Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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(2013) zeigt in ihrer Studie zum Slowenischen in der Provinz Triest, dass eine nur geringe Sichtbarkeit der Minderheitensprache durchaus dem Wunsch der Sprecher entsprechen kann, wenn diese ihrer Sprache eine identitätsstiftende Funktion zuweisen, die nicht auf öffentliche Wahrnehmbarkeit ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund ist die verbreitete quantitativ-distributive Analyse der Daten als problematisch zu betrachten.

      Eine Vielzahl von LL-Studien ist in Regionen angesiedelt, in denen aufgrund gegebener historischer Entwicklungen ein über lange Zeiträume hinweg bestehendes, festes Gefüge an Mehrsprachigkeit besteht, also autochthone Gruppen und ihre Regionalsprachen im Zentrum des Interesses stehen. Neben Spanien mit seinen zahlreichen, rechtlich in den jeweiligen Regionen dem Spanischen gleichgestellten Regionalsprachen stehen Frankreich mit der untergeordneten Stellung seiner Regionalsprachen im Vergleich zum Französischen, Irland mit seinen widersprüchlichen Ergebnissen zum Irischen sowie Israel im Zentrum von Lingustic Landscape-Forschungen. Ebenso wie im Falle der Studie von Landry & Bourhis (1997) zur Frankophonie in Kanada handelt es sich bei den aufgeführten Regionen um solche, in denen Mehrsprachigkeit durch komplexe historische Prozesse im Rahmen der Nationenbildung entstanden ist und in denen vormals vergleichsweise eigenständige Regionen und ‚ethnische‘ Gruppen in ein sprachlich und kulturell zumindest teilweise abweichendes politisches Konstrukt (Staat) eingebunden wurden, oft ohne an der Bildung des neuen Konstrukts tatsächlich beteiligt gewesen zu sein. So sind beispielsweise die frankophonen Gebiete Kanadas, an denen Landry & Bourhis ihr Konzept der LL entwickelten, 1763 als Folge der Niederlage Frankreichs im Siebenjährigen Krieg im Pariser Frieden an England abgetreten worden. Die Präsenz von Sprachen von Migrantengruppen wird dagegen seltener thematisiert und entsprechende Studien sind vor allem im außereuropäischen Raum und hier in der Regel in ‚klassischen Einwanderungsländern‘ angesiedelt (z.B. zum Chinesischen in USA Leeman & Modan 2009, 2010; Lou 2010). Für Deutschland ist e.g. auf Stoltmann (2016) hinzuweisen, der die multilingualen Muster in zwei durch massive Zuwanderung gekennzeichneten Stadtteilen von Kiel und Rostock untersucht hat. Diese sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegte Studie findet ihre Ergänzung im Projekt der Universität Essen „Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit in der Metropole Ruhr“ (2013-2018; vgl. Mühlan-Meyer, Ziegler, Uslucan 2016, Mühlan-Meyer and Lützenkirchen 2017, Cindark and Ziegler 2016, Ziegler, Eickmans, Schmitz 2017).

      Im Bereich des Tourismus wird zudem häufig die Präsenz von Regionalsprachen nicht mit der Sprache der Mehrheitsgesellschaft verglichen, sondern mit den Sprachen der größten Touristengruppen (Bruyèl-Olmedo & Juan-Garau 2015) oder mit dem Englischen als internationaler Verkehrssprache und moderner lingua franca. Neben der Untersuchung der „Wertigkeit“ der regionalen Sprachen unter dem Stichwort Kommodifizierung (Heller, Jaworski, Thurlow 2014; Heller, Pujolar, Duchêne 2014, Leeman & Modan 2009, 2010), stehen hier weniger gesellschaftliche Machtgefüge zur Diskussion als vielmehr ökonomische Diskurse, zu denen auch die über die Daten laufende Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten von Signs gehört.

      Darüberhinaus werden in diesem Bereich zunehmend weitere Aspekte wie die semiotische Unterstützung von Sprache in den Blick genommen und untersucht, in welchem Umfang die Verwendung von Regionalsprachen, Minderheitensprachen oder Dialekten durch weitere Mittel wie Farben, Fonts oder Hinweise auf besondere kulturelle Verfahren unterstützt bzw. verstärkt wird (vgl. Kapitel 2). Für Studien, die diese erweiterte Form von Zeichen berücksichtigen, hat sich die Bezeichnung Semiotic Landscape etabliert. Semiotic Landscape-Studien weisen somit über die reine Betrachtung von Sprache hinaus, legen aber in der Regel den Schwerpunkt auf diese und betrachten die weiteren semiotischen Elemente als unterstützende Faktoren.

      Die Datenerfassung im Rahmen von LL-Studien mittels Fotodokumentation findet in der Regel in städtischen Räumen statt. Diese Auswahl ist Gegenstand der Kritik, die aber sowohl im Hinblick auf die Art der Daten als auch den historischen Entstehungskontext von LLs zu relativieren ist (s.u.). Städtische Räume bieten im Gegensatz zu dörflichen Strukturen eine Vielzahl unterschiedlicher Orte, an denen die benötigten Daten auffindbar sind. Eine abnehmende Ortsgröße geht in der Regel mit einem geringeren Anteil an Daten-liefernder Infrastruktur in Form von Geschäften, Werbetafeln, gastronomischen Angeboten, Nahverkehr, Straßenschildern etc. einher, so dass eine Auswahl der Orte im Hinblick auf eine ausreichende Datenmenge vertretbar ist. Gleichzeitig muss die Ortsauswahl gegenstandsangemessen sein, was heißt, dass kleinere Ortschaften nicht per se ausgeschlossen werden. Einige Studien zeigen, dass gerade diese kleinen Ortschaften in Bezug auf bestimmte Fragestellungen sehr wohl zum Erkenntnisgewinn beitragen können (z.B. Tufi (2013) komparativ zum Slowenischen oder Reershemius (2011) zum Niederdeutschen).

      Zusammenfassend lassen sich Linguistic oder Semiotic Landscape-Studien im Hinblick auf die Fragestellung als Untersuchungen zur Präsentation und Repräsentation von Sprachen im öffentlichen Raum als Ausdruck der den Sprachen zugewiesenen Funktion(en) beschreiben, greifen damit allerdings in der vorwiegend distributiv beschreibenden Analyse häufig deutlich zu kurz.

      Die Linguistic Landscape-Forschung berücksichtigt in der qualitativen Analyse weiterführende semiotische und multimodale Aspekte lediglich als Hilfsargumente zur Beschreibung rein linguistischer Daten, während weiterreichende semiotische Studien zu wenig auf die spezifische Rolle von Sprache abheben. Die sich in den aktuellen Formen und Funktionen multimodaler Konstruktionen widerspiegelnde historische Entwicklung auch in den sich wandelnden Anforderungen und Erwartungshaltungen an entsprechende Konstruktionen im öffentlichen Raum (Kress 2010) wird in den i.d.R. rein synchron ausgerichteten Studien ebenfalls selten thematisiert.

      Der dialogische Charakter von verschrifteter Sprache allein und in Kombination als semiotisches Genre unterschiedlicher Funktion und Reichweite im öffentlichen Raum bleibt in der LL-Forschung bis dato weitgehend unbeachtet und wird gegebenenfalls nur hinsichtlich seiner Auswirkungen im Bereich der Sprachpolitik und dem möglicherweise wechselseitigen Einfluss der Präsenz von Minderheitensprachen im öffentlichen und ihrem Status in einer gegebenen Gesellschaft betrachtet (z.B. Puzey 2012).

      Ein ebenfalls noch junger Bereich der Sprachwissenschaft ist die Bildlinguistik, die in einem interdisziplinären Ansatz Bildwissenschaft und Teilbereiche der Sprachwissenschaft (Diskurs-, Medien-, Text-, Kognitionslinguistik) zur Erforschung komplexer Text-Bild-Beziehungen vereinigt.

      Untersuchungen zur Bildlinguistik als eigenständiges Forschungsthema sind bisher selten. Die existierende Literatur setzt ihre Schwerpunkte derzeit noch in der Diskussion und Beschreibung methodischer und analytischer Verfahren. Grundlegend für theoretische Ansätze sind u.a. die Arbeiten von Diekmannshenke et al. (2011) und Große (2011), sowie Bateman (2008, 2014). Weitere Arbeiten zum Thema Bildlinguistik untersuchen die Verbindung von Sprache und Bild vor allem in Bezug auf Massenmedien und Medienkommunikation (Stöckl 2004a) oder Werbekontexte (Stöckl 2008). Diese intermediale Ausrichtung will den vor allem durch moderne Massenmedien zunehmenden Visualisierungstendenzen und z.B. als „visuelle Zeitenwende“ beschriebenen Paradigmenwechsel (Straßner 2002) Rechnung tragen.

      Allerdings weisen Duvigneau (1975) und sowie Ilgen & Schindelbeck (2006) in ihren Arbeiten zur Entwicklung der Werbung und besonders des Plakatwesens auf die große Bedeutung hin, die der gestalterischen Komposition von Plakaten auch im Hinblick auf die Integration von Text und Bild schon in der Frühzeit beigemessen wurde und welche Funktionen diesen Elementen jeweils zukommen. Wischermann (1995:14) beschreibt Werbung als neue Dimension gesellschaftlicher Repräsentation der Moderne und fasst diese unter dem Stichwort „visuelle Kultur“ zusammen. Diese historische Perspektive verdeutlicht, dass der Untersuchungsgegenstand der Bildlinguistik auf historische Dimensionen sowie auf alle weiteren Medien, die auf eine Text-Bild-Integration zur Botschaftsvermittlung setzen, ausgeweitet werden kann und dass so auch das Plakat, Schaufenster und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Architektur öffentlicher Räume (s.u.) mit den Mitteln der Bildlinguistik beschreibbar werden, womit sich eine Schnittstelle zu den Fragestellungen und Analysegrößen der LL ergeben würde, da sich beide Bereiche in dieser Perspektive zumindest teilweise überlappen.

      Sowohl theoretische Ansätze als auch konkrete Untersuchungen aus dem Bereich der Bildlinguistik zielen derzeit vor allem eine gedruckte, filmische oder virtuelle Datenbasis. Das Zusammenspiel von Bild und Sprache in der Konstruktion und Strukturierung des öffentlichen Raums ist bisher noch nicht thematisiert worden. Dabei