Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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ermöglicht haben und die damit auch als Basis für die aktuell vorgefundenen Formen gelten können.

      Die Analyse erfolgt über eine Datenbank-basierte, möglichst umfassende quantitative Mikro-Kartierung der Zeichentypen der genannten Räume. In interpretativer Hinsicht wird eine exemplarische, feinkörnige Klassifikation der einzelnen Dimensionen der Multimodalität der dokumentierten Zeichen angestrebt, woraus dann über ein mehrdimensionales Analyseverfahren eine entsprechende Zeichentypologie erstellt wird. Die feinkörnige Annotation der Foto-Dokumente erfolgt über eine Vielzahl von Einzelfaktoren, die sich in folgende Kernbereiche gliedern:

      1 Linguistik des Sprachlichen

      2 Grafie des Sprachlichen

      3 Dimensionen des Bildlichen

      4 Typik des ‚Zeichenträgers‘

      5 Einbettung in die architektonische Dimension

      6 Ökonomische und historische Faktoren

      Diese Kernbereiche werden über die jeweiligen Subkategorisierungen hinaus in interpretativer Hinsicht soweit erfassbar mittels für bildlinguistische Analysen vorgeschlagener Parameter wie Intentionalität, Informativität, Situationalität, Intertextualität, Kulturalität und Materialität annotiert (Große 2011). Zusätzlich werden formale Analysemodelle der Bildlinguistik mit ihrem Schwerpunkt auf der Beschreibung der Beziehung von bildlich/grafischen und sprachlichen Elementen in der Analyse auf ihre Anwendbarkeit in dreidimensionalen Räumen mit komplexen multimodalen Clustern mit mehrseitigen Beziehungsstrukturen untersucht.

      Auch wenn anzunehmen ist, dass die Gegebenheit öffentlicher semiotischer Räume genuiner Teil zumindest ‚moderner‘ Gesellschaften ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die jeweilige semiotische Substanz an sich ‚zeitlos‘ wäre. Vielmehr ist zu vermuten, dass derlei semiotische Systeme sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Semantik Analogien zeigen zu entsprechenden Traditionen und Konventionen von Gesellschaften ‚in ihrer Zeit‘. Zugleich kann angenommen werden, dass aktuelle semiotische Systeme sich aus älteren Verfahrensweisen heraus entwickelt haben und sich in ihrer Struktur auch durch diese begründen. Dieser Aspekt wird durch die Berücksichtigung der diachronen Entwicklung nachgezeichnet. Die diachrone Perspektive bezieht sich dabei nicht nur auf den Wandel in der Verwendung und Kombination einzelner Modi und deren Auswirkung auf die semiotische Struktur des Raumes, sondern auch auf Änderungen, die durch externe Faktoren wie z.B. die Stadtentwicklung oder Architektur bedingt sind. Die Einbeziehung dieser Aspekte gründet auf umfassenden Archivarbeiten, wobei der hieraus erarbeitete Befund analog in der Datenbank annotiert wird.

      Die mehrdimensionale Analyse ist sowohl in Theorien und Methoden von Forschungen zu Linguistic Landscapes als auch zur schon oben erwähnten Bildlinguistik (z.B. Große 2011, Diekmannshenke et al. 2011), zur Semiotik von „Schrift-Bildern“ (e.g. Metten 2011) und zur Bildsemiotik (Barthes 1969) eingebettet, wobei die Beobachtung von Große (2011: 12) zugrunde gelegt wird, wonach

      [d]ie bisher als selbstverständlich geltenden räumlichen und funktionalen Grenzen zwischen Bild, Sprache und Schrift (…) aufgelöst, die jeweiligen Vorteile von Schrift und Bild in neuartigen Zeichensystemen verknüpft und zu permanent neuen Synergien, Metamorphosen und Mischformen gestaltet (werden).

      In diesem Sinn wird die Tradition von Forschungen zum Komplex Linguistic Landscapes zwar als wesentlicher Ausgangspunkt für die vorliegende Studie verstanden, doch setzt sie sich zugleich das Ziel, diese Dimension unter Zugrundelegung von Hypothesenbildungen im Bereich der Bildlinguistik und „social semiotics“ (Stöckl 2004) als Bestandteil einer multimodalen „semiotischen Karte“ (semiotic map, vgl. die Beiträge in Zantides 2014) zu interpretieren.

      In der Tat konzentrieren sich Studien zu Linguistic Landscapes in meist synchroner Perspektive auf die Beschreibung und Analyse von Sprache ‚an sich‘ im öffentlichen Raum. Nicht nur in der genannten synchronen, sondern auch in diachroner Perspektive wird in der vorliegenden Studie jedoch davon ausgegangen, dass – wie oben angedeutet – die Beschränkung auf die rein sprachliche Dimension vor allem in Hinblick auf eine qualitative Analyse der Präsenz geschriebener Sprache im öffentlichen Raum nicht ausreichend ist, um die Strukturierung und Funktionalität bzw. Semiotik eines öffentlichen ‚Sprachraums‘ zu erfassen. Linguistic Landscapes sind also zu verstehen als Teile einer Gesamtkomposition multimodaler semiotischer Zeichen, die als eigentliche Analysegröße zugrunde zu legen ist. Dies ermöglicht eine umfassendere Beschreibung der unterschiedlichen Formen der Repräsentation von Sprache einschließlich der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Funktionen eines semiotischen Raumes2 und seiner dialogischen Struktur (Zeichen-Wahrnehmende), ohne Kriterien, die in der Linguistic Landscape-Forschung thematisiert werden, zu vernachlässigen.

      In einer solchen der Gesamtsemiotik des öffentlichen Raumes Rechnung tragenden Analyse können Ansätze der LL-Forschung mit denen der Bildlinguistik (Schmitz 2011, Stöckl 2011, Bateman 2014) und weiteren Bereichen der semiotischen Forschung (Kress 2010) in einem Ansatz integriert werden. Die Klassifizierung in unterschiedliche Analysegrößen (Schild, Sehfläche, Bild, vgl. Kapitel 5), die die verschiedenen möglichen semiotischen Genres aufgreift, ermöglicht es hierbei sowohl unterschiedliche Formen der Multimodalität zu berücksichtigen als auch die Beziehung der einzelnen Modi zueinander und ihre (dialogische) Funktion auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen im modernen öffentlichen Raum zu beschreiben.

      Dabei ist zu beachten, dass die Studie darauf abzielt grundlegende, allgemeine Muster und Beziehungen zu isolieren, die sich auf andere öffentliche Räume mit gleicher oder ähnlicher Funktion übertragen lassen. Dies gilt umso mehr, als die gegebenen öffentlichen Räume in ihrer Profilierung zwar vergleichsweise stabil sind, aber dennoch erhebliche Volatilität besteht. Einerseits sind Nutzerwechsel auch innerhalb kürzerer Zeiträume möglich oder gar wahrscheinlich und andererseits sind konkrete Formen sowohl des Bildlichen als auch Sprachlichen durch häufige Umdekorationen etc. im ständigen Wechsel begriffen. Entsprechend sind die erhobenen Daten eine Momentaufnahme, aus der sich aber die zugrunde liegenden Muster, Regeln und Konventionen ableiten lassen.

      Um den unterschiedlichen Dimensionen und Ansätzen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, gerecht zu werden, gliedert diese sich in 6 Textkapitel einschließlich dieser Einleitung und Verzeichnisse.

      Kapitel 2 widmet sich ausführlich der Linguistic Landscape-Forschung. Nach einer Präsentation des aktuellen Forschungsstandes wird die synchrone Linguistic Landscape in den Kontext des öffentlichen Raumes als ihrem Realisationsort gestellt. Diese Beschreibung des status quo wird mit einer historischen Kontextualisierung abgeschlossen, in der aufgezeigt wird, dass bestimmte interdependente gesellschaftliche, politische und ökonomische Entwicklungen an der Wende vom 19. Jahrhundert zum 20. Jahrhundert wesentlichen Einfluss auf die Genese der modernen Linguistic Landscape und des modernen, ökonomisch genutzten öffentlichen Raums hatten.

      Kapitel 3 stellt die Beziehung von Linguistic Landscapes und Multimedialität in das Zentrum der Betrachtung. Dabei werden die unterschiedlichen Dimensionen des Begriffs Multimodalität in Bezug auf die Linguistic Landscape und den öffentlichen Raum in den Blick genommen. Dafür werden zunächst typografische Aspekte wie die Wahl von Fonts, Farben sowie die bildhafte Veränderung von Schrift beschrieben. Es geht in diesem Teil des Kapitels damit um die bewusste Gestaltung des Mediums Schrift mit dem Ziel den so präsentierten Text mit zusätzlicher Bedeutung aufzuladen. Im Anschluss daran wird auf Text-Bild-Aggregate eingegangen. Solche Kombinationen aus möglicherweise mit typografischen Mitteln gestaltetem Text und Bild sind Untersuchungsgegenstand der Bildlinguistik, die die unterschiedlichen Interaktionsformen beider Modalitäten zur Formulierung einer Gesamtaussage untersucht. Auch hier werden nach der Präsentation der synchronen Befunde die historischen Dimensionen nachgezeichnet wobei gezeigt wird, dass die gegenwärtigen Strukturen im Ergebnis auf den in Kapitel 2 vorgestellten Genesekontext zurückzuführen sind.

      Kapitel 4 führt in die eigentliche Studie ein und stellt den Untersuchungsraum, die angewandten Methoden, Analysegrößen sowie die Datenbasis für die Auswertungen vor. Der Untersuchungsraum wird dabei unter Rückgriff auf die Befunde aus den Kapiteln 2 und 3 ausführlich auch in seiner historischen Dimension beschrieben, welche