Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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      Ilona Schulze

      Bilder – Schilder – Sprache

      Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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      ISBN 978-3-8233-8298-0 (Print)

      ISBN 978-3-8233-0147-9 (ePub)

      Vorwort

      La cité est un discours, et ce discours est véritablement un language: La ville parle à ces habitants, nous parlons notre ville, la ville où nous nous trouvons, simplement en l’habitant, en la parcourant, en la regardant. (Barthes 1967: 12).

      Dieses Zitat von Roland Barthes kann als Leitmotiv der vorliegenden Arbeit verstanden werden, die im Rahmen des von der Fritz-Thyssen-Stiftung von April 2016 bis April 2018 mittels eines Forschungsstipendiums geförderten Projekts „Bilder, Schilder, Sprache – Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum“ entstanden ist. Die Arbeit verortet sich so im Forschungsfeld einer Sémiologie de l’espace, wobei unter espace ‚Raum‘ mit Henri Lefebvre (1974) ein dynamischer, sozial, kulturell und ökonomisch bestimmter Raum verstanden wird. Einer der bekanntesten Versuche solche urbanen Räume impressionistisch zu erschließen stammt vom französischen Autoren Georges Perec. In seinem Text Tentative d‘épuisement d‘un lieu parisien (1975) listet er Ausschnitte eines „inventaire de quelques-unes des choses strictement visibles“ auf, also Momentaufnahmen, die er ausgehend von einem Tabac an der Place Saint-Sulpice (Paris) am 18. Oktober 1974 gemacht hatte. Vorgefunden hatte er unter anderem:

      — Des lettres de l’alphabet, des mots « KLM » (sur la pochette d’un promeneur), un « P » majuscule qui signifie « parking », « Hôtel Récamier », « St-Raphaël », « L’épargne à la dérive », « Taxis tête de station », « Rue du Vieux-Colombier », «Brasserie-bar La Fontaine Saint-Sulpice », « P ELF », «Parc Saint-Sulpice ».

      — Des symboles conventionnels : des flèches, sous le « P » des parkings, l’une légèrement pointée vers le sol, l’autre orientée en direction de la rue Bonaparte (côté Luxembourg), au moins quatre panneaux de sens interdit (un cinquième en reflet dans une des glaces du café).

      — Des chiffres : 86 (au sommet d’un autobus de la ligne n° 86, surmontant l’indication du lieu où il se rend : Saint-Germain-des-Prés) , 1 (plaque du n° 1 de la rue du Vieux-Colombier), 6 (sur la place indiquant que nous nous trouvons dans le 6e arrondissement de Paris).

      — Des slogans fugitifs : « De l’autobus, je regarde Paris » (…) (Perec 1975: 10).

      Perec spricht einfach nur von einem inventaire, doch kann davon ausgegangen werden, dass er diesem „Inventar“ auch Bedeutung(en) zugewiesen hatte. Ganz im Sinne des obigen Zitats von Roland Barthes kann also vermutet werden, dass die in diesem Inventar aufgelisteten Einheiten zu Georges Perec gesprochen hatten. Entscheidend ist, dass Perec dabei etwa im Gegensatz zu Michel Butor dem Sprachlichen hierbei nicht das Primat gibt, auch wenn er das Sprachliche zuerst anführt. Auch der Schriftsteller Michel Butor nimmt zunächst eine globale Perspektive ein, wenn er sagt: „[L]a ville peut être considérée comme une œuvre littéraire“ (Butor 1982: 36), doch schränkt er in einem früheren Text ein: „Par texte de la ville j’entends d’abord l’immense masse d’inscriptions qui la recouvre“ (Butor 2006 [1974]: 567). Butor kann mit dieser Pointierung des (In-)Schriftlichen als Vorläufer derjenigen betrachtet werden, die versuchen die ‚sprachliche Landschaft‘ (Linguistic Landscape) eines (vornehmlich urbanen) Raums zu erschließen, wobei aber Landschaft eigentlich als übergeordneter Begriff zu verstehen ist: Es geht um die Systematik aller sensorisch (vornehmlich visuell) erfassbaren Einheiten eines definierten Raums. Dem Begriff Landscape ist also ein multimodales Moment inhärent, was zugleich bedeutet, dass das Lesen solcher Räume – wie Henri Lefebvre (1986: 167) betont – über ein Deschiffrieren und Dekodieren unterschiedlicher, aber mit einander interagierender Zeichensysteme verläuft. Es handelt sich demnach um „un code à la fois architectural, urbanistique, politique, langage commun aux habitants des campagnes et des villes, aux autorités, aux artistes, permettant non seulement de ‘lire’ un espace mais de le produire“ (Lefebvre 1986: 14). Die sémiologie de l’espace verkörpert sich folglich in multimodalen ‚semiotischen Landschaften‘ (Semiotic Landscapes), die – wie der französische Landschaftsarchitekt René Pechère formuliert hat- sowohl durch eine grammaire als auch durch ein vocabulaire ausgezeichnet sind (Pechère 1995).

      Natürlich sind solche (besonders urbane) Landschaften (im Sinne von espace) dynamische Ensembles, wobei den Menschen, die sich in ihnen bewegen, eine besondere Rolle zukommt. Hall (2009: 579) betont dabei sicherlich zurecht: „[L]ocal lives and biographies take shape not only in, but with place, such that the two are run together.“ Dies gilt auch für die Semiotik öffentlicher Räume: Eine komplett menschenleere Fußgängerzone erhält ein anderes semiotisches Gesicht als wenn sie vorweihnachtlich durch tausende von Menschen bevölkert wird. Um solche im Grunde dynamischen Räume aber einer Deskription zugänglich zu machen, ist es notwendig, dem Heraklit’schen πάντα ῥεῖ vorläufig Einhalt zu gebieten: Ebenso wie in den Sprachwissenschaften das Systematische als statische Größe von der Dynamik des tatsächlichen Sprachgebrauchs getrennt wird, ist es sinnvoll, auch die Dynamik semiotischer Landschaften vorläufig, also heuristisch mittels eines snap shot anzuhalten, um sie überhaupt beschreibbar zu machen.

      Genau diese Art einer Momentaufnahme ist in der vorliegenden Arbeit gegeben. Als Räume wurden eine Fußgängerzone und ein Einkaufszentrum (Shopping Mall) in München abgesteckt. Für diese wird eine systematische Analyse im Sinne der Sémasiologie de l’espace erarbeitet, die auf einer umfänglichen Foto-Dokumentation des Erhebungsraums basiert. Ganz im Sinne des Verfahrens von Georges Perec werden die dokumentierten Einheiten nach Faktoren geordnet, die sich in den drei Termini Bilder, Schilder und Sprache verkörpern. In der Tradition der Linguistic Landscape-Forschung wird zwar der Modalität Sprache (in Schrift) ein eigenständiger Wert beigemessen, doch ist zugleich angestrebt, den in der Linguistic Landscape-Forschung gängigen Fokus auf Sprache zu relativieren, indem dieser Faktor in ein multimodales Geflecht (Text im etymologischen Sinn) semiotischer Verfahren integriert wird, wodurch sich Zeichen (signs) im öffentlichen Raum in den Worten von Susanne Göpferich (1995: 56) als „thematisch und/oder funktional orientierte, kohärente (…) sprachlich-figürliche Komplex[e]“ verkörpern. Diese Perspektive bedeutet natürlich eine Annäherung an bildlinguistische Forschungen, wobei hierunter oft genug eher eine methodische als eine gegenstandsbezogene Perspektive gemeint ist. So deuten zum Beispiel Klemm & Stöckl (2011: 11) ein gewisses Primat der Linguistik an, wenn sie feststellen „dass die Sprachwissenschaft mit ihren Theorien, Methoden und Erkenntnisinteressen sehr wohl einen genuinen Beitrag zu einer inter- und transdisziplinären Bildwissenschaft leisten kann und auch leisten sollte.“ Allerdings transzendieren Forschungen zu Semiotic Landscapes in der Regel das Moment Sprache. So definiert etwa Janina Wildfeuer (2017: 191) „ auch multimodale Artefakte mit wenig oder ganz ohne sprachlichen Anteil als Text.“

      In der vorliegenden Arbeit werden die semiotischen Landschaften einer Fußgängerzone und einer Shopping Mall in München also sowohl quantitativ als auch qualitativ dahingehend beforscht, dass die Systematiken und internen Strukturen derjenigen semiotischen Verfahren sichtbar werden, mittels derer die beiden Räume mit Passanten kommunizieren. Damit fühlt sich die Arbeit einem ‚semiotischen Kontextualismus‘