die auf der Lücke zwischen den Sprachen beharrt, ohne die wie auch immer geartete Aufhebung der zwischensprachlichen Spannung zum Ziel zu haben (Mein,Mein, Georg »›Ist mir doch fast …‹«, 90). Diese ethische Haltung betrachtet das Fremde nicht vom Eigenen her, sondern steht der Sprache des Anderen offen gegenüber. Eine Ethik der Übersetzung ist MeinMein, Georg zufolge vor diesem Hintergrund daher auch als eine Ethik der Dekonstruktion aufzufassen, denn erst durch die Dekonstruktion wird eine Beziehung zur Alterität möglich, die das Unbenennbare nicht verweigert (ebd., 90f.).
Auch in Antoine BermansBerman, Antoine L’Épreuve de l’étranger (1984) wird eine »übersetzerische Ethik« entwickelt (WeissmannWeissmann, Dirk, »Erfahrung des Fremden als Einübung des Eigenen?«, 93; GodardGodard, Barbara, »L’Éthique du traduire«). Berman stützt sich in seinem Werk über Übersetzung in der deutschen Romantik auf Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrichs Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens, um eine nicht-ethnozentrische Übersetzungstheorie zu entwickeln (Weissmann, »Erfahrung des Fremden als Einübung des Eigenen?«, 87). Er plädiert unter Rückgriff auf Schleiermacher für eine sprachliche und kulturelle Hybridisierung, ohne das Paradoxon der Herausbildung des Nationalen durch die Erfahrung des Fremden aus den Augen zu verlieren: Die Erfahrung des Fremden, so heißt es bei Schleiermacher, dient der ›Einübung des Eigenen‹. SchleiermacherSchleiermacher, Friedrichs Theorie gründet auf dem romantischen Modell der kulturellen Distanz und hat als Ziel, einer ganzheitlichen, deutschen Nationalliteratur als Katalysator sprachlich-kultureller Einigung den Rücken zu stärken. Für BermanBerman, Antoine ist Übersetzung sowohl eine Notwendigkeit als auch eine Gefahr für jede Kultur: Das Überleben jeder Kultur basiert auf einem Ausgleich zwischen Fremdem und Eigenem (ebd., 89–91). Der Ausgleich zwischen beiden Polen ist wesentlich für die Übersetzung. BermanBerman, Antoine zufolge ist »l’essence de la traduction […] d’être ouverture, dialogue, métissage, décentrement. Elle est mise en rapport, ou elle n’est rien.«1 (BermanBerman, Antoine, L’Épreuve de l’étranger, 16)
In The Scandals of Translation. Towards an Ethics of Difference pflichtet Lawrence VenutiVenuti, Lawrence der ethischen Sicht auf Übersetzung bei, die Berman vertritt: »I follow Berman […]. Good translation is demystifying: it manifests in its own language the foreignness of the foreign text.« (Venuti, The Scandals of Translation, 11) Die verfremdende Übersetzung zeige die Autonomie des fremden Textes: »This translation ethics does not so much prevent the assimilation of the foreign text as aim to signify the autonomous existence of that text behind (yet by means of) the assimilative process of the translation.« (ebd.) Anthony PymPym, Anthony schlägt vor diesem Hintergrund eine Brücke von der ethisch-textuellen Bedeutung der Übersetzung zur ethisch bedeutsamen Rolle des Übersetzers. Sein Buch Pour une éthique du traducteur sei »un véritable hommage à Antoine BermanBerman, Antoine«2Berman, Antoine (PymPym, Anthony, Pour une éthique du traducteur, 11). Aufgrund der Gastfreundschaft des Fremden im Eigenen liegt der verfremdenden Übersetzung VenutiVenuti, Lawrence zufolge eine »metaphysics of the foreign« zugrunde (VenutiVenuti, Lawrence, Translation Changes Everything, 187). Die metaphysische Zielsetzung der Übersetzung suche »dans un élan messianique vers la parole vraie«3 die Begrenztheit der Sprachen zu übersteigen (BermanBerman, Antoine, L’Épreuve de l’étranger, 23).
Die Übersetzung veranlasst somit zu Diskussionen, die weit über das rein Sprachliche hinausgehen und Fragen der Metaphysik bzw. des Messianismus berühren. Die ›Übersetzung‹ als Konzept wird so zu einer Metapher der Vermittlung von Ideen, Auffassungen, Normen und Werten. Doris Bachmann-MedickBachmann-Medick, Doris spricht im Rahmen des »translational turn« in den Kulturwissenschaften von »Kultur« als einem ständigen »Prozess der Übersetzung […] im Sinne eines neuen räumlichen Paradigmas von Über-Setzung« (Bachmann-MedickBachmann-Medick, Doris, Cultural Turns, 247). Diese breit gefasste räumliche Metapher der kulturellen ›Über-Setzung‹ geht zwangsläufig auch mit der ›Dezentrierung‹ des Bekannten einher. Die Dezentrierung des Eigenen sowie die Offenheit dem Fremden gegenüber ist schließlich auch grundlegend für ein adäquates Verständnis der sprachlichen Verfremdung in der modernen Literatur, in der gerade die Dekonstruktion von Monologie und Identitätsdenken im Mittelpunkt steht. In ihr sind, so Peter V. ZimaZima, Peter V., »die offene Antinomie, die Ambiguität und das Singuläre gegen die systematische Integration« ausgerichtet (ZimaZima, Peter V., Ideologie und Theorie, 348). Die Literatur der Moderne, also Texte wie etwa die von KafkaKafka, Franz, BrochBroch, Hermann oder MusilMusil, Robert, versteht sich als Textur des Anderen, in einer eigenen Sprache des Anderen (HeimböckelHeimböckel, Dieter, »Einsprachigkeit – Sprachkritik – Mehrsprachigkeit«, 143f.). Die Sprachskepsis, die in der Moderne zum Ausdruck gebracht wird, geht eindeutig mit einer Subjektkrise einher: Die moderne Literatur verfremdet das Gewohnte, keine Sprache bleibt in ihr selbstidentisch, genauso wenig wie das Subjekt, das die Möglichkeit verloren hat, sich als autonom und ganzheitlich zu definieren. In Kindheit und Geschichte vollzieht Giorgio AgambenAgamben, Giorgio eine radikale sprachkritische Trennung zwischen Sprache als langue bzw. λόγος und Sprache als einem konkreten Handeln, als einer Stimme. Zwischen den beiden Polen sei eine Leere, die im Besonderen in der modernen Literatur zum Ausdruck gebracht werden könne: »Der Raum zwischen Stimme und Lógos ist ein leerer Raum […]. Nur weil der Mensch in die Sprache geworfen ist, nur weil er sich im experimentum linguae aufs Spiel setzt […], werden für ihn so etwas wie ein éthos und eine Gemeinschaft möglich.« (AgambenAgamben, Giorgio, Kindheit und Geschichte, 15) Die Ermöglichung einer ›Gemeinschaft‹ ist gleichzeitig auch eine Voraussetzung kollektiver ›Gastfreundschaft‹ in der Sprache, die RicœurRicœur, Paul in seiner ethisch orientierten Übersetzungstheorie in die Mitte rückt.
Richard KearneyKearney, Richard hebt in seiner Einführung zur englischen Übersetzung von Sur la traduction hervor, dass Paul RicœurRicœur, Paul Übersetzung letztendlich als »interlinguistic hospitality« konzipiert (KearneyKearney, Richard, »Introduction«, xx). RicœRicœur, Paulur gehe so weit zu sagen, dass das künftige politische Ethos der europäischen, ja, sogar der Weltpolitik, auf einem Austausch von Erinnerungen und Erzählungen zwischen verschiedenen Nationen basieren solle, denn Versöhnung könne nur dann stattfinden, wenn wir die eigenen Wunden in die Sprache der Fremden sowie die Wunden der Fremden in unsere eigene Sprache übersetzen. Die kollektiven Traumata zweier Weltkriege führten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Bewusstwerdung einer notwendigen europäischen Versöhnung und letztendlich zur Entstehung der Europäischen Union. Das gemeinsame europäische politische Projekt gründet auch auf sprachlicher Verständigung, die letztendlich Teil eines Gerechtigkeitsdiskurses ist (BalibarBalibar, Étienne, Nous, citoyens d’Europe?, 316f.; ToledoToledo, Camille de, Le Hêtre et le Bouleau, 171). Die ethische Verbindung von Übersetzung und Gerechtigkeit wird auch von James Boyd WhiteWhite, James Boyd in Justice as Translation ins Licht geführt: »Translation and justice first meet at the point where we recognize that they are both ways of talking about right relations, and of two kinds simultaneously: relations with languages, relations with people.« (WhiteWhite, James Boyd, Justice as Translation, 233)
Unter Rückgriff auf Émile BenvenisteBenveniste, Émile in Le vocabulaire des institutions indo-européennes (1969) weist Paul RicœRicœur, Paulur darauf hin, dass die Begriffe hospes (Gastgeber) und hostis (Fremder) etymologisch miteinander verwandt sind (Ricœur, Sur la traduction, 19f.). Die Urszene aller Gastlichkeit kann dabei als darin liegend angesehen werden, dass zwei Fremde, die aufeinander treffen, voneinander erzählen müssen, um abzuschätzen, ob jemand mit freundlicher oder feindlicher Absicht kommt. Das aber bringt unweigerlich das Übersetzen als geradezu ethische Forderung ins Spiel (FriedrichFriedrich, Peter/Parr, Gastlichkeit). Daher kann RicœurRicœur, Paul ungeachtet der spannungsvollen Aufgabe des Übersetzers als traduttore traditore davon sprechen, dass die Eigenheit des Übersetzens gerade in der »hospitalité langagière«4 liegt (RicœuRicœur, Paulr, »Le paradigme de la traduction«, 136). Die sprachliche Gastfreundschaft des Übersetzens sei vor diesem Hintergrund als ethischer Akt zu verstehen: Das Wort des Anderen wird ›bewohnt‹, genau so, wie das Wort des Anderen ›zuhause‹ empfangen wird (OstOst, François, Traduire, 293–295). Die Übersetzung eröffnet einen symbolischen Raum, in dem eher die Möglichkeit einer Symbiose von Selbst und Anderem als