Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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für die in großer Stückzahl produzierten Waren zu finden (Faulstich 2004: 9-11; Wischermann 1995). Eine ausreichende Zahl an Abnehmern setzt einen gewissen Wohlstand in breiten Teilen der Bevölkerung voraus, so dass diese über den notwendigen Bedarf zur Deckung der grundlegenden Bedürfnisse hinaus nicht nur konsumieren möchte, sondern auch finanziell dazu in der Lage ist.

      Die veränderten Rahmenbedingungen in der Produktion verlangten nach neuen Vertriebsformen, die eine Präsentation der fertigen Waren an gut zugänglichen Orten ermöglichte. Die wachsende Zahl an Ladengeschäften wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch einen neuen Ladentypus ergänzt, der bis heute prägend für moderne Warenwelten ist: das Warenhaus bzw. Kaufhaus. Dieser Ladentypus fand sich zunächst in einfachen Ladengeschäften. Die Eigentümer gingen jedoch bald dazu über repräsentative Neubauten in zentraler Lage zu errichten. Kauf- bzw. Warenhäuser boten nicht nur unterschiedlichste Produkte an und ermöglichten deren Betrachtung ohne jeden Kaufzwang, sie setzten auch auf eine aufwendige Präsentation der Waren (Bruns-Berns 1995). Kaufhäuser stehen dabei nicht nur exemplarisch für die vollkommene Trennung von Kunden und Produzenten, sondern auch für die neuen Kommunikationskanäle zwischen beiden Akteuren (Reinhardt 1995; Faulstich 2004: 154). In diesem Umfeld gewannen Schaufenster und ihre Gestaltung ebenso wie Plakat- oder Schilderwerbung als Teile der Wirtschaftswerbung zunehmend an Bedeutung.

      Da für die neuen Formen der Produzenten-Kunden-Kommunikation zunächst regulatorische Vorgaben fehlten, kam es im Bereich der Schilderwerbung teilweise zu derart dichten LLs, dass z.B. in Deutschland der Begriff „Blechpest” aufkam. Erste regulatorische Maßnahmen wurden z.B. für München bereits 1912 vom neu eingerichteten Bayerischen Reklameausschuss getroffen (Lehmann 2008: 22-25, vgl. auch Ilgen & Schindelbeck 2006: 58-59 und Spiekermann 1995).

      Auch in der Schaufenstergestaltung wurde zunächst auf Masse gesetzt, und die Fenster wurden mit möglichst vielen Produkten vollgestellt. Es kamen aber bereits früh erste Ratgeber für die Gestaltung von Schaufenstern auf (Bruns-Berns 1995: 99-100), die häufig auch als Zeitschriften erschienen3. Die Bedeutung, die Schaufenstern als Werbeelement beigemessen wurde, zeigt sich auch daran, dass in den repräsentativen Warenhausbauten die Glasflächen immer größer wurden (Borscheid 1995). Der dadurch möglich gewordene und sich gegen Widerstand durchsetzende sonntägliche Schaufensterbummel bot nicht nur Gelegenheit, sich über das Warenangebot zu informieren, sondern er animierte durch die durchdachte Warenpräsentation auch zum Kauf (Bruns-Berns 1995: 98; Wagner 1998: 29).

      Warenhäuser waren auch ein zentrales Element der Citybildung (Bruns-Berns 1995: 98-99), also einem Funktionswandel innerstädtischer Räume, der zu einer kontinuierlichen Abnahme der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung führte. Durch das starke Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert sowie der einsetzenden Industrialisierung kam es zu Wanderungsbewegungen in städtische Räume als bevorzugte Standorte der Industriebetriebe. Mit zunehmender Bevölkerung und Kaufkraft stieg die Nachfrage vor Ort, so dass es an bestimmten zentralen Plätzen oder Straßen, die oft vorher schon Standorte von Märkten oder durch eine gemischte Nutzung von Wohn- und Arbeitsstätten von Handwerkern, Händlern geprägt waren4 (Brandt 2008: 160-183; Wagner 1998: 20-21), zu einer Verdrängung der Wohnbevölkerung zugunsten einer ökonomischen Nutzung kam.

      In der weiteren Entwicklung trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Shopping Mall ein neuer Raumtyp hinzu, der häufig außerhalb der Stadtzentren angesiedelt war, dafür aber mit guter Verkehrsanbindung und großen Parkplätzen für gute Erreichbarkeit sorgte. Shopping Malls wie das in der vorliegenden Studie untersuchte OEZ wurden auch als Nahversorger bzw. zur Entlastung der Innenstadt geplant5 und sollten Verkehrs- bzw. Kundenströme umleiten und boten bzw. bieten ein entsprechend vielfältiges Angebot, dass neben Ladengeschäften auch Verweilstrukturen (Cafés, Imbisse, (Schnell)Restaurants etc.) anbietet.

      Shopping Malls gleichen mit ihrer geschlossenen äußeren Hülle, häufig an Ladenöffnungszeiten gebundene Zugänglichkeit sowie ihrem rechtlichen Status als Privatbesitz zunächst dem Warenhaus, stehen aber in starker Konkurrenz und im Kontrast zu diesem (Wehrheim 2007:7-12, Dörhöfer 2007: 60-62; Frank 2007: 119). Malls mit ihren entlang von ‚Straßen‘ und an ‚Plätzen‘ angeordnet Läden und Gastronomiebetrieben sind durchstrukturierte und optimierte Entitäten, die sich in ihrem schematischen Aufbau gleichen (Dörhöfer 2007: 60-64). Dieser Raum- bzw. Gebäudetypus vereinigt scheinbar die Vielfältigkeit einer Einkaufsstraße mit ihren unterschiedlichen Angeboten in sich, richtet sich aber an einer Zielgruppe aus. Durch die Binnenstruktur mit ‚Straßen‘ und abgetrennten Läden sind im Hinblick auf die Werbemedien Schaufenster und Aufsteller präsent, während durch die Überdachung Nasenschilder, Fahnen und weitere hoch angebrachte Signtypen nicht praktikabel sind.

      Zusammenfassend lässt sich also ein enger Zusammenhang zwischen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Konsumgesellschaft, Citybildung und der Ausprägung einer Linguistic Landscape im modernen Sinne feststellen. Eine liberale Wirtschaftspolitik unterstützte die Industrialisierung, welche über den Bedarf hinaus Waren produzierte. Der Absatz dieser Waren war durch ein starkes Bevölkerungswachstum sowie einen relativen Wohlstand wachsender Bevölkerungsschichten gesichert, die u.a. in eben jenen Unternehmen Arbeit fanden, die die Massenprodukte herstellten. Dieses Umfeld war ausschlaggebend für die Entwicklung von Kaufhäusern6, die ein breites Sortiment unterschiedlichster Waren anboten und geschickt präsentierten und auch den reinen ‚Bummel‘, d.h. das Betrachten der Ware ohne Kaufzwang ermöglichten. Kaufhäuser und andere große Ladengeschäfte wiederum konzentrierten sich an bestimmten Straßen und Plätzen, was zur Citybildung führte. In diesem Szenario fand die direkte Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten nicht mehr statt und musste über andere Kanäle geleistet werden. Dabei spielte nicht nur die Präsentation der eigenen Produkte eine Rolle, sondern das Hervorstechen aus der Konkurrenz sowie das Wecken von Bedürfnissen (Faulstich 2004: 156-157; Spiekermann 1995: 126, 129), wobei der sich entwickelnden Wirtschaftswerbung in der Gestaltung von Firmenlogos, Schaufenstern sowie Plakaten eine besondere Rolle zukam.

      Wie oben gesagt datieren Wischermann (1995) und Richards (1991) den Beginn des modernen Werbewesens auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Deutschland beispielsweise wurde das Anzeigenwesen 1850 freigegeben. Reklame im Sinne der reinen textuellen Bekanntmachung von neuen Produkten und Hinweisen zu Eigenschaften und Verfügbarkeit7 verlor an Bedeutung und wurde bis 1900 vollständig durch die Wirtschaftswerbung8 ersetzt, die auf eine „lebensweltlich-kulturelle“ Präsentation der Waren setzte (Borscheid 1995). Borscheid (1995: 22) vergleicht vorindustrielle Reklame von ihrer Aussagekraft und inhaltlichen Gestaltung her mit modernen „Haltezeichen für Straßen- oder U-Bahnen, den Praxisschildern von Ärzten oder Rechtsanwälten oder dem Schriftzug eines Kaufhauses“. Der Unterschied zu moderner, auf unterschiedlichen Ebenen emotional aufgeladener Werbung wie sie sich nicht nur in Printwerbung, sondern auch in der Warenpräsentation in Schaufenstern, in Slogans und auch der mittlerweile verbreiteten narrativen Aufladung von Firmennamen zeigt, wird damit augenscheinlich (Haas 1995). Es wird aber auch deutlich, dass eine moderne LL sich aus Sign-Typen mit unterschiedlichen und unterschiedlich vielen Bedeutungsebenen zusammensetzt.

      Die zunehmende Bedeutung von Werbung wirkte sich auch auf die architektonische Gestaltung von Kaufhäusern und Ladengeschäften aus. Da sich Schaufenster als äußerst effektive Werbemittel erwiesen (Reinhardt 1995: 52, Lipp 1991: 108, Wagner 1998: 29), wurden Fensterflächen bei Neubauten gleich als Schaufenster und entsprechend groß geplant, später eingebaut oder vorhandene Fenster vergrößert (Bruns-Berns 1995; Wagner 1998). Schaufenster prägten nicht nur das Straßenbild in Geschäftslagen, sondern auch die Interpretation öffentlicher Räume. Die Wahrnehmung entsprechender architektonischer Formen löst Hypothesen über die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeiten der entsprechenden Gebäude aus (große Fensterflächen im EG > Schaufenster > Geschäft). Gleiches gilt im Übrigen für an der Fassade angebrachte Firmenschilder (Firmenschild an der Fassade = Hinweis auf Geschäft).

      Aus diesen Hypothesen leiten sich weitere Hypothesen bezüglich des ‚Inhalts‘ des (Schau)Fensters ab, die durch Firmenschilder gestützt werden: Ist das Unternehmen, dessen Schild wahrgenommen wird, bekannt, werden bestimmte Produkte im Schaufenster erwartet. Ist das Unternehmen nicht bekannt, wird vermutlich nur erwartet, dass irgendwelche Produkte im Schaufenster ausgestellt sind. Diese