Christiane Driesen

Gerichtsdolmetschen


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leisten. Dies ist nur möglich, wenn er qualifiziert (Hintergrundswissen, Beherrschung aller Techniken) und fachlich vorbereitet ist. Aufträge, für die er nicht qualifiziert ist, sind daher entsprechend abzulehnen.

      1.5.2 Neutralität und Schweigepflicht

      Als Sprachrohr zwischen den Parteien ist der Dolmetscher im deutschen Recht kein Sachverständiger (er bringt keine neuen Inhalte in das Verfahren ein), daher hat er in der Ausübung seiner Tätigkeit neutral zu bleiben. Zur Neutralität gehören auch die Schweigepflicht und der Verzicht darauf, Informationen zum eigenen Vorteil zu benutzen1.

      1.6 Im Spannungsfeld von Berufsethos und Kommunikation

      Nach Betrachtung des sich aus den Rechtsquellen logisch und konkret ergebenden ethischen Anspruchs an den Berufsstand mögen die Kommunikationsverhältnisse und -zwänge als die größte Hürde erscheinen. Anders als bei internationalen Konferenzen oder Gerichtsbarkeiten, die über Simultandolmetschanlagen verfügen, müssen die Dolmetscher der heimischen Gerichte ihre Dolmetschtechniken ständig an die Gegebenheiten anpassen1.

      Nur durch schnellste Analyse der Kommunikationsumstände und entsprechende Auswahl der einzusetzenden Dolmetschtechniken wird der Dolmetscher seinem ethischen Anspruch gerecht: Konsekutiv, um dem Öffentlichkeitsprinzip gerecht zu werden; Flüstern, um die Parteien vollständig zu informieren sowie zur unintrusiven Klärung entstehender soziokultureller Missverständnisse.

      1.6.1 Kommunikationszwänge

      Mindestens vier unterschiedliche Zwänge herrschen zum Beispiel im Strafverfahren:1

       Trotz der oft sehr ungünstigen Akustik der Gerichtssäle bleibt es fast undenkbar, die im jeweiligen Bundesland übliche Sitzordnung für Angeklagte, Zeugen, Dolmetscher und Verteidiger auch nur minimal zu verbessern.2

       Alles, was in der Gerichtssprache auszudrücken ist, muss vom Gericht, aber auch von der anwesenden Öffentlichkeit klar zu hören sein.

       Unter Beachtung der Grundrechte des Angeklagten bzw. des Anspruchs des Auftraggebers ist den Angeklagten alles in der Verhandlung Vorgetragene vollständig zu übertragen.

       Missverständnisse aufgrund der zwischen den Kommunikationspartnern bestehenden soziokulturellen Kluft müssen unter Beachtung strikter Neutralität geklärt werden.

      1.6.2 Unterschiedliche Kommunikationsmuster

      Oralisierte Vorträge

      Vorträge unterschiedlicher Länge werden von Juristen und Sachverständigen in Fachsprachen gehalten. In vielen Fällen handelt es sich um in der Gerichtssprache gehaltene Vorträge, die von dem Dolmetscher einem Angeklagten oder Zeugen simultan geflüstert werden. In einigen Fällen hält ein Jurist oder ein Sachverständiger aus dem Ausland einen Vortrag in der Fremdsprache, der dann vom Dolmetscher konsekutiv in die Gerichtssprache zu dolmetschen ist.

      Verlesene Schriftstücke

      Richter lesen Dokumente vor (Protokolle oder Urteile), Staatsanwälte z.B. Anklageschriften oder Anwälte Anträge. Der Dolmetscher, dem ein Exemplar überreicht wurde, dolmetscht dann vom Blatt.

      Dialoge in einer Sprache

      Die Befragung der der Gerichtssprache kundigen Zeugen wird durch das Gericht vorgenommen – einem Angeklagten oder Zeugen wird die Befragung simultan geflüstert.

      Dialoge in zwei unterschiedlichen Sprachen

      Bei der Befragung der der Gerichtssprache unkundigen Zeugen muss der Dolmetscher abwechselnd in zwei Sprachen dolmetschen.

      1.6.3 Scheitern der Kommunikation – notwendige soziokulturelle Klärung

      Jede Kommunikationssituation kann bei Gericht aufgrund soziokultureller Missverständnisse scheitern. Für den Dolmetscher ist das Unterbrechen des traditionellen Dolmetschflusses immer heikel. Der Kommunikationsrhythmus wird abgebrochen, das Gericht fürchtet evtl. eine ungebührliche Einmischung oder Kompetenzbeschneidung. Folgende abgestufte Strategie soll das Eingreifen des Dolmetschers vermeiden bzw. hinauszögern.

       Schritt 1: Versuch einer Übersetzung, die den Parteien die Chance zur Selbstklärung überlässt.

       Schritt 2: Beim Scheitern dieses Versuchs weist der Dolmetscher auf das Bestehen eines Missverständnisses hin, damit das Gericht selbst die Initiative zur Behebung ergreifen kann.

       Schritt 3: Beim erneuten Scheitern bittet der Dolmetscher um Erlaubnis, die entsprechende Erklärung selbst zu geben. Die entsprechende Erklärung sollte so knapp und präzise wie möglich sein.

      1.6.4 Zur Illustration: Dolmetschtechniken in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens1

      Aufruf der Sache – Simultanflüstern

      Vorstellung des Gerichts.

      Bei einem, maximal zwei Adressaten eignet sich das Flüsterdolmetschen am besten.

      Eine soziokulturelle Klärung (z.B. über die Funktion der Schöffen) kann sich als notwendig erweisen.

      Vernehmung zur Person – Simultanflüstern und Konsekutivdolmetschen

      Fragen des Gerichts an den Angeklagten können simultan geflüstert werden, dagegen werden seine Antworten für das Gericht und die Öffentlichkeit konsekutiv ohne und mit Notizen (Namen, Orte, Zahlen) laut in die Gerichtssprache übertragen, ebenso evtl. notwendige soziokulturelle Klärungen (z.B. werden Berufe je nach Kultur auf unterschiedliche Art und Weise erlernt).

      Verlesung des Anklagesatzes – Vom-Blatt-Dolmetschen

      Meist wird dem Dolmetscher ein Exemplar der Anklageschrift überreicht.1 Während der Verlesung des Anklagesatzes durch den Staatsanwalt dolmetscht er vom Blatt.

      Belehrung des Angeklagten – Simultanflüstern

      Die Belehrung zum Aussageverweigerungsrecht kann simultan geflüstert werden. Erfahrungsgemäß wird diese nicht auf Anhieb verstanden, und oft entsteht Klärungsbedarf.

      Vernehmung zur Sache – Konsekutivdolmetschen

      Erst wird dem Angeklagten die Möglichkeit gewährt, im Zusammenhang, d.h. ohne Unterbrechung, Stellung zu dem Tatvorwurf zu nehmen. Nur die sichere Beherrschung der Konsekutivtechnik ermöglicht eine Gleichstellung vor dem Gesetz1 des Ausländers mit den Gerichtssprachkundigen.

      Es folgen dann meistens Nachfragen und Vorhalte seitens der Gerichtsmitglieder und Verteidiger. Diese kürzeren Passagen können für den Angeklagten simultan geflüstert und für Gericht und Öffentlichkeit konsekutiv gedolmetscht werden.

      Jederzeit kann dabei ein Bedarf an soziokultureller Klärung entstehen.

      Beweisaufnahme1 – Simultanflüstern

      Zur Wahrung seiner Grundrechte wird dem Angeklagten die Anhörung der Zeugen und Sachverständigen simultan geflüstert.2 Nur so ist er imstande, von seinem3 Fragerecht sinnvoll Gebrauch zu machen.

      Die fakultative Eidleistung am Ende der Aussagen bedarf meistens einer soziokulturellen Klärung.

      Schluss der Beweisaufnahme

      Dieser wird vom vorsitzenden Richter verkündet und dem Angeklagten geflüstert.

      Plädoyers – Simultanflüstern1

      Die