Johannes Wild

Sprachendidaktik


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      Junge Menschen sollen an der Aufstellung der grammatischen Kategorien beteiligt werden – und nicht nur immer den Resultaten dieser Prozesse begegnen. Dabei sollen sie Einsichten gewinnen, wie unsere Sprache gebaut ist, sollen ihr System entdecken (Eisenberg & Menzel 1995, 16).

      Als Legitimation für diese Vorgehensweise werden unter anderem der lernpsychologische Aspekt (eigenständige Aktivität führt zum besseren Verständnis und Durchdringen eines Sachverhalts) und der pädagogische Aspekt (ein Sachverhalt wird in erster Linie dann behalten, wenn der Lernende entsprechende Verfahren nachvollziehen kann) angeführt (vgl. Eisenberg & Menzel 1995, 17). Es geht also darum, dass Lernende an den „Kategorisierungsprozesse[n]“ beteiligt werden (Eisenberg & Menzel 1995, 17).

      Wie dies in der Praxis auszusehen hat, wird von Eisenberg und Menzel unter anderem am Beispiel der grammatischen Kategorie des Adjektivs demonstriert. Eine relativ häufig vorkommende Wortart des Deutschen, die unterschiedliche Formen und Komplexitäten aufweisen kann (vgl. hierzu auch Eisenberg & Menzel 1995, 22). Adjektive wie schön, klug, laut beispielsweise sind einsilbig. Besondere, leise und feige bestehen aus mehreren Silben. Witzig, sommerlich und machbar sind Ableitungen (Witzwitzig, Sommersommerlich, mach-machbar). Manche sind durch Präfigierungen entstanden: unschön, missmutig.

      Im Schulkontext stehen aber wohl weniger die Formen von Adjektiven im Mittelpunkt als die entsprechenden Funktionen im Satz. Herkömmlicherweise wird das Adjektiv zur Bezeichnung von Eigenschaften verwendet und es kann im Satz unterschiedliche syntaktische Funktionen innehaben. Als didaktische Methode zur Ermittlung der Funktion des Adjektivs innerhalb einer Nominalphrase eignet sich das im Kapitel zur Orthographie erläuterte „Treppengedicht“. Sehen wir uns folgende drei Beispielsätze an:

      1  Das Mädchen ist intelligent.

      2  Das intelligente Mädchen.

      3  Das Mädchen spricht intelligent.

      Im ersten Beispielsatz wird das Adjektiv in prädikativer Funktion verwendet, es bezieht sich auf das Subjekt des Satzes, indem es ihm eine Eigenschaft zuschreibt. Beispielsatz VI weist eine attributive Verwendung auf, das Adjektiv intelligent ist eine (nicht notwendige) Zusatzinformation zum Kern Mädchen. In Satz VII hingegen wird intelligent in adverbialer Funktion gebraucht, es wird, vereinfacht gesagt, das Verb näher bestimmt. Die drei beschriebenen Funktionen sind für den Schulkontext am relevantesten, da sie sehr häufig vorkommen.

      Um die unterschiedlichen syntaktischen Funktionen des Adjektivs beschreiben und nachvollziehen zu können, können unterschiedliche Operationen durchgeführt werden (vgl. Eisenberg & Menzel 1995, 22):

      Beispielsweise ist eine Umformung von V zu VI oder auch zu VII möglich, indem das Adjektiv einmal eine Flexionsendung enthält (wobei das finite Verb ist wegfällt) und einmal der Fokus des Adjektivs sich vom Subjekt auf das Verb verlagert. Der/die Lernende kann somit nachvollziehen, was ein Adjektiv im Satz Unterschiedliches leistet. Eine weitere Möglichkeit stellt die Umformung in Vergleichssätze dar:

      1  Das Mädchen ist intelligenter als ihre Mitschüler.

      2  Das Mädchen ist am intelligentesten von allen in der ganzen Klasse.

      Die beiden Sätze führen vor, dass Adjektive prinzipiell immer für Beschreibungen von Eigenschaften stehen. Diese Kategorisierung soll insgesamt den Schülerinnen und Schülern helfen, die unterschiedlichen Funktionen dieser Wortart zu verstehen. Die Kernfunktion der Eigenschaftszuschreibung und -beschreibung bleibt dieselbe. Schülerinnen und Schüler sollten durch die Handlungsabläufe auch befähigt werden, ihr Wissen auf andere Wortarten oder auch Kategorisierungsprozesse zu übertragen.

      Die Grammatik-Werkstatt hat aber auch ihre Grenzen. Oftmals wird moniert, dass vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler dadurch überfordert werden, weil ein Sprachverständnis vorausgesetzt wird, das diesen bisweilen noch fehlt.

       Welche Grammatikkonzeption erachten Sie im Hinblick auf den Schulgebrauch für sinnvoll? Überlegen Sie sich für jede Konzeption eine schulische Anwendungsmöglichkeit. Versuchen Sie, das Modell der Grammatik-Werkstatt auf ein selbstgewähltes Beispiel zu übertragen.

      4.5 Grammatikvermittlung im Unterricht

      Nachdem die Grundlagen der Grammatikvermittlung in den vorhergehenden Punkten ausführlich besprochen wurden, stellt sich die Frage, wie Grammatik im Deutsch als Erst- und Deutsch als Zweitspracheunterricht effektiv vermittelt werden kann. Im Folgenden werden nun zwei praktische Möglichkeiten der Grammatikvermittlung (die grammatische Progression und das Scaffolding) vorgestellt.

      4.5.1 Grammatische Progression

      An den oben vorgestellten Satzbauplänen, in deren Zentrum das Verb steht, soll das Prinzip der grammatischen Progression (gP), die für den Grammatikunterricht aufgrund des atomaren Aufbaus wichtig ist, dargelegt werden. Im Prinzip ist der Kerngedanke der gP ein Vorgehen vom Einfachen zum Komplexen, wobei immer auch die kommunikativen Vorlieben der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden sollten (vgl. Spannhake & Bogacz-Groß 2008, 251). In Bezug auf die Einführung von grammatischen Phänomenen stehen der Lehrperson im Unterricht zwei Möglichkeiten zur Verfügung (vgl. Spannhake & Bogacz-Groß 2008, 253): eine linear ausgerichtete Variante und eine zyklisch-konzentrische, mit der der gP am besten Rechnung getragen wird, da ein Aspekt immer wieder aufgegriffen, vertieft und wiederholt wird. Bei der linearen Option wird ein Phänomen in einem Schritt umfassend und feindifferenziert behandelt. Diese Vorgehensweise birgt vor allem, aber nicht nur im Grammatikunterricht für DaZ-Schülerinnen und -Schüler die große Gefahr, diese zu überfordern und den Lernprozess dadurch letztendlich zu hemmen.

      Nach dem Prinzip der gP sind zunächst die Satzbaupläne in der Grundbedeutung eines Verbs einzuführen:

      1  Wir gehen in die Berge.

      Gehen als Bewegungs- oder auch Fortbewegungsverb fordert zwei Ergänzungen: Die Ergänzung im Nominativ (Wir) und die Direktionalergänzung, die hier durch die Präpositionalergänzung (in die Berge) repräsentiert ist.

      In einem zweiten Schritt kann man dann darauf hinweisen, dass gehen aber auch in der Bedeutung von funktionieren verwendet wird:

      1  Mein Auto geht wieder.

      In dieser Funktion braucht gehen dann lediglich ein Subjekt (Ergänzung im Nominativ: Mein Auto) und keine weiteren Ergänzungen. Wieder ist in diesem Satzbauplan nicht vorgesehen und somit eine Angabe, eine nicht notwendige Zusatzinformation. Der Schritt vom Einfachen hin zum Komplexen ist erforderlich, um die Schülerinnen und Schüler langsam an die grammatische Feindifferenzierung heranzuführen und sie nicht zu überfordern.

      Auch kann die Lehrkraft die Tatsache, dass grammatische Phänomene sehr oft an Bereiche gekoppelt sind, nutzen (vgl. Spannhake & Bogacz-Groß 2008, 251). Die Einführung des Akkusativs beispielsweise kann anhand des Bereichs des Einkaufens oder auch am Beispiel des Essens erläutert werden:

      1  Ich kaufe ein Kilo Bananen, Müsli, zwei Semmeln und drei Äpfel.

      2  Beim Italiener esse ich am liebsten Salat Caprese und Pizza Tonno.

      Zusammenfassend (vgl. hierzu Funk & Koenig 1991, 62; Spannhake & Bogacz-Groß 2008, 253–254) gibt es drei wesentliche Aspekte, die für die gP sprechen:

       Das „sprachsystematische Argument“, welches besagt, dass Phänomene nach der Häufigkeit ihres Auftretens behandelt werden sollen. Demnach haben Akkusativ und Dativ Priorität. Sie werden vor dem Genitiv eingeführt, da dieser Fall weniger frequent