Ilona Schulze

Bilder - Schilder - Sprache


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der Gesamtwahrnehmung als auch des Zusammenspiels der einzelnen Elemente hin.

      Die beschriebene Entwicklung führte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts zu komplexen multimodalen und multilingualen LLs (vgl. Schulze 2018) einschließlich Leuchtreklamen, die sich von modernen LLs lediglich darin unterscheiden, dass (internationale) Ketten noch nicht prägend sind und die Produktauswahl dem in der Zeit üblichen Geschmack und technischen Möglichkeiten entspricht.

      Die von Leeman & Modan (2010) an den Erhebungsorten der LL angebrachte Kritik erweist sich somit vor dem historischen Hintergrund als nur eingeschränkt haltbar. Ohne die speziellen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts wäre eine LL in ihrer heutigen Form nicht präsent. Der Wandel dieser beiden Jahrhunderte war so tiefgreifend, dass auch Erhebungsräume außerhalb urbaner Zentren den sich im städtischen Umfeld entwickelt habenden Formen folgen und lediglich in Umfang und (zielgruppenspezifischer) Ausrichtung und Gewichtung der einzelnen Elemente variieren. Von daher ist es fraglich, ob tatsächlich völlig andere Erhebungsräume auffindbar sind. Richtig ist allerdings, dass eine zunehmende Homogenisierung urbaner Zentren durch die Präsenz internationaler Ketten zu beobachten ist. Dies ist jedoch als eine Entwicklung im Rahmen des beschriebenen historischen Prozesses zu sehen, die ebenfalls schon früh eingesetzt hat (z.B. Kaufhausketten in den Innenstätten, Ketten aus dem Schuh- und Modebereich wie z.B. Deichmann9, C&A etc.), so dass es sich eher um eine quantitative und nicht qualitative Veränderung handelt.

      Bild 5:

      Weinstraße 8, 1910.

      Bild 6:

      Kaufingerstraße 14 und 15, 1910.

      3 Linguistic Landscapes und Multimedialität

      Multimedialität wird in der Linguistic Landscape-Forschung ebenso wie in der Bildlinguistik für die Beschreibung unterschiedlicher Dimensionen gebraucht. Der Begriff bezieht sich einerseits auf grafische Darstellungen, die auf einem Sign das sprachliche Element ergänzen und als solches zur Gesamtaussage eines Signs beitragen können und steht andererseits für die konkrete Form der schriftlichen Präsentation von Sprache und zielt hier dann auf die verwendeten Fonts und Farben der Schrift bzw. des Schrifthintergrundes.

      Da geschriebene Sprache im öffentlichen die zentrale Datenbasis der Linguistic Landscape-Forschung darstellt, wird im Folgenden zunächst auf die Gestaltungsmöglichkeiten eingegangen, die sich durch die gezielte Verwendung von Fonts, Farben etc., also typografischen und Designelementen ergeben und die Schrift ggf. zu einem mehrdimensionalen Element werden lassen, das sowohl sprachlich als auch grafisch wirken und Botschaften über die reine Textbedeutung hinaus transportieren kann (ausführlich zu den sich hieraus ergebenen Implikationen und der Bedeutung der Sichtbarkeit von Sprache bzw. Kommunikation vgl. Spitzmüller 2013).

      3.1 Typografische Aspekte

      Die typografische Gestaltung kann auf unterschiedlichste Weise zur Bedeutung einzelner Worte oder komplexerer Aggregate beitragen (Stöckl 2008). So kann mit der Wahl bestimmter Fonts unter Rückgriff auf kulturelle/gesellschaftliche Prägungen über die reine Wortbedeutung hinaus verwiesen und diese zusätzlich mit einer Konnotation versehen werden, die allein durch den Font ausgelöst wird (vgl. das Konzept der Sehschulung von Friedrich & Schweppenhäuser 2010 in Kapitel 2.2). Dieser Einfluss zeigt sich z.B. auch in der Verwendung bestimmter Fonts im Modebereich. Zahlreiche Labels oder Zeitschriftentitel verwenden ähnliche Fonts oder Abwandlungen eines Fonts, z.B. des Engravers Gothic bei Strenesse, Zara, Balenciaga oder Givenchy oder des Didot oder Bodoni bei Modezeitschriften des Luxussegments wie der Vogue (Wichert 2016).

      In LL-Studien fällt die Analyse der Verwendung spezieller Fonts häufig mit besonderen Farbgestaltungen der Schildfläche oder der Schrift selbst zusammen, wobei sich eine bestimmte funktionale Ausrichtung erkennen lässt. Während die von Friedrich & Schweppenhäuser (2010) beschriebene Verbindung von Fonts und bestimmten Produkten für die Linguistic Landscape vernachlässigbar sind, da sie kein die Linguistic Landscape prägendes Element sind, kommt solchen Verbindungen im Bereich des Tourismus und der Gastronomie häufig eine zentrale Bedeutung zu.1

      Moriarty (2014) und Reershemius (2011) zeigen an sehr unterschiedlichen Beispielen, wie die Kombination aus Font und Farbe im Bereich des Tourismus gezielt eingesetzt wird um Emotionen (vor allem Authentizität und Bodenständigkeit) zu transportieren. Während die Verwendung der Fonts in diesen Fällen vergleichsweise homogen ist und sich im Wesentlichen am Vorhandensein bestimmter Merkmale wie Serifen orientiert, ist die Auswahl an Farben nur scheinbar größer. Um die gewünschten Informationen transportieren zu können, muss auf in der Zielgruppe verankerte prototypische, mit dem Referenten fest verbundene Zuschreibungen zurückgegriffen werden, um die gewünschten Assoziationen aufrufen zu können (vgl. z.B. Metten 2011: 86). In Bezug auf Irland kommt beispielsweise der Farbe Grün eine besondere Bedeutung zu. Der Beiname Irlands „die grüne Insel“ ist zumindest als passives (möglicherweise opaques) Wissen so weit verbreitet, dass die Verwendung der Farbe auch zusammen mit weiteren semiotischen Ressourcen wie Fonts und bildlichen Darstellungen (s.u.) möglich wird, um die Region zu referieren. Die Konnotation der Farbe – Natur und Natürlichkeit und darauf aufbauend Bodenständigkeit und Authentizität – wird auf das Denotat Irland übertragen, das entsprechend aufgeladen wird. Die Verwendung einer bestimmten Sprache (hier: Irisch), die das eigentliche Zielobjekt der Linguistic Landscape Forschung ist, ist in größerem Umfang dann in vielen Fällen nicht mehr nötig.

      Auch im Untersuchungsraum der vorliegenden Studie gibt es Beispiele für den gezielten Einsatz bestimmter Fonts, die in diesem Falle mit einer bestimmten Sign-Gestaltung einhergehen, um dem Stil des Gebäudes Rechnung zu tragen, an dem die Schilder befestigt sind, wodurch sie unmittelbar mit der Gestaltung des öffentlichen Raumes in Zusammenhang stehen und weniger ökonomische Ziele verfolgen. In diesen Fällen läuft der Sign-Inhalt der durch die Sign-Form geweckten Erwartungshaltung zuwider, bricht also in einem gewissen Sinne mit der Konvention, um die Homogenität der Wahrnehmung zu erhalten.

      Über den Eingängen zu den Theatiner Höfen in der Theatinerstraße befinden sich beispielsweise wappenartige Signs (vgl. Bild 7), die dem historischen Charakter des Gebäudes Rechnung tragen, aber erst im Zuge der Neugestaltung der Anlage in den 1970er Jahren angebracht wurden. Diese ‚historisierenden‘ Signs nehmen aber, anders als erwartet, nicht auf ein historisches Ereignis Bezug, sondern eben auf die erwähnte Neugestaltung und die Fertigstellung der Anlage im Jahr 1972. Dieser Sign-Gestaltung stehen in unmittelbarer Nähe modern gestaltete Signs mit Hinweisen auf die Nutzer der Höfe gegenüber.

      Bild 7:

      Theatinerhof.

      Das gegenteilige Verfahren findet sich ebenfalls in der Weinstraße (vgl. Bild 8, Bild 9). Hier wird auf einem schlichten, sehr unauffälligen Plexiglasschild auf den Wohnort des Stadt- und Hofmalers Hans Mielich († 10.03.1573) hingewiesen. Das ursprüngliche Gebäude wurde während des 2. Weltkriegs stark zerstört, im Wiederaufbau mit Ladeneinbauten versehen und erhielt so vor allem im Erdgeschoss ein modernes architektonisches Gesicht, an dem sich die Gestaltung der Hinweistafeln orientiert (vgl. Enns 2013: 294 sowie 182-183 zu den allgemeinen Grundsätzen des Wiederaufbaus der Münchner Innenstadt. Siehe hierzu auch Meitinger 1946).

      Bild 8:

      Theatinerstraße, Gedenktafel Mielichhaus.

      Bild 9:

      Gedenktafel Hans Mielich.

      Die genannten Beispiele zeigen auf, dass die Aussage eines Signs mehrschichtig sein kann und Text und Gestaltung auf unterschiedliche Referenten zielen können. Während die Texte der Signs jeweils auf bestimmte Ereignisse hinweisen, orientiert