grünstäudl, dass der „aufgrund seiner elaborierten Sprachgestalt an seine Leser durchaus Ansprüche stellende 2 Petr […] in einem Zirkel gebildeter Christen, die auch seine Verfasserfiktion durchschauten, entstanden“ und rezipiert worden und „dann im weiteren Raum der weniger Gebildeten als Testament des Petrus zur Geltung gekommen“21 sei. Die Schwäche seines Modells zur Erklärung, wie dieses Pseudepigraphon im zweiten Jh. entstanden und Teil der katholischen Briefsammlung wurde, bringt er selbst zum Ausdruck: „Wie dann dieser testamentarische Text des Petrus rund 100 Jahre nach dem Tod des Petrus in Umlauf kam und so rezipiert wurde, dass er zur Zeit des Origenes bereits eine gewisse Akzeptanz als Text des Apostels Petrus erlangt hatte, lässt sich schlicht nicht sagen“.22 Hier ist zu fragen, ob nicht der Erklärungswert von Trobischs Modell, Fälschungen durch die Integration in Sammlungen zu verschleiern, höher anzusetzen ist.

      Die These Trobischs dispensiert jedoch nicht davon, pseudepigraphe Schriften, die nicht auf die editio princeps zurückgehen (können), historisch plausibel zu erklären. Das bedeutet nicht zuletzt, dass die „vorkanonische“ Geschichte der katholischen Briefesammlung im Referenzrahmen der These einer editio princeps noch zu erforschen und plausibel zu begründen