Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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S-Bahnschildern der Fall ist, die auf die nächste Haltestelle verweisen. Zwar verweisen auch Private Signs auf ihren unmittelbaren Nahbereich, reichen jedoch durch ihre komplexe narrative Struktur auch darüber hinaus.

      Damit kommt bei diesen Signs die von Scollon & Scollon (2003: 1-2) beschriebene Wichtigkeit des Standortes zum Tragen. Scollon & Scollon verweisen darauf, dass die Bedeutung/Botschaft eines Signs erst durch dessen Platzierung an seinem Bestimmungsort seine eigentliche Bedeutung bekommt. Damit wird auch der Aufstellungsort als Teil des öffentlichen Raumes mit Bedeutung aufgeladen. Scollon & Scollon erläutern ihre Ausführungen mit dem Beispiel eines „Nacktbaden verboten“-Schildes, das seine Bedeutung erst am Aufstellungsort erhält und z.B. auf der Ladefläche eines Transporters keine Bedeutung hätte. Die ‚Bedeutungslosigkeit‘ des Signs liegt auch darin begründet, dass die Ladefläche eines Transporters kein Ort ist, an dem zumindest die Möglichkeit zum Baden gegeben ist. Diese Zuweisung von Bedeutung unterliegt gelernten kulturellen Mustern, die Orten nicht nur bestimmte Handlungsoptionen zuweisen, sondern auch bestimmte Signs bzw. konkrete Ausprägungen bestimmter Signtypen erwarten lassen.

      Wegen der engen Beziehung zwischen öffentlichem Raum und Signs lassen sich nicht nur Aussagen über die Nutzung eines Raumes sondern auch über die Signdichte und Signtypen ableiten. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Grad der ökonomischen Nutzung auf der einen und Signdichte und Signtyp auf der anderen Seite.

      Wie oben angedeutet ist in Wohngebieten eine geringere Varianz in den Signs zu erwarten. Dieser Raumtyp wird in der Regel von Public Signs (Verkehrsschilder, Straßennamen, ggf. ergänzt durch Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft wie Schulen und Kindergärten etc.) und Private Signs des Typs Klingelschild dominiert. Private Signs mit ökonomischem Bezug (Restaurant, Läden etc.) sind in diesem Kontext seltener vorhanden9.

      Sowohl das Verhältnis von Private und Public Signs zueinander als auch zwischen den unterschiedlichen Formen der Private Signs verschiebt sich in zentralen Lagen größerer Orte und in Städten. Diese Bereiche sind von Handel und Dienstleistung sowie intensivem Verkehr geprägt und weisen nur einen vergleichsweise geringen Anteil an Wohnbevölkerung auf (vgl. Kapitel 4 und 5 für die Münchner Innenstadt). Dadurch gleicht sich einerseits die Zahl von Public und Private Signs an, während andererseits bei den Private Signs der Signtyp Klingelschild in der Präsenz hinter ökonomisch geprägten Signs zurücktritt. In diesem Kontext ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass mit zunehmender Größe des Ortes eine Verdichtung der ökonomischen Struktur zu erwarten ist, da Städte nicht nur die Versorgung der eigenen Bevölkerung leisten, sondern häufig auch als Zentren in das Umland hinaus ausstrahlen und für dieses bestimmte Versorgungsleistungen mit zur Verfügung stellen.

      Für die Linguistic Landscape-Forschung, deren Daten sich aus Signs generieren, ergibt sich daraus, dass zentrale Teile von Ortschaften, die die jeweils höchste Signdichte aufweisen, die idealen Forschungsregionen sind. Das von Leeman & Modan (2010) angesprochene Problem der großen Homogenität der Signs in diesen Regionen ist, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet, ohne die eine Linguistic Landscape in ihrer heutigen Gestalt nicht denkbar wäre. Durch die Berücksichtigung des öffentlichen Raums als gesellschaftlichem Konstrukt ergibt sich, wie u.a. Scollon & Scollon (2003) zeigen, die Möglichkeit Fragestellungen zu formulieren, die ihren Fokus nicht auf die Beziehung von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft legen, sondern stärker allgemeingesellschaftlichen Wandel analysieren und dabei die Rolle von Signs über die Sprachwahl hinaus in ihrer narrativen (inhaltlichen) Bedeutung auch im Zusammenspiel mit allen weiteren Konstituenten für die Konstruktion des öffentlichen Raumes berücksichtigen, wie die Studie von Papen (2012) zur Gentrifizierung im Prenzlauer Berg zeigt.

      2.3 Der historische Kontext: LL, Ökonomie, Citybildung, Werbung

      Der moderne öffentliche Raum, der der Ort der Linguistic Landscape ist und an dessen Konstruktion die Linguistic Landscape ihrerseits Teil hat, ist das Ergebnis gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse, die mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Im Ergebnis führten diese Prozesse dazu, dass sich neue gesellschaftliche Werte und Verhaltensweisen (Konsumgesellschaft, Massenkonsum) sowie ökonomische Strukturen (technischer Fortschritt, Massenproduktion) herausbildeten (Faulstich 2004). Richards (1991: 1) stellt hierzu fest, dass „the imperatives of the capitalist system became tangled up with certain kinds of cultural forms, which after a time became indistinguishable from economic forms.“

      Die angesprochenen Entwicklungen und ihre Verknüpfungen haben zur Ausprägung einer LL mit ihren zahlreichen mehrschichtigen und häufig narrativen Signs geführt. Die bereits oben erwähnte von Leeman & Modan (2010) geäußerte Kritik an den Erhebungsräumen und der damit verbundenen Häufung bestimmter Signtypen ist entsprechend vorsichtig zu bewerten. Im Folgenden liegt das Hauptaugenmerk auf den für die LL-Forschung relevanten historischen Prozessen im Hinblick auf den öffentlichen Raum und die Entstehung von Signs im Sinne der LL. Ein wesentlicher Aspekt dieser Entwicklung ist die Entstehung von Werbung, die zur Ausbildung der Private Signs in der LL führte. Public Signs sind hingegen stärker mit Urbanisierung und Entwicklungen im Verkehrsbereich sowie den sich daraus ergebenden stärkeren Regulierungsnotwendigkeiten verbunden und werden in diesem Abschnitt nur am Rande berücksichtigt.

      Werbung, zu der im eigentlichen Sinne auch Firmennamen und –zeichen gehören, entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung und der damit zunehmenden Distanz zwischen Produzent und Konsument zum unverzichtbaren Bindeglied zwischen beiden Gruppen. Das in dieser Zeit entstandene Beziehungsgeflecht verfestigte sich und ist in der Gegenwart nicht mehr aufzulösen.

      Wischermann (1995) stellt einen Zusammenhang her zwischen Wirtschaftswerbung, zu der der weitaus größte Teil der Signs einer LL zählt, und einer liberalen Wirtschaftsordnung auf der einen und der industriellen Massenproduktion und der Konsumgesellschaft1 auf der anderen Seite. Dabei misst er der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 eine besondere Bedeutung zu (S. 14-19), da hier erstmals in großem Maßstab eine Leistungsschau des produzierenden Gewerbes mit einem breiten Publikum und unter großer internationaler Beachtung und Berichterstattung stattfand. Für Richards (1991) war die Londoner Weltausstellung nicht nur der Beginn eines veränderten Konsumverhaltens und einer veränderten Bewertung von Konsum als ‚Wert an sich‘, sondern auch die Initialzündung für Wirtschaftswerbung im modernen Sinne.

      Der ökonomische Wandel basierte auf der industriellen Revolution. Der technische Fortschritt, den diese brachte, befeuerte die wirtschaftliche Dynamik da nun Waren in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten. Durch den Einsatz von Maschinen änderten sich nicht nur die Produktions- sondern auch die Vertriebsbedingungen grundsätzlich (Borscheid 1995). Durch die großen Stückzahlen wurden Waren nunmehr ‚auf Vorrat‘ hergestellt und somit bis zu einem gewissen Grad von der Nachfrage abgekoppelt, da einem produzierten Exemplar einer Ware nicht direkt ein Käufer gegenüberstand. Somit waren die Produzenten in der Situation verstärkt auf sich und ihre Produkte aufmerksam machen zu müssen und den potentiellen Kunden zum Kauf zu animieren.

      Parallel zu diesen Entwicklungen und möglicherweise auch durch diese unterstützt kam es zum Niedergang der Zünfte. Mit ihren stark reglementierenden, unmittelbaren Wettbewerb hemmenden Regeln wurden sie zunehmend als Entwicklungshemmnis gesehen, dem mit der Einführung der Gewerbefreiheit begegnet wurde. Damit konnte (theoretisch) jedermann ein Unternehmen in einer beliebigen Branche und mit beliebiger Produktionskapazität gründen. In Deutschland wurde die Gewerbefreiheit zunächst in Preußen eingeführt (1807). Andere deutsche Staaten folgten bis Mitte des Jahrhunderts2 (vgl. z.B. Hahn 2011: 6; Kiesewetter 2004: 57-59; Mokyr 2010: 74).

      Das starke Bevölkerungswachstum in Europa im 19. Jahrhundert war nur ein Faktor für die durch den technischen Fortschritt ermöglichte Massenproduktion: Eine stark wachsende Bevölkerung benötigte grundsätzlich ein Mehr an Waren für ihre Grundversorgung. Da aber nicht nur über den Bedarf hinaus produziert wurde, sondern aufgrund der Gewerbefreiheit, anders als zu Zunftzeiten, die Zahl der Konkurrenten groß war und damit das unternehmerische Risiko stieg, musste die Entwicklung hin zu einer